Nervosität am Anleihemarkt steigt

 

Noch liegen die Renditen der Staatspapiere auf einem historisch niedrigen Niveau. Doch die Sorgen der Anleger über die US-Staatsverschuldung und weltweit anziehende Inflationsraten steigen. Mit Spannung wird das Ende der Anleihenaufkäufe durch die Notenbank erwartet. von André Kühnlenz  und Christine Mai 

 

Frankfurt: Am US-Anleihemarkt macht sich Unruhe breit. Weltweit anziehende Inflationsraten sowie die Sorge um die Staatsverschuldung könnten bald die langfristigen Zinsen heftig steigen lassen, fürchten Investoren. Noch liegen die Renditen der Staatspapiere auf historisch niedrigem Niveau, am Donnerstagabend waren es für zehnjährige Anleihen 3,45 Prozent. Kurz vor dem Ausbruch der Weltfinanzkrise im Sommer 2007 hatte der Zins noch zwischen 4,5 und 5,0 Prozent gependelt.

 

Für Aufregung sorgte die Nachricht, dass der größte Privatinvestor in Anleihen, der Total Return Fonds der Allianz-Tochter Pimco, erstmals seit Anfang 2008 keine US-Staatsanleihen mehr hält. Fondsmanager Bill Gross schrieb in seinem Ausblick: "Die Zinsen müssen steigen, vielleicht sogar deutlich steigen, um noch genug Kaufinteresse an sich zu ziehen." Mit seiner Skepsis ist Gross unter den Fondsmanagern nicht allein. "Wir haben US-Staatsanleihen in unseren internationalen Fonds untergewichtet", sagte Bettina Müller von der Deutsche-Bank-Tochter DWS. "Angesichts der Verschuldung der USA sind die Papiere zu teuer."

 

Hinter diesen Äußerungen steckt die Furcht, dass die Märkte dieses Mal das Ende der Anleihekäufe durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) nicht so wegstecken könnten wie noch im September 2009. Damals war das erste Programm über 300 Mrd. Dollar ausgelaufen. Danach sanken die Zinsen, weil die US-Wirtschaft sich bis dahin kaum erholt hatte und die Inflationsgefahr gering schien. Erst stärkeres Wachstum oder kräftiger steigende Preise führen gewöhnlich zu höheren Renditen. Das kommt daher, dass Anleger einen Ausgleich für Inflationsrisiken verlangen sowie Staatsanleihen im Aufschwung weniger attraktiv werden.

 

Mit Spannung blicken Anleger auf diesen Sommer, wenn die aktuellen Aufkaufprogramme der Fed über 900 Mrd. Dollar auslaufen. Laut Fed stieg ihr Bestand an US-Staatspapieren zwischen Juli und Februar um 423 Mrd. auf 1177 Mrd. Dollar. Dabei hat die Notenbank in diesen Monaten bereits die Hälfte aller neuen Schuldentitel der Bundesregierung auf ihre Bilanz genommen: Die Fed ist zum größten Finanzierer Washingtons aufgestiegen. Die Summe aller öffentlich ausstehenden Staatsanleihen stieg in dieser Zeit um 858 Mrd. Dollar. Bis Dezember gingen davon Papiere für 314 Mrd. Dollar ins Ausland. Allerdings: Ausländische Investoren, vor allem Zentralbanken wie die aus China, haben noch bis Ende 2010 ihre Bestände an Staatsanleihen in etwa so stark ausgeweitet, wie die Gesamtschulden stiegen, jeweils mit einer Vorjahresrate von 20 Prozent. Die Fed-Käufe dürften daher die einheimischen Investoren wie Bill Gross verdrängt haben.

 

Wichtig wird im Sommer daher die Frage, wie viel Rendite die amerikanischen Privatinvestoren für neue Staatstitel verlangen werden. Die Notenbanken im Ausland könnten nervös werden. So warnte am Donnerstag ein Ex-Berater der Zentralbank Chinas vor einem Zahlungsausfall Washingtons und forderte, dass die Volksrepublik keine US-Staatsanleihen mehr kaufen solle.

 

Allerdings verweisen Strategen auf eine Besonderheit, die dieses Mal eher für höhere Renditen sprechen könnte. "Die Zinsen sind immer dann gestiegen, wenn die Fed gekauft hat, und sie sind dann gefallen, wenn sie nicht gekauft hat", sagte Hajime Kitano von JP Morgan. Viele Analysten erklären dies damit, dass Anleger jeweils die Fed-Käufe vorweggenommen hätten. Doch Kitano macht dafür vor allem das bisher schwache Wachstum und die niedrig Inflation aus: "Die Schlüsselfrage für den Anleihemarkt hängt weniger mit dem zweiten Aufkaufprogramm zusammen als damit, wann sich ein Wechsel in der Geldpolitik der Fed abzeichnet."

 

Die US-Währungshüter könnten schon früher gezwungen sein, ihren Leitzins anzuheben als bisher erwartet, warnt Jim O'Neill, Chef von Goldman Sachs Asset Management. Grund dafür sind Inflationsgefahren aus den Schwellenländern. Dieses Szenario weckt bei O'Neill und vielen Strategen schlechte Erinnerungen an 1994. Damals sah sich die Fed gezwungen, für die meisten Anleger unerwartet plötzlich zu reagieren. Der darauf einsetzende Ausverkauf am Anleihemarkt trieb die Zinsen um 2,4 Prozentpunkte auf 8,0 Prozent innerhalb von nur zehn Monaten nach oben. Derzeit erwarten laut Bloomberg 53 Ökonomen im Mittel eine Rendite von 4,25 Prozent für das zweite Quartal 2012.