Verdiente Ehre für Chinas 89er
Schon wieder hat das Nobelpreiskomitee eine sehr politische Entscheidung getroffen, doch sie ist
deutlich besser als die des vergangenen Jahres. Mit Liu Xiabao wird ein
Mann geehrt, der für seine Überzeungen alles riskiert. Sein Schicksal erinnert daran, dass 1989 nicht alle Revolutionen glückten.
von David Böcking
Man hätte
sie alle noch einmal gezeigt:
Die Menschen auf der Mauer, an den gefallenen
Grenzpfosten, mit schwarz-rot-goldenen Fahnen. All
die euphorisierten Bilder aus dem November 1989 wären noch einmal
hervorgeholt worden, wenn Altkanzler Helmut Kohl (CDU)
- wie zum wiederholten Mal spekuliert worden war -, für
die deutsche Wiedervereinigung den Friedensnobelpreis bekommen hätte.
Doch das Nobelpreiskomitee hat eine andere Entscheidung
getroffen. Und die ist gut.
Mit Liu Xiaobo wird ein Mann geehrt, der seit langem
Chinas kommunistischer Führung
die Stirn bietet. Diese Ehrung ist
ein politisches Signal, wie es schon
im vergangenen Jahr die Preisvergabe an Barack Obama war.
Während der US-Präsident
aber fast ausschließlich für Absichtsbekundungen geehrt wurde, zahlt
Liu seit vielen Jahren einen hohen
persönlichen Preis für seine Überzeugungen und Taten. 1989 gehörte er zu den Anführern
der Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz. Gerade einmal fünf
Monate vor dem Fall der Berliner Mauer hatten es
auch chinesische Bürger gewagt, den Mangel an Freiheit
in ihrem Land zu kritisieren.
Im Gegensatz zur friedlichen Revolution in der DDR wurden
die Proteste in China im wahrsten Sinne des Wortes von Panzern niedergewalzt. Eine bis heute
unbekannte Zahl von Menschen starb, es folgte eine
Verhaftungswelle, der auch Liu zum Opfer
fiel. Während sich Ost- und Westdeutsche
in den Armen lagen, mussten Chinas Oppositionelle um ihr Leben fürchten.
Natürlich hätte man in Oslo auch die geglückte deutsche
Revolution ehren können, wobei ein ostdeutscher
Bürgerrechtler den Preis in
diesem Fall mindestens genauso sehr verdient
hätte wie Helmut Kohl. Doch das stärkere Signal ist es, an
das zeitgleiche Scheitern der chinesischen Bürgerrechtler zu erinnern - gerade jetzt.
Immer deutlicher etabliert sich China als kommende Weltmacht,
sei es im
aktuellen Währungsstreit, bei Handelskonflikten oder im Kampf
um die künftige Rohstoffversorgung.
Dieser Aufstieg ist eine Tatsache,
auf die sich die USA und andere
westliche Länder zunehmend einstellen und auch einstellen müssen, ob sie wollen oder nicht.
Dabei gilt es, an mancher Stelle
auch überhebliche Attitüden abzulegen, die man bislang gegenüber dem früheren Entwicklungsland
pflegte.
Mit westlicher Arroganz hat der Nobelpreis für Liu nichts zu tun.
Politisch ist China weiterhin ein Entwicklungsland,
das zeigte nicht zuletzt die erneute Haftstrafe für Liu Ende vergangenen Jahres. Wenn Peking - wie etwa gerade
auf einem Gipfel mit den EU-Staaten - auf mehr Anerkennung als Industrieland dringt, muss es sich auch Kritik
an seiner Innenpolitik gefallen lassen.
Die empörte
Reaktion Chinas auf die Entscheidung
für Liu - die Regierung in
Peking nannte ihn einen Kriminellen, der den Preis nicht
verdient habe -, zeigt, dass die chinesische Führung solcher Kritik weiterhin nicht gewachsen ist. Die deutliche Unterstützung des Votums durch andere
Länder - unter anderem von Deutschland - macht aber Hoffnung, dass der Westen
auch einer Supermacht China solche Kritik nicht ersparen
wird.