http://www.ftd.de/politik/international/:die-folgen-von-9-11-eins-zu-null-fuer-al-kaida/50167911.html

 

Eins zu null für al-Kaida

 

Die Drahtzieher des 11. September haben vieles erreicht: Der Kampf der Kulturen ist in vollem Gang. Wir zerlegen unser Gesellschaftsmodell. von Claus Hecking

 

Am Samstag hat Geert Wilders seinen großen Auftritt am Ground Zero. Der niederländische Rechtspopulist und Islamhasser ist Stargast der 11.-September-Demonstration gegen die Moschee, die zwei Blocks entfernt vom Anschlagsort gebaut werden soll. Tausende werden Wilders zujubeln - wenn er mal wieder das Verbot des Korans fordert, den Propheten Mohammed einen Kinderschänder nennt oder den Islam mit dem Faschismus gleichsetzt. Denn so wie der Macher des koranfeindlichen Films "Fitna" denken heute viele US-Bürger. 68 Prozent wollen den Moscheebau in New York verbieten, 49 Prozent haben sogar grundsätzlich eine negative Meinung über den Islam.

 

Da wundert es kaum, dass viele Muslim-Organisationen in den USA aus Angst ihre Feiern zum Ende des Fastenmonats Ramadan am Freitag verschoben haben. Ist dieser Staat, einst als Zufluchtsort religiös Verfolgter unter dem Bekenntnis der Glaubensfreiheit gegründet, wirklich noch "the land of the free"?

 

Die Freiheit ist unter die Räder gekommen in den neun Jahren seit 9/11. In den USA und überall in der westlichen Welt. Die Drahtzieher des brutalen Anschlags auf das World Trade Center dürfte das freuen. Sie haben es geschafft, ihre Feinde im Westen zu destabilisieren. Ja, wir spielen mit im von ihnen angezettelten Kampf der Kulturen. Und noch schlimmer: Wir rütteln gerade selbst an den Fundamenten unserer liberalen Gesellschaft, aus bloßer Furcht vor dem Terror.

 

Terroristen sind Terroristen, weil sie zu schwach sind, um direkt die Macht zu ergreifen. Stattdessen verüben sie Anschläge: im Kalkül, Menschen Angst zu machen, sie zu Panikreaktionen zu provozieren und so Ereignisse in Gang zu setzen, die sie ihrem Ziel näherbringen. Musterbeispiele hierfür sind das Attentat auf Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand durch den serbischen Nationalisten Gavrilo Princip 1914 - das nach dem so ausgelösten Ersten Weltkrieg zu einem souveränen, serbisch dominierten Jugoslawien führte. Oder der Mord an Israels Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin durch einen jüdischen Extremisten im Jahr 1995: der Anfang vom Ende des Friedensprozesses im Nahen Osten.

 

Kopfloser Westen

 

Auch die Drahtzieher des 11. September haben bislang beachtlichen Erfolg. Denn der Westen hat in ihrem Sinne reagiert: panisch, kopflos, blindwütig. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verstrickten sich in zwei verlustreiche, blutige Kriege. Der offiziell beendete Irak-Einsatz hat die USA mindestens 1000 Mrd. Dollar, 4400 Soldatenleben und vor allem ihr Image als gutmütiger Hegemon gekostet - Abu Ghraib, Guantánamo sei Dank. Der Afghanistankrieg erschüttert nun die Grundfesten der Nato, erste Bündnispartner wie die Niederlande oder Kanada springen ab. Andere sind nur noch bei der Stange, um die im Irakkrieg erschütterten transatlantischen Beziehungen nicht noch weiter zu belasten. Für sie geht es einzig um eine gesichtswahrende Exit-Strategie. Einen derartigen Militäreinsatz wird sich die Allianz so schnell nicht mehr antun.

 

Noch tiefere Wunden hat der 11. September in unsere Zivilgesellschaft geschlagen. Wir fühlen uns bedroht durch die andere Kultur, betrachten sie als Feind. Drei von vier Deutschen sorgen sich mehr oder weniger stark um eine Ausbreitung des Islam, wie auch Thilo Sarrazin sie beschwört. Das vermischt sich mit der durchaus nötigen Integrationsdebatte und verzerrt sie.

 

Die Freiheit ist unter die Räder gekommen in den neun Jahren seit 9/11. In den USA und überall in der westlichen Welt. Die Drahtzieher des brutalen Anschlags auf das World Trade Center dürfte das freuen. Sie haben es geschafft, ihre Feinde im Westen zu destabilisieren. Ja, wir spielen mit im von ihnen angezettelten Kampf der Kulturen. Und noch schlimmer: Wir rütteln gerade selbst an den Fundamenten unserer liberalen Gesellschaft, aus bloßer Furcht vor dem Terror.

 

Terroristen sind Terroristen, weil sie zu schwach sind, um direkt die Macht zu ergreifen. Stattdessen verüben sie Anschläge: im Kalkül, Menschen Angst zu machen, sie zu Panikreaktionen zu provozieren und so Ereignisse in Gang zu setzen, die sie ihrem Ziel näherbringen. Musterbeispiele hierfür sind das Attentat auf Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand durch den serbischen Nationalisten Gavrilo Princip 1914 - das nach dem so ausgelösten Ersten Weltkrieg zu einem souveränen, serbisch dominierten Jugoslawien führte. Oder der Mord an Israels Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin durch einen jüdischen Extremisten im Jahr 1995: der Anfang vom Ende des Friedensprozesses im Nahen Osten.

 

Kopfloser Westen

 

Auch die Drahtzieher des 11. September haben bislang beachtlichen Erfolg. Denn der Westen hat in ihrem Sinne reagiert: panisch, kopflos, blindwütig. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verstrickten sich in zwei verlustreiche, blutige Kriege. Der offiziell beendete Irak-Einsatz hat die USA mindestens 1000 Mrd. Dollar, 4400 Soldatenleben und vor allem ihr Image als gutmütiger Hegemon gekostet - Abu Ghraib, Guantánamo sei Dank. Der Afghanistankrieg erschüttert nun die Grundfesten der Nato, erste Bündnispartner wie die Niederlande oder Kanada springen ab. Andere sind nur noch bei der Stange, um die im Irakkrieg erschütterten transatlantischen Beziehungen nicht noch weiter zu belasten. Für sie geht es einzig um eine gesichtswahrende Exit-Strategie. Einen derartigen Militäreinsatz wird sich die Allianz so schnell nicht mehr antun.

 

Noch tiefere Wunden hat der 11. September in unsere Zivilgesellschaft geschlagen. Wir fühlen uns bedroht durch die andere Kultur, betrachten sie als Feind. Drei von vier Deutschen sorgen sich mehr oder weniger stark um eine Ausbreitung des Islam, wie auch Thilo Sarrazin sie beschwört. Das vermischt sich mit der durchaus nötigen Integrationsdebatte und verzerrt sie.

 

Manche dieser Maßnahmen mögen für sich begründbar sein. Zusammen greifen sie den Kern der grundgesetzlichen Freiheit an, wie auch das Bundesverfassungsgericht feststellt. Und sie verschaffen uns allenfalls eine Illusion von Sicherheit. Auch Politiker lassen sich vor allem von Angst leiten - vor dem Vorwurf nach einem Attentat, nicht alles getan zu haben.

 

Noch immer gibt es unzählige Gelegenheiten für Attentate. Klar, al-Kaida ist geschwächt und zu einem Massenmord à la New York (hoffentlich) nicht mehr fähig. Aber ihre verqueren Ideen leben weiter. Und die Eigenbau-Bombe in der U-Bahn oder beim Volksfest lässt sich selbst mit geballter Schnüffelei kaum verhindern.

 

Osama Bin Laden ist ein Idol für Zehntausende zorniger junger muslimischer Männer: gerade in Ländern wie Pakistan, Indonesien, Ägypten oder Saudi-Arabien, alten Verbündeten der USA. Viele Menschen in der Dritten Welt sehen im westlichen Lebensmodell kein Vorbild mehr. Wieso auch, wo wir selbst an unseren Grundfesten zweifeln?

 

Seit neun langen Jahren lässt sich der Westen von der dunklen Bedrohung al-Kaida treiben. Nun ist es Zeit innezuhalten. Und zu überlegen, was den Kern unseres Zusammenlebens ausmacht.