Hilfe, Lemminge im Anmarsch

 

Was können denn die armen Wühlmäuse dafür? Jetzt werden sie indirekt schon für den nächsten Crash verantwortlich gemacht. Auf die echten Lemminge (Lemmus) bezieht sich die Legende vom Massenselbstmord, die aber jeder Grundlage entbehrt.

 

von Jens Korte

 

Wahr ist lediglich, dass die Tiere einem starken Herdentrieb folgen und in arktischen Gefilden bei der Nahrungssuche häufig ums Leben kommen.

 

Einen regelrechten Gruppenzwang erlebt derzeit auch die Börse. Seit einigen Wochen ist an der Wall Street das Phänomen zu beobachten, dass die Investoren alle in die gleiche Richtung rennen - und handeln. Geht es runter, wird alles verkauft. Steigen die Kurse wieder, wird alles gekauft, Aktien meist aus irgendwelchen Industriezweigen. Das ist ein ungesunder Trend. Einen Massenzwang dieser Intensität gab es zuletzt kurz vor dem großen Crash im Jahr 1987.

 

Kein Wunder, dass viele Kleinanleger bei diesem Gezocke den Spaß an Aktien verlieren. Denn das ist ein weiterer Trend, der momentan von den Marktbeobachtern wahrgenommen wird: Spätestens seit dem Flash Crash vom 6. Mai, als der Dow-Jones-Index innerhalb weniger Minuten um fast 1000 Punkte einbrach, trauen die "Small Investors" dem Treiben an den Aktienmärkten nicht mehr. So ist eine deutliche Abnahme bei Aktienkäufen und, im Gegenzug, eine starke Zunahme bei Investments in Anleihen, Gold und Immobilien zu erkennen.

 

Historisch gesehen ist zwar auch bei den Kleinanlegern nach Krisen irgendwann die Lust auf Aktien wieder erwacht. Doch es könnte eine Weile dauern, bis die Börse den Image- und Vertrauensverlust wieder gutgemacht hat. Duncan Niederauer, der Chef der New Yorker Börse, sprach kürzlich in einem Interview davon, dass der Markt derzeit eher etwas für Trader, also Zocker, sei. Die Kursausschläge der vergangenen Wochen geben ihm recht. In den letzten zwei Juniwochen brach der Dow Jones um 7,3 Prozent ein. Es folgte bis Mitte dieser Woche eine siebentägige Gewinnsträhne mit der besten Performance seit einem Jahr. Der nächste Kursrutsch, da sind sich die Händler einig, folgt bestimmt. Es ist nicht die Zeit für schwache Nerven.

 

Jens Korte schreibt als Wall-Street-Korrespondent für die FTD.