Münchau - Das Ende von Goldman Sachs
Die Vorwürfe
gegen die Bank sind
ein Weckruf an die Politik, gefährliche Finanzprodukte zu verbieten. Denn es ist unverantwortlich,
dass sich finanzielle Massenvernichtungswaffen
überhaupt in Privathand befinden. von Wolfgang Münchau
Der Tod
eines Präsidenten und die Ausbreitung einer Vulkanwolke sind die alles überschattenden Ereignisse der letzten Tage und Wochen. Die Anklage gegen Goldman Sachs hingegen ist die mit Abstand
wichtigste Wirtschaftsnachricht
des Jahres - zusammen vielleicht noch mit der sich
abzeichnenden Pleite Griechenlands.
Sie ist deswegen
eine wichtige Nachricht, weil hier zum ersten
Mal seit Ausbruch der Krise zwei
Dinge in das engere Radarfeld der Behörden
geraten: die dubiose Rolle eines Schattenbankensystems
und die Konstruktion perverser
Finanzprodukte. Goldman, so die Ankläger,
habe ein Produkt erstellt mit dem Ziel,
Verluste zu erzielen, sodass ein wichtiger Kunde
von diesen Verlusten profitieren konnte.
Ich habe keine
Informationen und erst recht keine Meinung
zu dem konkreten
Rechtsfall. Ob sich Goldman
Sachs etwas zuschulden kommen ließ, ist
Sache der amerikanischen Zivilgerichte. Aber egal wie
die konkrete rechtliche
Situation zu beurteilen ist, die Geschichte hat wichtige Auswirkungen für die zukünftige Regulierung der Finanzmärkte, ein Thema, bei
dem bislang nur sehr wenige
Fortschritte gemacht wurden. Bislang diskutierten die Verantwortlichen
zumeist um den heißen Brei herum, etwa
um Kapitalregeln und Bonuszahlungen.
Die zwei
konkreten Fragen, die sich aus dem
Goldman-Fall für die Regulierung
ergeben, sind: Sollen wir das Schattenbankensystem einstampfen?
Sollen wir die toxischen Finanzprodukte verbieten?
Schattenbanken außer Kontrolle
Meine Antworten auf diese beiden Fragen
sind: Ja und Ja. Das Problem mit dem Schattenbankensystem ist die fehlende Regulierung. Da der Staat am Ende immer
für ein großes
Kontaminationsrisiko geradestehen
wird, hat er ein Anrecht auf Kontrolle. Er darf
deswegen Privatbanken einer Bankenaufsicht unterziehen. Schattenbanken operieren außerhalb dieser Kontrollstrukturen.
Goldman ist
zunächst sehr groß und mächtig. Wo auch immer
größere Geldsummen von einem Ort zum anderen
geschoben werden, ist die amerikanische Investmentbank dabei. Als Griechenland sein Defizit mittels
schwer zu durchschauender Währungs-Swap-Kontrakte
reduzierte, spielte Goldman
Sachs die Rolle des Animateurs.
Die Bank ist omnipräsent. Sie verfügt über
dermaßen viel legales Insiderwissen, dass sie als
Investor einen natürlichen Vorteil hat, ohne irgendein Gesetz brechen zu müssen.
Goldman ist
aber nicht nur "too big", sondern auch "too big to fail", mehr
noch als Lehman Brothers. Ein hypothetischer Kollaps von Goldman wäre ein kataklysmisches Ereignis für die Weltwirtschaft. Das ist mehr als nur
ein Argument für Regulierung. Atombomben sind schließlich auch nicht "reguliert". Im Grunde kann man überhaupt nicht verantworten, dass eine finanzielle Massenvernichtungswaffe wie das Schattenbankensystem sich überhaupt in Privathand befindet.
Lehman Brothers ist mittlerweile verschwunden. Bear Stearns und Merrill Lynch sind Abteilungen anderer Banken. Zwei klassische
Investmentbanken verbleiben,
Goldman Sachs und Morgan Stanley . Ich
glaube nicht, dass man diese Häuser wegregulieren wird, aber die Luft wird dünner.
So wie Al Capone auch nur indirekt wegen
Steuerhinterziehung verurteilt
und damit aus dem Verkehr gezogen
wurde, wird man die verbleibenden Investmentbanken wahrscheinlich nicht frontal attackieren, sondern auf Umwegen. Die Anklage gegen Goldman Sachs ist der symbolische Beginn dieses Prozesses und somit einer der
wichtigsten Momente der gesamten Finanzkrise.
Ich glaube aber,
dass man zusätzlich an die Produkte selbst ranmuss. Vor einigen Monaten
plädierte ich, man solle Kreditausfallversicherungen
(CDS) ganz verbieten. Der Unfug, den man damit betreiben kann, ist enorm. Rein technisch gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem Kauf
eines CDS und dem Leerverkauf eines Bonds. Das stimmt aber nur
sehr oberflächlich. Der Hebel ist beim
CDS größer, ebenso wie die Möglichkeit, Anleger hinters Licht zu führen. So hörte
ich vor Kurzem
davon, dass ein amerikanischer Hedge-Fonds ein kompliziertes
strukturiertes Produkt kreierte, das absichtlich auf faulen Krediten basierte. Der Hedge-Fonds spekulierte dann mithilfe von Kreditausfallversicherungen
gegen sein eigenes Produkt. Das war deswegen profitabel, weil das Produkt insgesamt das höchste Rating erhielt, "AAA", und die Kreditausfallversicherungsprämien
somit unrealistisch billig waren. Die Käufer des Produkts waren die Dummen. Und das waren häufig naive europäische Banken.
Unmoralisch,
aber legal
Laut Anklage verfolgte
Goldman Sachs ein ähnliches
Prinzip. Die Bank kreierte ein bewusst schlechtes
Produkt und nutzte ihr Insiderwissen und eine strukturelle Bewertungsschieflage aus, um sichere Profite einzufahren. Es ist keine Frage, dass
so etwas unmoralisch ist, und es ist
ebenfalls keine Frage, dass man so etwas eigentlich verbieten sollte. Tatsache ist aber,
dass solche Nummern wahrscheinlich legal waren.
Man kann
natürlich komplizierte Regulierungen schaffen, die am Ende alle umgangen
werden. Ich würde es ganz
einfach machen. "Nackte" CDS, also der Kauf von Kreditausfallversicherungen
ohne Besitz der zu versichernden
Wertpapiere, sollten gänzlich verboten werden. Die Nachweispflicht müsste beim Käufer liegen,
nicht beim Regulierer. Der Käufer muss also beim Kauf eines
CDS seine Bonds hinterlegen. Er
kann sie nicht verkaufen und die CDS gleichzeitig behalten. Eine solche Regel
würde wahrscheinlich den Großteil des gesamten CDS-Marktes zerstören. Das ist zwar nicht
meine Absicht, es würde mir
aber keine schlaflosen Nächte bereiten.