Warum die Finanzbranche schrumpfen muss
Thomas
Fricke
Solange Banken noch
Geld haben, um Millionenboni
zu zahlen, ist die nächste
große Wirtschaftskrise nicht weit. Dabei
könnte die Welt auf ein Gros der aufgeblähten
Finanzgeschäfte gut verzichten.
von Thomas Fricke
Haben Sie sich
auch schon gefragt, warum Sie von Ihrem Chef noch nie
einen Millionenbonus bekommen haben (Beschäftigte des Finanzsektors überspringen diese Frage)? Obwohl Sie fleißig, hochbegabt
und folgsam sind?
Wahrscheinlich nicht. Die Antwort
liegt ja
nahe. Die meisten Arbeitgeber hätten bei größter Barmherzigkeit
gar nicht so viel Geld, jedenfalls nicht für alle. Die Frage
ist eher,
warum Banken so viel Geld übrig hatten und wieder haben. Und ob das gut ist.
Die Antwort
trifft womöglich den Kern der Krise. Und
an ihr ließe sich auch messen,
ob schon genug getan wird, um das nächste Desaster zu verhindern. Der Verdacht drängt
sich zunehmend auf, dass ein Gutteil
der atemberaubend gewachsenen Finanzgeschäfte für den Rest der Welt selbst in Normalzeiten ohne großen Nutzen
ist. Und dass
die nächste Krise nicht weit ist, wenn die Banken nicht wieder
auf normaleres Maß schrumpfen. Geld und kluge Köpfe werden anderswo dringender gebraucht.
Inzucht im Kreditgeschäft
Seit 1970 hat sich der Anteil des Finanzsektors an der nominellen Wertschöpfung der US-Wirtschaft von vier auf acht Prozent
verdoppelt, ebenso wie der Anteil
der Gehälter - bei, Achtung, fast unverändertem Anteil Beschäftigter, wie Ökonomen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft
herausfanden (siehe Grafik)*. Ein Wunder.
Können Bankangestellte wirklich derart dramatisch an Produktivität
gewonnen haben?
Genauso märchenhaft klingt, dass die US-Banken zeitweise mehr als
40 Prozent aller Unternehmensgewinne machten. Oder
dass die Gewinne von Finanzgesellschaften in der
Euro-Zone über Jahre zwischen 20 und 30 Prozent wuchsen - gegenüber 10 bis 15 Prozent im Rest der Wirtschaft.
Oder dass die durchschnittliche
Bezahlung im Finanzsektor zuletzt je nach Land 60 bis 80 Prozent höher lag als im
Rest der Wirtschaft - ein Aufschlag, der vor 30 Jahren
in den USA noch bei bescheidenen zehn Prozent lag.
Die Sache
hat nur bedingt mit den angeblich konsumwütigen US-Durchschnittsmenschen
zu tun. Absurde
80 Prozent aller Kredite, die US-Banken 2007 vergaben, gingen an: Banken und andere Finanzakteure, wie Dirk Bezemer von der Universität Groningen darlegt. Für Deutschland lässt sich auf niedrigerem Niveau ähnliche Inzucht festhalten: "Das gegenseitige Ausleihen macht 40 Prozent des Kreditgeschäfts der Banken aus", sagt der Sachverständige
und Währungsexperte Peter Bofinger.
Nützlich?
Eher fatal, wie die Bankenkettenreaktionen in der Krise vermuten lassen.
Solange das Treiben noch als
irgendwie toll und effizient
galt, lautete der Schluss: je mehr, desto besser.
Dann gebe es noch mehr
gute Spekulanten, die laut Theorie effizienter
Märkte dagegenhalten, wenn sich Kurse
von ihrer realen Bestimmung abkoppeln. Und Risiken werden
gestreut. Das Ding ist: Wenn es so wäre, hätte
es Blase und Crash gar nicht gegeben. Dann hätten Banken
nicht über Jahre solche Gewinne
machen können - weil nach Lehrbuch
der Wettbewerb dazu führt, neue
Anbieter anzulocken und Profite stetig sinken zu lassen.
In Wirklichkeit folgen Finanzmärkte erschreckend oft und
plump Herdentrieben. Und wenn eine Blase
losgeht, Kurse steigen, nimmt bei entsprechenden Gewinnen die Risikolust ebenso logisch zu; was erklären könnte, warum mit
den Volumen auch die Gewinnträchtigkeit steigt statt abzunehmen. Nach Berechnung von Unctad-Chefökonom Heiner Flassbeck bewegen sich komplett verschiedene
Finanzkurse rund um den Globus teils über
Monate Tag für Tag in die gleiche Richtung - der brasilianische Real mit dem Ölpreis
oder der australische Dollar mit der US-Börse. Das
lässt sich mit der Annahme
fundamentaler Effizienz schwer vereinbaren. "Das ist ein
Brei", so Flassbeck.
So ließe
sich erklären, warum sich Finanzgeschäfte
so stark gegenseitig hochschaukeln
und von der Realwirtschaft abkoppeln - warum Interbankenkredite 2007 fast das Sechsfache
der US-Wirtschaftsleistung ausmachten.
Dann verkehrt sich allerdings auch die Regel vom "Mehr ist besser". Dann schießen Kurse
umso abstruser über, je größer die Herde ist.
Nach Schätzung des New
Yorker Ökonomen Thomas Philippon
gehen 30 bis 50 Prozent der US-Finanzgehälter auf Auswüchse zurück,
die nicht mehr durch den angeblich komplizierteren Bedarf der Finanzierung von IT-Firmen zu erklären
sind. Die Gewinne basierten "zunehmend auf gesellschaftlich unproduktiven"
Aktivitäten, schreiben die Kieler Ökonomen.
Wenn das stimmt, wäre es für
alle besser, wenn die Finanzbranche strukturell schrumpft. Da würde auch
das Ausmaß von Blasen nachlassen. Und es gäbe kein
Geld mehr für unerklärliche Boni. Mehr noch: Dank Wunderbezahlung gehen in den USA
60 Prozent der Absolventen von Eliteunis in die Finanzbranche, so der Kieler Forscher Dirk Dohse. Eher absurd, wenn dort
zu einem gewichtigen Teil Dinge gemacht werden,
die Handel, Gewinne und Gehälter
mathematisch kompliziert aufblähen, der Menschheit aber wenig nutzen und ihr am Ende Weltwirtschaftskrisen
bringen.
Nicht auszudenken, was man mit Hunderten Physikern
und anderen Hochbegabten anstellen könnte, die jahrelang Risikomodelle von
Hedge-Fonds berechnet haben, die sie selbst kaum noch
verstanden - von der beschleunigten Entwicklung von Impfpräparaten gegen Grippeviren über Solaranlagen in der Wüste bis hin
zu einem durchgerechneten Wirtschaftsprogramm
für die FDP.
Und die Bank könnte sich mit
freundlichen Angestellten wieder darauf konzentrieren,
Kredite an Leute zu vergeben,
die damit sinnvoll investieren wollen.
* "Adjustment after the
Crisis - Will the Financial Sector Shrink?", Bickenbach et al., Kiel Policy Brief, Oktober
2009 Thomas Fricke ist Chefökonom
der FTD. Er schreibt jeden
Freitag an dieser Stelle.