Obama straft Old Europe ab
von Thomas Klau
In der
Kürze vom jüngsten Besuch des US-Präsidenten in Europa liegt eine besondere
Bedeutung: Für Barack Obama
zählt Europa nur als Ganzes.
Das lässt er Deutschland
und Frankreich spüren - und
sorgt damit für Irritationen.
In Berlin und Paris gab es nach dem
jüngsten Besuch von US-Präsident Barack Obama lange Gesichter: Der Superstar aus dem Weißen
Haus gönnte den wichtigsten kontinentalen Verbündeten weniger Zeit, als Angela Merkel und Nicolas Sarkozy es
gewünscht hätten.
In Paris sickerte
durch, dass Obamas Entscheidung, sich lieber mit
Familie in einem Pariser Bistro zu entspannen, statt mit dem französischen
Präsidentenpaar Freundschaftstheater
zu spielen, im Elysée für einige
Irritationen sorgte.
Obama konzentrierte
seinen zweiten Europaaufenthalt als US-Präsident auf den Besuch des KZs Buchenwald in Deutschland und auf die Alliiertengedenkfeier in der Normandie. Die Erwartungen seiner
deutschen und französischen
Gastgeber hinsichtlich Fototerminen und Freundlichkeitsgesten
enttäuschte er kühl.
Obama ist
ein Mann, der seine politischen Schritte wie ein Schachspieler
durchdenkt und kalkuliert. Im Verbund mit
der Terminplanung des ersten Europabesuchs erlaubt sein geschäftsmäßiges
Verhalten beim zweiten Aufenthalt so etwas wie eine
programmatische Aussage darüber, wie dieser
Präsident das Verhältnis zu den Alliierten auf dem alten Kontinent
gestalten möchte.
Ablesen lässt sich,
dass Europa durchaus zählt: Enge Berater weisen
zu Recht darauf hin, dass
es auf dem Auslandsreisekalender Obamas im ersten Halbjahr
seiner Amtszeit den ersten Platz einnahm. Es war "nur" Außenministerin Hillary
Clinton, die als erste Vertreterin der neuen Administration nach Asien und China geschickt wurde, gefolgt von Finanzminister Timothy Geithner.
Es war der
Chef, der zweimal nach Europa fuhr
und damit der europäischen Angst entgegentrat, der europäische Kontinent sei in seinem Weltbild und Strategieverständnis eine vernachlässigbare Größe.
Teil 2: Distanz zum Gefühlstheater
Deshalb reiste Obama zu Terminen wie
dem Treffen mit allen EU-Staats-
und Regierungschefs im Anschluss an G20- und Nato-Gipfel im März. Und deshalb wählte er als
Ziele auch Orten und Feierlichkeiten mit hohem symbolischen
Wert wie Buchenwald, Dresden und die Normandie. Nicht mitmachen will Obama aber offensichtlich das bilaterale Politik- und Gefühlstheater mit einzelnen EU-Regierungschefs, die sich in der Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts auf dem Weg in die mittlere Mittelklasse der globalen Rangordnung befinden. Dann lieber ein Urlaubsabend
an der Seine mit Michelle, Malia und Sasha.
Zwar hat auch Amerikas Supermacht die lange Reise in den Abstieg angetreten: Sie befinde sich
macht- und weltpolitisch dort, wo Großbritannien
vor 100 Jahren stand, schrieb vor ein
paar Tagen der frühere britische
Außenminister Douglas Hurd im "Guardian".
Obama weiß
das, anders als sein geschichtsblinder Vorgänger George W. Bush. Aber er weiß auch,
um wie viel schneller und tiefer der Abstieg der
Europäer ausfallen wird, solange diese
es nicht schaffen, der nichteuropäischen
Welt mit einer einheitlichen Botschaft und einer gemeinsamen Vertretung entgegenzutreten.
Bilderserie: Obama ist zurück
Schon in diesen ersten Monaten seiner Amtszeit präsentiert sich die Außenpolitik Obamas mit Konturen, die Auskunft über den spezifischen Obama-Mix aus Mut und Vorsicht geben. Es gehört dazu die Bereitschaft, trotz schwerer Wirtschaftskrise und ehrgeiziger Reformpläne in den USA auf eine Regierung wie die Benjamin Netanjahus in Israel heftigen Druck auszuüben- auch wenn dies den Hass und Widerstand der israelfreundlichen Lobbygruppen
in den USA provoziert, die jede
Distanzierung von der israelischen Regierungspolitik als Attacke auf die Integrität Amerikas bekämpfen.
Es gehört
dazu die Bereitschaft zu Tabubrüchen, etwa wenn Obama in der Kairoer Universität
den Islam zu den großen amerikanischen Religionen zählt und seine Rede mit Zitaten aus
dem "heiligen Koran"
spickt. Es gehört dazu taktische Zurückhaltung, wie bei der Weigerung
Obamas, klar Stellung im iranischen
Kampf um den Ausgang der Präsidentenwahl zu beziehen. Und es gehört dazu
auch der etwas zu tief
geratene Diener vorm saudischen König, einer Schlüsselfigur
bei der Suche
nach Frieden in Palästina.
So wie
die Einzelteile der Nahostpolitik, so fügt sich auch der
Umgang der neuen US-Regierung mit Kanzleramt, Elysée, Downing
Street und EU allmählich zu
einem schlüssigen Bild.
Obama, der
erste US-Präsident, der die Globalisierung mit seiner Lebensgeschichte ins Weiße Haus getragen
hat, kennt den hohen Stellenwert, den Europas Vergangenheit für Amerikas Geschichte und Gegenwart
hat. Mit der Bereitschaft, zum EU-USA-Gipfel im März
in Prag anzureisen, signalisierte er den Europäern, dass er ihr Streben
nach einheitlicher Außenpolitik prinzipiell begrüßt.
Mit der lässigen
Bereitschaft, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vor den Kopf zu stoßen, fordert er ein vereintes
europäisches Handeln und Auftreten praktisch ein. Denn Deutschlands
Kanzlerin und Frankreichs Präsident wird so mitsamt ihrer Öffentlichkeit
signalisiert, sie seien jeder für
sich nicht mehr wichtig genug,
um besondere Aufmerksamkeit
zu erfahren.
Es gibt
kaum Zweifel, dass der Mitte-Links-Politiker,
ehemalige Sozialarbeiter
und Elitejurist Obama die Europäer
als bevorzugte Partner anwerben möchte - aber nur, wenn
sie es schaffen,
zu den großen Aufgaben der Weltpolitik
eine klare und konstruktive Linie zu entwickeln und gemeinsam Risiken einzugehen. Das war die Botschaft
des ersten Besuchs. Wenn die Europäer aber die Zeichen des 21. Jahrhunderts verkennen, werden Merkel, Sarkozy und ihre Nachfolger nicht damit rechnen können,
von Obama gepflegt zu werden - so die Botschaft des zweiten.
Es gibt
auf der Welt andere Führungsfiguren, die für Washingtons Interessen mehr bedeuten als
um Aufmerksamkeit konkurrierende,
gestaltungsmüde Europäer. Es
wäre nicht verwunderlich, wenn Chinas Staatspräsident Hu Jintao - der Mann, der die Kreditwürdigkeit der USA mitbestimmt - bei seinem ersten
Besuch in Obamas Washington
mit der ausgesuchten
Höflichkeit behandelt würde, die Merkel und Sarkozy verweigert
wurde.
Thomas Klau ist FTD-Kolumnist. Er leitet die Pariser
Vertretung des European Council on Foreign Relations.