Obamas Prioritäten nicht in Europa
Ein Besuch voller
Gesten, aber dem Gestern verbunden:
Die Kommentatoren deutscher
Zeitungen sehen den Besuch des US-Präsidenten in
Deutschland durchaus kritisch.
Sie bemängeln vor allem seine unverbindliche Distanz.
"Leipziger
Volkszeitung":
"Merkel bringt das Kunststück fertig, mit zwei
US-Präsidenten solide auszukommen, die unterschiedlicher
kaum sein können. Aber in der Sache geht
es Obama nicht anders als
Bush: Nicht polternd, aber selbstbewusst und beharrlich vertritt die Kanzlerin ihre Meinung und deutsche Interessen.
Bush forderte sie auf,
Guantanamo zu schließen,
Obama will sie nicht ohne Not und Sinn Gefangene von dort abnehmen. Dass Obama Merkel freundlich Freundin nannte und Deutschland einen herausragenden transatlantischen
Partner, hat auch einen Umkehrschluss: Von guten Freunden darf man auch viel Hilfe
erwarten, etwa beim Militäreinsatz in
Afghanistan."
"Mitteldeutsche
Zeitung" (Halle):
"Bisher
hat der US-Präsident für seine wichtigen Verbündeten nicht mehr als
Gesten übrig. Obama erinnert an das Ende des Zweiten Weltkrieges, indem er nach
Buchenwald reist und an den Ärmelkanal,
wo vor 65 Jahren die Invasion der Alliierten begann. Der Inhalt der
politischen Gespräche ist - anders
als seine Rede in Kairo - bedeutungslos. Fast scheint es so, als habe
sich in Washington seit der Ära Bush zwar
der Ton geändert, nicht aber das Ansehen der Alten
Welt. Wir haben es erst geahnt,
jetzt wissen wir es: Obama setzt
wie jeder US-Präsident seine Prioritäten. Sie liegen derzeit nicht in Europa."
US-Präsident
Obama, Bundeskanzlerin Merkel sowie
die ehemaligen Häftlinge
Wiesel (r.), und Herz (l.) in Buchenwald
US-Präsident
Obama, Bundeskanzlerin Merkel sowie
die ehemaligen Häftlinge
Wiesel (r.), und Herz (l.) in Buchenwald
"Nordbayerischer
Kurier" (Bayreuth):
"Der
amerikanische Präsident hat
es schwer, stöhnen doch nicht
wenige innerlich genervt auf, weil
er auf Symbolträchtigkeit
so großen Wert legt. Warum lassen wir
uns nicht schlicht von Obamas Grundbotschaft inspirieren, und vergessen alle Deutungsversuche, die uns zu seiner Reise aufgedrängt werden? In unserer Welt der Flüchtigkeit haben wir uns ins
Gedächtnis zu rufen, wie urplötzlich
die Menschheit immer wieder ins Verderben schlittert. In der Normandie wird Obama heute daran erinnern,
dass Europa nun schon so lange
in Frieden und Wohlstand leben darf, weil
junge Männer damals bei der
Invasion und der Niederwerfung
des Nazi-Regimes ihr Leben verloren haben."
"Nürnberger
Nachrichten":
"Es war das erste Mal, dass ein US-Präsident den Fuß in ein früheres
Konzentrationslager setzte
und auf die Weise allen Opfern des NS-Regimes seinen Respekt erwies. Den Deutschen machte er mit dem
Gang durch die Gedenkstätte
wieder bewusst, welche Rolle neben
den Russen und Briten die Amerikaner bei der Befreiung Europas
spielten. Ohne den schnellen Vormarsch
der alliierten Armeen, der am 8. Mai 1945
zur Kapitulation der Wehrmacht führte,
hätten die Nazis noch monatelang weitergemordet."
Meinung
Wie groß ist
die Chance, dass Obama den Nahen
Osten befriedet?
hoch
50:50
minimal
"Saarbrücker
Zeitung":
"Sicher,
Angela Merkel wird mit
Obama nicht richtig warm, der Jubel um ihn
ist ihr
suspekt. Und der Präsident fremdelt wegen der nüchternen,
emotionslosen Art der Kanzlerin und ihrer damaligen Weigerung, ihn als Kandidat am Brandenburger Tor sprechen zu lassen.
Trotz durchaus auch unterschiedlicher Interessen: Merkels Vernunft und Obamas visionäre Kraft sind
nicht zwangsläufig Gegensätze. Das politische
Miteinander und den inhaltlichen
Austausch können diese persönlichen Eigenheiten sogar befördern. Wenn man
will."
"Sächsische
Zeitung" (Dresden):
"Dresden
darf mit diesem Besuch sehr
zufrieden sein. Es war eine große Ehre für
die Stadt, den mächtigsten
Mann der Welt begrüßen zu dürfen, erst
recht auf einer seiner ersten Auslandsreisen. Zumal die Amerikaner Dresden selbst ausgesucht und trotz Terminschwierigkeiten daran festgehalten haben. Sie würdigten
die Stadt als
internationalen Ort der Versöhnung, für die die Frauenkirche ein so starkes Symbol geworden ist, wie
es den Dresdnern selbst noch nicht
bewusst ist."
"Badische
Zeitung" (Freiburg):
"Kurz
und knapp sollte Obamas Besuch in Deutschland sein; es ging
ihm vor allem
um das Gedenken im KZ Buchenwald und den Besuch im US- Militärhospital Landstuhl. Doch irgendwie hat es
Angela Merkel wieder einmal
geschafft, mit auf dem Bild zu
sein. Das ist wichtig für die Kanzlerin, es ist Wahlkampf.
Auch deshalb hätte SPD-Kandidat
Frank- Walter Steinmeier nur auf das Gruppenfoto gedurft - so gemein kann Politik
sein."
"Kölnische
Rundschau":
"Obama will nicht den Eindruck aufkommen lassen, er kündige den Israelis bei aller Kritik
die grundsätzliche Solidarität
auf. Das Existenzrecht Israels
in gesicherten Grenzen in einer friedlichen Umgebung bleibt für die Amerikaner - wie für die Deutschen
- eine historische Verpflichtung. Wo
ließe sich das besser demonstrieren als an dem Ort, den Obama gestern gewählt hat? Aus deutscher Sicht ist das ein
wenig unglücklich. Der Besuch hebt unser
Land in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Da würde man einen intensiveren Blick auf die
deutsche - freiheitliche und demokratische
- Gegenwart begrüßen. Zumal Obama im vergangenen Jahr mit seiner Rede als Präsidentschaftskandidat
vor der Berliner Siegessäule Deutschland schon einmal als bloße
Kulisse gebraucht hatte."
Obama ist zurück
"Wiesbadener
Kurier":
"Für
die deutschen Gastgeber blieb kaum Zeit, auch deshalb, weil
Obama mit der wahlkämpfenden Kanzlerin wenig Neues zu
besprechen hat. Die Felder der
Zusammenarbeit und manch subtile Verweigerungshaltung der Europäer sind dem Amerikaner seit Nato- und G20-Gipfel bekannt. Die
unverbindlich-höfliche Bilanz
Obamas und Merkels in
Dresden spricht Bände: Ohne den Blick nach Hause wäre
ein Besuch in Deutschland für den Präsidenten schlicht unnötig gewesen."
"Lübecker
Nachrichten":
"Die Bilder,
auf denen Obama zusammen mit der deutschen
Kanzlerin und zwei Überlebenden der NS-Barbarei Blumen niederlegte und vor dem Eingangstor von Buchenwald sprach, werden in die Geschichte eingehen. Im Vorfeld
war der Besuch in der KZ-Gedenkstätte nur als eine Art Kompensation gegenüber dem nicht
besuchten Israel eingestuft
worden. Doch so kleinkariertes Kalkül
wird dem großen geschichtlich- moralischen Politik-Ansatz Obamas nicht gerecht."
"Neue
Osnabrücker Zeitung":
"Das Ausnutzen
von Gesten, Bildern, Symbolik ist
seit jeher fester Teil von Politik. Und keineswegs ein schlechter, solange darüber nicht in Vergessenheit gerät, wie es steht
um die Substanz des Politischen.
Die Strahlkraft der deutsch-amerikanischen Beziehungen
hält sich derzeit jedenfalls in Grenzen. In der G8 wie in der NATO, in Afghanistan, aber auch an Obamas
Reisezielen ist
das Schwinden der Bedeutung Deutschlands offenkundig. So sehr der wahlkämpfenden Kanzlerin das Sonnenbad in Obamas Popularität gegönnt sei dagegen
muss sie endlich mehr tun, als
sympathisch mitzulächeln."