George W. Obama
von Fidelius Schmid
Die Entscheidung
des US-Präsidenten, die Militärtribunale
für Gefangene in Guantanamo
aufrecht zu erhalten, mag innenpolitisch
und taktisch betrachtet richtig sein. Moralisch
und juristisch aber ist sie ein Desaster.
Es gibt Hunderte Gründe,
warum die Amerikaner und der Rest der Welt Barack Obama so
fantastisch fanden. Er ist rhetorisch brillant, gut aussehend - und vor allem versprach
er eines: Change. Veränderung.
Was für manche wie eine hohle
Phrase klang, drückte einen Wunsch rund
um den Globus in einem Wort aus: Es musste
jemand kommen, der mit den acht
fürchterlichen Jahren
George W. Bushs als
Präsident der USA und Oberkommandierender der stärksten Militärmaschine der Welt bricht. Und zwar radikal.
Obama tat es
- gleich in seiner Antrittsrede.
Er, sein Stellvertreter Joe Biden und seine Außenministerin
Hillary Clinton versäumten keine
Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass diese oder
jene schlimme Entscheidung aus der Bush-Ära stamme
und damit der Vergangenheit angehöre.
Obama
bricht ein zentrales Wahlkampfversprechen
Obama bricht ein zentrales Wahlkampfversprechen
Jetzt aber hat Obama diesem
Mythos ein paar ernsthafte Macken zugefügt. Er will Angehörige der CIA, die im Auftrag der Bush-Regierung Terrorverdächtige gefoltert haben, nicht rechtlich belangen. Entgegen einem anderslautenden Gerichtsurteil will der Präsident Fotos, die US-Soldaten bei Misshandlungen
von Gefangenen in Afghanistan und im
Irak zeigen, nicht veröffentlichen.
Versprechen
gebrochen
Und nun will Obama auch noch die Militärtribunale
wieder aufleben lassen, mit denen
die Bush-Regierung Terrorverdächtige
unter Missachtung aller gängigen westlichen Rechtsgrundsätze verurteilen lassen wollte. Diese Entscheidung
ist keine
nachträgliche Einsicht, sondern ein bedauernswertes
Schwächeln eines Mannes, der ein katastrophales
Erbe antreten musste.
Auf jeden
Fall handelt es sich um einen klaren
Bruch eines zentralen Wahlkampfversprechens. Mehrfach und deutlich
hat Obama sich gegen diese Scheingerichtsverfahren ausgesprochen. Und nun? Waren sie auf einmal doch prima?
Keineswegs. Die von
Bush ins Leben gerufenen Tribunale sind ein Skandal
für sich. Sie beschränkten die Rechte der Angeklagten
auf Rechtsbeistand, ließen Gerüchte als
Beweise zu und werteten Aussagen, die unter Folter erpresst
wurden, als Geständnisse. Niemand, der diese Institutionen verteidigt, sollte muslimische Scharia-Gerichte kritisieren.
Zugegeben, Obama will die Tribunale verbessern. Aussagen, die mithilfe des sogenannten
Waterboardings und anderer grausamer Verhörtechniken erzwungen wurden, sollen nicht mehr
berücksichtigt werden dürfen. Das mildert zwar ein wenig
den Skandal - schafft ihn aber nicht
aus der Welt. Bei allem Respekt
und Verständnis für innenpolitisch notwendiges Taktieren, diese Entscheidung ist
kontraproduktiv und unnötig.
Es gibt
in den amerikanischen Gefangenenlagern
in Guantánamo, im afghanischen
Bagram und überall sonst grob gesagt
zweierlei Typen von Häftlingen: Diejenigen, die die USA festnahmen, weil sie
als Kämpfer in einem Krieg auf der anderen Seite standen.
Und diejenigen, die amerikanische
Geheimdienstler oder
Soldaten irgendwo auf der Welt als Terrorverdächtige
gefangen nahmen und verschleppten.
Was die Kriegsgegner
der USA in Afghanistan oder
im Irak angeht,
so kann es den Amerikanern niemand verdenken, dass sie diese Kämpfer
nicht an der nächsten Ecke freilassen,
nur um zuzusehen, wie sie am nächsten
Tag wieder zur Waffe greifen. Für diese Gefangenen
kann es daher
nur zwei Möglichkeiten geben: Die USA können sie den afghanischen oder
irakischen Behörden übergeben - oder sie als Kriegsgefangene
selbst festhalten. Das ist legitim.
Aber den Gefangenen müssen dann alle
Rechte der Genfer Konventionen zum Schutz von Kriegsgefangenen zustehen.
Der Rechtsstaat stört nicht
Anders verhält
es sich mit
Terrorverdächtigen aus aller Welt, die sich noch in US-Gewahrsam befinden. Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie das Planen und Ausführen terroristischer Anschläge sind Straftaten
- auch wenn die Verdächtigen zugleich in einem bewaffneten Konflikt auf der anderen Seite standen.
Diese Personen gehören vor ein
ordentliches Gericht - mit allen
Rechten, die Angeklagten dort zustehen.
Es ist kompliziert und dauert lange, jemanden
vor einem ordentlichen Gericht rechtskräftig zu verurteilen? Man kann jemanden dort
nicht verurteilen, ohne seine Schuld zweifelsfrei zu beweisen? Ein Schuldiger
könnte dort
aus Versehen davonkommen? Ja,
das stimmt. Und ja,
das ist unpraktisch. Aber so sind
die Regeln - und es sind die besten, die die USA und alle Demokratien westlicher Prägung haben. Sie unterscheiden westliche Demokratien von Diktaturen, Scheindemokratien und Gottesstaaten.
Zusammen sind
sie eine unserer größten Errungenschaften überhaupt: der Rechtsstaat. Und den darf man nicht kurzerhand in die Ecke stellen, wenn er
stört.
Umso erschreckender ist es, wenn Obamas Einknicken
auch noch beklatscht wird, erst recht auf unserer Seite des Atlantiks. Die Militärtribunale sind keineswegs
- wie ihre Verteidiger nonchalant behaupten
- ohne Alternative. Wer so argumentiert, kann gleich die Abschaffung standrechtlicher Erschießungen beklagen.
Aus der
FTD vom 19.05.2009