G2 statt G20

 

von Thomas Klau

 

Amerika und China brauchen einander wie nie zuvor. Europa muss schauen, dass es nicht an den Rand gedrängt wird. Wenn die Europäer ihr Gewicht nicht bündeln, wird es ihnen wie den Briten ergehen.

 

Aus der Finanzkrise wurde eine Wirtschaftskrise, die jetzt in eine Sozialkrise mündet, wie sie der reichere Teil der Welt seit den Nachkriegsjahren nicht mehr erlebt hat. In den meisten Ländern Europas wird Armut vom Sozialstaat abgefedert, auch wenn dessen Leistungen wie in Deutschland eingeschränkt wurden und nicht mehr garantiert ist, dass der Mensch mehr zum Leben hat als schlechte Nahrung und ein geheiztes Zimmer.

 

In den USA aber führt die Implosion des Finanzsektors zu sozialen Folgen, die sich in das Gedächtnis einer Generation einprägen werden. Ein Freund von mir, der in Washington als Journalist arbeitet, recherchierte kürzlich in Ohio eine Reportage über Amerikaner, die älter als 75 Jahre sind und wegen des Zusammenschmelzens ihrer staatlich geförderten, aber finanzmarktgestützten Altersversorgung Arbeit suchen müssen. Da ist die 78-jährige frühere Sozialarbeiterin, die bereit ist, für 5 $ pro Stunde an der Supermarktkasse Lebensmittel einzutüten. Oder der bald 80-Jährige, der auf sein Durchhaltevermögen und seine Managerqualitäten verweist.

 

Es ist großartig, wenn alte Menschen weiterarbeiten können, wenn sie fit genug sind und es wollen. Es ist grausam und war in unseren Gesellschaften bisher fast unvorstellbar, wenn gut ausgebildete Menschen in hohem bis sehr hohem Alter miserabel bezahlte Jobs annehmen, um ihre Kalorien nicht von der Suppenküche beziehen zu müssen. Hier ist mehr eingestürzt als eine realitätsblind gewordene, materiellen und spekulativen Exzessen fröhnende Finanzwelt. Es ist ein Wirtschafts- und fast ein gesamtes Zivilisationsmodell, das zu versagen droht, sollte es den Regierungen nicht gelingen, die Krise im kommenden Jahr einzudämmen.

 

Washington bleibt das neue Rom

 

Am stärksten getroffen wird die Glaubwürdigkeit des Modells USA. Privat und kollektiv haben die Amerikaner ein Leben auf Pump gelebt, das zu einem großen Teil aus den hart erwirtschafteten und hart ersparten Überschüssen der aufstrebenden Macht China finanziert wurde. In China, wo es bis jetzt kaum einen Sozialstaat gibt, beträgt die Sparquote der Privathaushalte im Durchschnitt 40 Prozent. Die Weltwirtschaftskrise wirft ein grelles Licht auf die Abhängigkeit der alten Macht im Westen von der neuen Macht im Osten - auch wenn Gläubiger und Schuldner in einer Schicksalsgemeinschaft verzahnt sind, weil der Ruin des einen für den anderen zwar einen Machtgewinn, aber auch einen riesigen Geldverlust bedeuten würde.

 

Washington ist das neue Rom, wie Architektur und Name des Kapitols, aber auch das Verhalten von Europäern und anderen verrät, wenn sie dem Senat und dem Cäsar im Weißen Haus ihre Aufwartung machen. Auch in der Krise ist Washington immer noch Rom, aber es ist das Rom des vierten und vielleicht sogar schon des fünften Jahrhunderts - und die Barbaren sind nicht nur vor den Toren, sondern schon in der Stadt. Die Barbaren sind dieses Mal keine Vandalen, sie sind Emissäre eines Landes mit jahrtausendealter Hochkultur. Fremd sind ihre Sitten trotzdem, denn sie mögen keine Demokratie. Anders als damals der Gote Alarich kommen die Chinesen aber nicht, um Geld zu holen, sondern um es zu bringen.

 

Doch das Resultat ist vergleichbar: Neu-Roms Prestige hat wie Alt-Rom damals einen riesigen Schlag erlitten. Die Macht der USA ist in ihrem Fundament geschwächt; der Irakkrieg und bald vielleicht auch der Krieg in Afghanistan haben den Glauben an Amerikas strategische Weisheit für eine Generation demoliert, und der Glaube an die Überlegenheit des amerikanischen Wirtschaftsmodells und Wirtschaftsmanagements ist ebenfalls dahin. Die US-Wirtschaft ist in den Abgrund gefallen, sagte diese Woche der geniale Investor Warren Buffett, einer der wenigen, der die Gefahren des Kasinokapitalismus voll erkannt und versucht hatte, mit Kassandrarufen den Crash aufzuhalten.

 

Wären die Regierungszentralen Europas nicht so sehr mit der eigenen Misere beschäftigt und hätten wir Führungsstrukturen, die europäisches Denken statt nationales Klein-Klein organisieren, dann würde man jetzt darüber nachdenken, wie der Albtraum eines globalen G2-Duopols aus dem größten Schuldner und dem stärksten Gläubiger der Welt zu verhindern ist. Ungeachtet aller Probleme der USA sollten wir nicht vergessen, dass die Demografie die Amerikaner begünstigt und die USA besser als die Europäer in der Lage sind, die produktive Integration von Einwanderern zu bewältigen.

 

Abgespeist mit DVDs

 

Chinas Führung sieht zu Recht in den USA einen geschwächten, aber noch immer starken Partner. Peking könnte jetzt versucht sein, die objektiv bestehende Interessengemeinschaft mit Washington zu einer neuen Form der Kooperation auszubauen. US-Außenministerin Hillary Clinton hat bereits signalisiert, dass Washington das Thema Menschenrechte im Dialog mit China zurückfahren werde - aus Sicht Pekings ist das ein wichtiges Signal.

 

Obama wird bald zu seiner ersten Auslandsreise als US-Präsident nach Europa kommen. Das ist beruhigend; politisch gesehen wird sich Obama mit seinem Interesse am Sozialstaat und Umweltschutz, seiner Vergangenheit als Initiator von Bürgerrechtsinitiativen und seiner Ausbildung als Verfassungsjurist unter den Europäern viel wohler fühlen als unter den Vertretern autoritärer Systeme, und seien sie noch so klug und kultiviert. Doch Obama hat viele Sorgen und wenig Zeit, und China hat das Geld, das die Amerikaner brauchen.

 

Wollen die Europäer gehört werden, müssen sie ihre Botschaft bündeln und mit einer Stimme sprechen. Andernfalls könnte es ganz Europa so ergehen wie neulich den Briten, den eigentlich ganz besonders engen Partnern der USA: Bei seinem Besuch bei Obama wurde Premierminister Gordon Brown mit einer schnöden Sammelbox mit amerikanischen Filmklassikern als Gastgeschenk abgespeist, die für die Wiedergabe auf europäischen DVD-Spielern auch noch untauglich waren. Wenn die Amerikaner bald allen Europäern Filme schenken, die wir hier noch nicht einmal ansehen können, ist es Zeit, sich wirklich Sorgen zu machen.

 

Thomas Klau ist FTD-Kolumnist. Er leitet die Pariser Vertretung des European Council on Foreign Relations.