Ja, Obama will
von Thomas Klau
Die ersten
Schritte des neuen US-Präsidenten in der Nahostpolitik sind
das Signal für eine echte Zeitenwende. Er zeigt ein
außenpolitisches Feingefühl,
dass seinen Vorgängern völlig abging - und angenehm überrascht.
Seit der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten herrscht die Befürchtung,
dass der Kampf gegen den Kollaps der US-Wirtschaft kaum Raum für andere
Themen lassen werde. Diese Skepsis
hat Obama gleich in der ersten Woche seiner Amtszeit widerlegt. Kein anderer Präsident
der US-Geschichte, auch
Franklin D. Roosevelt nicht, ist so schnell und umfassend ins Regierungsgeschäft eingestiegen wie er.
Auf breiter
Front zerlegt Obama das desaströse
Erbe, das sein Vorgänger George W. Bush hinterlassen
hat. Innerhalb von 48 Stunden
kamen die weltweit erwünschten Signale zum Verbot der
Folter und zur Schließung des Gefangenenlagers
Guantánamo. Das Versprechen einer mutigen Klimaschutzpolitik
wurde in klarer Form erneuert.
Waren diese Schritte noch erwartet worden,
so kam das Tempo, mit dem Obama in der Nahostpolitik Profil zeigte, überraschend - zumal er während
des Gazakonflikts geschwiegen
hatte. Schon am Tag nach der Amtseinführung kündigte der Präsident
an, den großartigen Nordirland-Vermittler
George Mitchell zum Nahostgesandten
zu ernennen. Vier Tage später gab er dem Fernsehsender
al-Arabjia ein Interview,
das viele Merkmale einer Grundsatzrede trug. Es wird allem Anschein nach einem signifikanten
Bruch mit der bisherigen amerikanischen Politik im Nahen
Osten den Weg bereiten und damit in die
Geschichte eingehen.
Diplomatisch virtuoses Interview
Es war für
sich genommen bereits ein Ereignis,
dass ein US-Präsident das erste volle Interview seiner Amtszeit einem arabischen Sender gewährte. Doch das knapp zwanzigminütige Gespräch ist
nicht nur seines Timings wegen bemerkenswert. Obama bekennt sich zur
Sicherheit Israels und wirbt zugleich um das Vertrauen der arabischen
und islamischen Welt. Das hat es in dieser Weise und Wortwahl in der amerikanischen Politik noch nicht gegeben.
Jenseits des politischen Inhalts, der schon
wegen der Reverenz für den saudischen Friedensplan von 2002 auffällt, ist das diplomatisch virtuos formulierte Interview ein sehr persönliches Bekenntnis des Amerikaners Obama zur Aussöhnung mit der islamischen
Welt.
"Ich
respektiere euch, ich schätze euch,
ich werde euch anders
als viele meiner Vorgänger zuhören und akzeptieren, dass wir uns
zuweilen geirrt haben und ihr mit
uns nicht immer übereinstimmen werdet" - das ist zusammengefasst die Botschaft des
US-Präsidenten. Und er macht klar, dass
er, der muslimische
Familienmitglieder hat und in einem
islamischen Land gelebt
hat, weiß, wovon er redet.
Dass Obamas Nahostpolitik
einen echten Neubeginn markiert und seine Worte mehr sind als gut klingende Floskeln, wird deutlich, wenn man nachliest, was der neue Nahostgesandte
Mitchell zum Thema Konfliktlösung denkt. "Jede Situation ist
einzigartig, doch erfolgreiche diplomatische Interventionen haben viel gemeinsam", schrieb Mitchell vor zwei Jahren. Bei Verhandlungen sollten Vorbedingungen auf ein Minimum reduziert werden und man dürfe das Verhandlungsziel nicht an den Anfang des Prozesses stellen. Gespräche brauchten Zeit und Beharrlichkeit und es sei oft weise,
daran auch jene Gruppen zu
beteiligen, die für ihre Ziele mit
Gewalt kämpften. Schließlich sei es ein
Fehler, von den Parteien zu verlangen, dass
sie ihre politischen Träume preisgeben. Entscheidend ist nach
Ansicht Mitchells vielmehr,
dass sie darauf verzichten, diese Träume mit
anderen Mitteln als denen einer
friedlichen Demokratie durchzusetzen.
Aus diesen
Worten sprechen der gesunde Menschenverstand
und die Weisheit eines erfahrenen und begabten Vermittlers - und damit genau das, was der amerikanischen Nahostpolitik in
den acht Jahren mit George W. Bush, aber auch in den Jahren davor allzu oft gefehlt hat. Die US-Politik steht zu Recht
in dem Ruf, von den Palästinensern vielleicht zu viel und von den Israelis gewiss zu wenig
Zugeständnisse gefordert zu haben. Das hat ihre Glaubwürdigkeit in der arabischen Welt erheblich geschwächt. Der frühere US-Senator Mitchell, Sohn einer im
Libanon aufgewachsenen arabischen Mutter und eines Vaters irischer Herkunft, hat sich in seiner politischen Karriere in den USA
stets als arabischstämmiger Amerikaner bezeichnet. Dieser Lebenslauf, seine Kontakte, seine
politischen Erfahrungen und
sein Verhandlungstalent machen ihn zur
Idealbesetzung. Darüber hinaus gibt es
in Obamas klug
komponiertem Regierungsteam
mit Außenministerin Hillary
Clinton und anderen politische
Schwergewichte, die als Garanten der amerikanischen
Loyalität zu Israel dienen können.
Keine
Alternative zur Zweistaatenlösung
Natürlich ist
im Nahostkonflikt immer Skepsis angebracht.
Israel hat im Westjordanland
eine konsequente Landnahme betrieben. Palästina und Israel sind
politisch zersplittert und eine bedeutende Minderheit auf beiden Seiten wurde radikalisiert.
Die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung ist
geringer geworden und die
Zeit arbeitet womöglich gegen einen Ausgleich.
Doch der Verzicht auf diese Lösung würde angesichts
der demografischen Entwicklung für die Juden in Israel bedeuten, dass sie nur
zwischen drei katastrophalen Alternativen wählen könnten: Entweder sie vertreiben
die Palästinenser oder sie werden im
eigenen Staat zur Minderheit oder sie verweigern
den Palästinensern dauerhaft
elementare Bürgerrechte. Es
wäre kaum fassbar, wenn die Einsicht in diese Gefahr nicht über
kurz oder
lang Bewegung in die Konfliktlösung brächte.
Mit seinen ersten
Entscheidungen und Äußerungen
zu einem Kernkonflikt der internationalen Politik hat Obama
ein außenpolitisches Engagement,
eine diplomatische Feinfühligkeit und ein politisches Gespür demonstriert, das auch begabten Vorgängern wie Bill Clinton in dieser Phase ihrer Amtszeit komplett abging. Es hat nichts mit irrationaler
Begeisterung oder
Naivität zu tun, daraus erhebliche
Zuversicht zu ziehen. Wir waren acht Jahre mit dem
schlechtesten Präsidenten der US-Geschichte gestraft.
Obamas erste Schritte geben Anlass zur Hoffnung,
dass in vier oder acht
Jahren ein entgegengesetztes Urteil gefällt werden kann.
Thomas Klau ist FTD-Kolumnist.
Er leitet die Pariser Vertretung des European
Council on Foreign Relations.