Obamas stille Revolution
von Sabine Muscat
Die USA bleiben
auch nach dem Sieg des Demokraten
ein konservatives Land.
Will er Erfolg haben, muss er die Deutungshoheit über traditionelle amerikanische Werte gewinnen.
Die Fußgänger
und die Autofahrer, die in der
Nacht zu Mittwoch in den Straßen von
Chicago, New York und Washington jubelten und hupten, feierten nicht nur den Sieg
von Barack Obama. Sie feierten
das Ende einer Ära, die die meisten
von ihnen als
das Ende der Präsidentschaft von George W. Bush bezeichnen
würden. Doch manche Kommentatoren gingen weiter: Sie bezeichneten den 4. November
2008 als das Ende der konservativen
Revolution in Amerika, die mit
Ronald Reagan begonnen hatte.
Dafür spricht, dass vielen Wählern
klar gewesen sein dürfte, dass
der Republikaner John
McCain weder als
US-Senator noch im Wahlkampf die Reinkarnation des zweiten Präsidenten Bush war, als den ihn die Demokraten karikierten. Doch die Themen seiner Kampagne klangen wie ein hohles
Echo der 80er-Jahre. Der Kandidat pries niedrige Steuern als
Allheilmittel, und er biss sich an seinem
Ruf nach Ausgabenkürzungen fest - auch als die globale Finanzkrise komplexere Antworten erforderte.
Er versprach ein starkes Militär
und eine muskulöse Außenpolitik und verfiel dabei in die Rhetorik des Kalten Krieges. Für die dritte Säule des Konservatismus Reagan'scher Prägung, den moralischen Traditionalismus, war Vizekandidatin Sarah Palin zuständig. Sie schimpfte auf gottlose urbane Liberale und raunte den Wählern im Hinterland zu: Obama ist
keiner von uns.
Bilderserie: Obamas Netzwerk
Die Strategie
hat bekanntlich nicht geklappt. Obama geht mit einem starken
Mandat aus der Wahlnacht, und die Nation ist anders als
nach den knappen Ergebnissen 2000 und 2004 geeint
in ihrem Wunsch nach einem Neubeginn.
Allerdings
wäre es ein
schwerer Fehler, daraus zu schließen,
dass das konservative Amerika ausgedient hat.
Gefahr eines Aufruhrs
Obama wurde auch von vielen gewählt, die sich zu traditionellen
Werten bekennen und vor allem aus
Furcht vor dem wirtschaftlichen Niedergang auf einen Neuanfang setzten. Ihnen wird
der neue Präsident beweisen müssen, dass er
nicht "zu radikal, zu riskant"
ist, wie
ein TV-Spot der Opposition ihn beschrieb. Sonst riskiert er einen
konservativen Aufruhr.
Liberale Revolutionen haben
in Amerika wenig Chancen. Nach einer Umfrage
des Magazins "Newsweek" definieren
40 Prozent der Amerikaner ihre Grundeinstellung als "konservativ", nur 20 Prozent als "liberal".
Obama ist sich dieser Gefahr
bewusst. Menschen, die ihn kennen, sagen,
er habe die Lektion aus der
ersten Amtszeit von Bill
Clinton gelernt. Dieser war bei
Themen wie der Gesundheitsreform und Rechten für Homosexuelle
vorgeprescht und hatte so seinen Vertrauensvorschuss und
seine demokratische Parlamentsmehrheit
verspielt.
Über die Gefühlswelt seiner Landsleute dürfte Obama informiert sein. In seinem breit angelegten
Wahlkampf hat er Staaten bereist, in die kaum ein Demokrat
je einen Fuß gesetzt hat. Er hat dabei Menschen getroffen wie Brian Schweitzer,
den Gouverneur von Montana, der
niemals den Waffenbesitz oder traditionelle
soziale Werte infrage stellen würde, aber für
eine Energiewende eintritt. Politiker wie Schweitzer, der als prominenter
Redner beim Parteitag in Denver auftrat, könnten Obamas Absicherung gegen eine konservative Revolte sein.
Die größte
Frage für eine Obama-Regierung wird sein, ob auch
die Demokraten im Kongress, die sich ob ihrer gestärkten Mehrheiten die Hände reiben, diese Gefahren
kennen. Das "Wall Street Journal" listete am Donnerstag die prominenten Demokraten auf, die
den Präsidenten zu einem Linksruck drängen könnten, darunter Schwergewichte wie Senator Chuck Schumer aus New
York, der nach der Rekapitalisierung der Banken weitere
Hilfen für strauchelnde Unternehmen oder Bundesstaaten fordern könnte. Wenn Obama das nicht wolle, werde er
deutlich nein sagen müssen, so die Zeitung.
Bibelfester als
viele Republikaner
Die Basis dafür
ist nicht
schlecht. Es war auch die Welle der Begeisterung
für seinen Wahlkampf, der viele neue Demokraten
im Kongress ihre Sitze verdanken.
Die Partei dürfte in diesem Moment der Dankbarkeit Besseres zu tun haben,
als ihrem
eigenen Präsidenten mit überzogenen Forderungen das Leben schwer zu machen.
Die Finanzkrise gibt Obama auch die Gelegenheit, die schwierigsten Strukturänderungen langsamer anzugehen.
Zudem hat der neue
Präsident gute Chancen, eine Debatte
um Werte zu überstehen. So dürfte
er sich nicht
zu Beginn seiner Amtszeit für Themen
wie Homoehe und Abtreibung verkämpfen. Auch das religiöse Lager könnte er in den Griff bekommen. Der Christ Obama
ist bibelfester
als viele Republikaner.
Solange Obama den Ruf nach mehr sozialer
Gerechtigkeit clever verpackt,
könnte er auch hier mehr
Spielraum haben, als Skeptiker
glauben. So will er jene schützen, die sich nicht selbst
helfen können: Kranke ohne Versicherungsschutz,
Jugendliche ohne Ausbildungschancen. Die anderen aber fordert er
zum Mitmachen auf. Freiwilliges soziales Engagement
und eigene Verantwortung sind uramerikanische
Tugenden, die bei Obama eine große Rolle
spielen. Gelingt es ihm, dies deutlich zu machen, so kann
er eine große
politische Leistung vollbringen: Obama könnte den Republikanern die Deutungshoheit über amerikanische Werte abnehmen.