Alaska statt
Irak
von Thomas Klau
John McCain hat eine Vizepräsidentin designiert, deren außenpolitische Vorstellungen ein komplettes Mysterium sind. Die Entscheidung für Sarah Palin ist damit vor
allem eins: verantwortungslos.
Wir wussten aus
seiner Biografie, dass John
McCain ein Draufgänger ist: Rebellion und Risiko sind seit Kindheitstagen
sein Lebenselixier, wie die Mutter Roberta uns versichert. Umso beeindruckender war die Disziplin, mit der McCain in letzter Zeit Wahlkampf machte. Ganz gegen
seine Neigung hielt sich der Präsidentschaftskandidat
der Republikaner strikt an die Sprechzettel,
die seine Wahlkampfstrategen ihm
vorlegten. Ein politisch nach rechts glatt geschliffener
Republikaner McCain blieb konsequent on message, "auf Botschaft",
wie man im Jargon der amerikanischen Politik sagt. Die Journalisten trauerten dem alten Freigeist
nach, doch in den Umfragen zahlte sich die harte Wahlkampfregie aus. Der Rückstand McCains
auf seinen demokratischen Kontrahenten Barack Obama schrumpfte,
und die Perspektive eines republikanischen Erfolgs am 4.
November scheint nicht mehr illusorisch.
Auf einen
Schlag hat McCain vergangene
Woche demonstriert, dass die Vorsicht Firnis war und der Hang zu Risiko und Vabanquespiel
zu einer Grundmelodie seiner Präsidentschaft
würde. Die Nominierung der außerhalb Alaskas
fast völlig unbekannten, außenpolitisch unbeleckten Gouverneurin Sarah Palin als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft ist so kühn, dass einige
namhafte republikanische Kommentatoren die Wahlkampfsolidarität
fahren ließen und McCain so
heftig kritisierten, als trete der
für die Demokraten an.
Wahlkampftaktisch versperrte sich McCain mit der Auswahl Palins
jede weitere Möglichkeit, dem charismatischen Obama glaubwürdig
mangelnde politische Erfahrung anzulasten - eine Kritik, die den Kern seiner bisherigen Wahlkampfstrategie gebildet hatte. Stattdessen setzt der Senator nun alles daran, den Teil der Wählerschaft zu gewinnen, der
Washington primär als Sündenpfuhl sieht und Palin klasse findet, weil sie das Traumbild
der superaktiven, frisch-fromm-fröhlich amerikanischen
Ehefrau und Mutter verkörpert.
Palin soll
Christen, Jäger und Abtreibungsgegner
begeistern und dazu noch die Stimmzettel enttäuschter Anhänger Hillary
Clintons erobern, die es nicht verwunden haben, dass die Demokraten auch dieses Mal wieder mit zwei
männlichen Spitzenkandidaten
in den Wahlkampf ziehen. Zum Kriegshelden McCain, dem tapferen Marineflieger
aus der amerikanischen
Oberschicht, bildet Palin ein volksnäheres Mittelschichtspendant. Vor allem auf weiße amerikanische Wähler könnte das Paar McCain-Palin eine ähnliche Anziehungskraft
ausüben wie der Kandidat Obama auf die in diesem Wahlkampf wie nie zuvor
mobilisierte schwarze Wählerschaft.
Palins Nominierung ist dennoch ein
enormes Risiko - und zeigt, dass McCain bereit ist, den Rat von Experten zu ignorieren,
Anhänger zu schockieren und alles auf eine Karte zu
setzen. Der Wahlforscher Charles Cook, einer der besten Analysten
der US-Politik, brachte es auf den Punkt: "Die Entscheidung für Palin war entweder brillant oder ein
Fehlgriff gewaltigen Ausmaßes." Sollte Palin in der Fernsehdebatte mit ihrem Kontrahenten,
dem außenpolitisch erfahreneren demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten Joe Biden, versagen, könnte das im Extremfall McCain die Präsidentschaft kosten. Es gibt zwar die alte
Faustregel, dass der Nebenwahlkampf der Vizepräsidenten in spe bei der
Entscheidung der Wähler keine Rolle
spielt. Doch die bietet McCain womöglich wenig Schutz, wenn
die Demokraten am Beispiel Palins nachweisen können, dass die Gouverneurin von Alaska schwere außenpolitische Lücken aufweist und McCain somit die nationale Sicherheit der USA aufs Spiel setzt.
McCains Hybris und Verantwortungslosigkeit sind schon jetzt offenkundig.
Hybris, weil nur der Glaube
an die eigene Unsterblichkeit
in den nächsten vier Jahren die Entscheidung rechtfertigen kann, eine Vizepräsidentin an seine Seite zu rufen,
die neben zwei Jahren als Gouverneurin
von Alaska nur Erfahrung als Bürgermeisterin eines Vororts von Anchorage vorweisen kann. Verantwortungslosigkeit, weil US-Präsidenten in hohem Maße anschlagsgefährdet sind, wie die Ermordung
John F. Kennedys, aber auch
der Anschlag auf Ronald
Reagan zeigten. Der erfolgte am 30. März 1981, 69 Tage nach Reagans
Amtsantritt, und hätte den damaligen Präsidenten fast das Leben gekostet. Man stelle sich vor,
ein Präsident McCain würde am Abend des 30. März 2009 erschossen - und die
Welt wacht am folgenden Tag
mit einer US-Präsidentin Palin auf, die vor weniger als zwei
Jahren in einem Interview zum Irakkrieg erklärte:
"Ich war so sehr auf
die Regierung des Staates
Alaska konzentriert, dass ich mich um den Krieg im Irak nicht
viel gekümmert habe."
Man muss in der amerikanischen Geschichte Jahrzehnte zurückgehen, um auf einen Vizepräsidenten zu stoßen, der
für sein Amt so schlecht qualifiziert war wie Palin. Als der Vater des jetzigen
US-Präsidenten, George Bush, den Parlamentarier
Dan Quayle zu seinem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten designierte, wurde er wegen
dessen Mangels an außenpolitischer Erfahrung heftig kritisiert - obwohl dieser zwölf
Jahre dem US-Kongress angehört hatte. Palin hat sich vor allem in der
Korruptionsbekämpfung profiliert,
und es ist eine hübsche Ironie
der Geschichte, dass
Richard Nixons wegen Korruption aus dem Amt gedrängter Stellvertreter Spiro Agnew der letzte US-Vizepräsident war, der mit so wenig
jobspezifischen Vorkenntnissen
sein Amt antrat.
Über Palins Familie
und Person ist in den USA in den vergangenen
Tagen mehr publiziert worden als über ihre
Ansichten zu Politik und Außenpolitik, was kein gutes Licht
auf die intellektuelle Verfassung
der USA und der amerikanischen Medienöffentlichkeit
wirft. Ein Prediger hat die erste Zweierdebatte der Präsidentschaftskandidaten McCain und Obama moderiert, und diese mussten Rede und Antwort zu ihrer
Haltung zum Glauben und ihrem Umgang mit dem
biblisch Bösen stehen. Eine Politikerin
könnte in fünf Monaten Präsidentin werden, deren Haltung
zu Krieg und Frieden weitgehend ein Mysterium ist, und
man diskutiert die Auswirkungen
der Schwangerschaft ihrer Tochter. Das Land, in dem all dies passiert, ist das mächtigste der Welt. Wie lange
noch?
Thomas Klau
ist FTD-Kolumnist. Er leitet die Pariser
Vertretung des European Council on Foreign Relations.