Unter allen Bildern
aus dem Konfliktgebiet
Georgien spricht eines eine besonders
deutliche Sprache. Ein von Demonstranten in Tiflis aufgehängtes Plakat zeigt Russlands Premier Wladimir Putin mit drohend ausgestrecktem Zeigefinger. Darüber stehen Daten: Ungarn
1956, Tschechoslowakei 1968, Afghanistan 1979 - und Georgien 2008.
Historische Analogien wie diese dienen
natürlich auch dazu, die georgische Sicht der Dinge
zu propagieren. Entscheidend ist aber, dass sie
in Ost- und Mitteleuropa
von jedem verstanden und
von vielen Menschen auch geteilt werden.
Russland gilt dort spätestens seit Putin als potenzieller Angreifer, der die sowjetische Tradition fast ungebrochen
fortsetzt. Die Präsidenten Polens, der Ukraine und der drei baltischen
Staaten, die am Mittwoch in
Tiflis waren, hätten gegen das Plakat wohl wenig einzuwenden.
Politiker in Frankreich, Italien und Deutschland hingegen haben nur wenig
Verständnis für diese Sicht, die sie für gewöhnlich
mit historischer Überempfindlichkeit begründen. Dass sich unter
Putin ein neues aggressives Russland entwickelt hat, das nach dem alten Status der Großmacht giert,
wird dort gern ignoriert.
Bereits zu Beginn
der Verhandlungen über eine Lösung
für den Georgienkonflikt zeigt sich, dass
es um mehr geht als nur
um unterschiedliche Geschichtsinterpretationen.
Europa will vermitteln, doch es ist
in sich so gespalten, dass es selbst
der Vermittlung bedürfte. Der Streit
wirkt sich unmittelbar auf die Vorschläge zur Konfliktlösung aus. Polen und Balten werden in ihrer Sichtweise von Moskau als Angreifer
von Großbritannien und dem neuerdings immer russlandskeptischeren Schweden unterstützt. Nach Vorstellung dieser Gruppe sollten internationale Friedenstruppen in
den abtrünnigen Gebieten Georgiens stationiert werden. In Paris und Berlin spricht
man hingegen lieber von
"Beobachtern".
Noch schärfer dürfte die Auseinandersetzung in der Nato werden.
Den Osteuropäern dient der jüngste Krieg als Argument dafür, dass Georgien so rasch wie möglich
in die Allianz gehört. Im Westen kommt man zum entgegengesetzten Ergebnis.
Für Moskau, das nach seinem Feldzug
aus einer Position der Stärke heraus
agiert, wird es ein Leichtes
sein, diese Spaltung für sich
zu nutzen. Der Kreml will seinen Einfluss ausweiten und die nach Westen strebenden Nachbarstaaten auf Dauer instabil halten. Die EU kann daran nicht
das geringste Interesse haben - hat dem russischen Streben in ihrer Uneinigkeit aber auch wenig
entgegenzusetzen.
Dieser Krieg sendet ein überdeutliches Signal, dass es höchste
Zeit ist, Russlands Einflussbereich gemeinsam mit den USA einzuengen. Doch nicht alle wollen
das Signal hören.
Aus der FTD vom 14.08.2008