Thomas Klau:
Black Power im Weißen Haus
von Thomas Klau
Ein Präsident
Barack Obama gilt als Beleg einer Zeitenwende in den
Als die Vereinigten
Staaten geboren wurden, waren Kaiser und Könige als Staatsoberhäupter
die weltweite Norm, nicht Präsidenten; und so gab es in den
Anfangsmonaten der Republik eine ernsthafte
Debatte darüber, ob der Präsident zum
Zweck der symbolischen Gleichstellung nicht mit "Majestät" angeredet werden sollte. Dafür plädierten nicht nur Sonderlinge
oder Monarchie-Nostalgiker.
Auch der zweite US-Präsident, der großartige Gründervater John Adams, zählte zu den Befürwortern dieser heute eigentümlich
anmutenden Anrede.
Will man die
Vieles, was das politische
System der
Erste Dame der
Gesellschaft
Diese Tradition hat sehr konkrete
Folgen. Sie ist eine der
Erklärungen dafür, dass auch harte
politische Gegner und kritische Journalisten dem Präsidenten mit ausgesuchtem Respekt begegnen und auch dann am gesellschaftlichen
Leben mit ihm teilhaben, wenn der Amtsinhaber
Recht und Sprache verbiegt, um die Folter von Gefangenen zu legitimieren.
Sie ist auch
einer der Gründe für den Umstand, dass sich
auf die potenzielle First Lady schon
vor der Wahl viele Blicke richten.
Denn wie in einer Monarchie ist die Gattin
des Staatsoberhaupts unangefochten
und für jeden sichtbar die erste Dame der Gesellschaft. Ihr Geschmack, ihre Gardinenwahl, ihr Kleidungsstil sind auch
in angesehenen Zeitungen legitime Themen der Berichterstattung.
Das alles
macht deutlich, welch enormen Bruch
der Einzug Michelle Obamas, der Frau des demokratischen Kandidaten Barack Obama, ins Weiße Haus bedeuten
würde. In einiger Hinsicht wäre er
eine noch größere Revolution als
der parallele Amtsantritt ihres Mannes. Die
Michelle Obama ist anders als Condoleezza Rice eine schwarze Frau, die die Blessuren ihrer
Hautfarbe und den anderen Blick auf die USA, der daraus entstand, bei allem Charme
nur mühsam hinter der Maske des guten
Benehmens und des taktvollen
Umgangs mit der Selbstzufriedenheit der weißen Mehrheit
verbirgt. Man ahnt, dass sie nicht
vergisst, dass die Prominenz und der Erfolg einzelner sozialer Überflieger - das TV-Genie Oprah Winfrey, die Außenministerin
Rice und ihr Amtsvorgänger
Colin Powell - leicht den Blick
auf die Wirklichkeit verstellen,
in der die Mehrheit der amerikanischen Schwarzen lebt - und auf die
Geschichte, die sie geerbt haben.
Die Selbstzelebrierung der USA als Vaterland
der Freiheit ignoriert, dass Russland seine Bauern früher aus der
Leibeigenschaft entließ als Amerika seine Sklaven, dass die Freiheit der Schwarzen
in einem blutigen Bürgerkrieg erkämpft werden musste und dass noch Michelle Obama, Rice
und Powell in einem Amerika
geboren wurden, in dem die Staatsgewalt schwerste Diskriminierung duldete oder organisierte.
Und heute? Ja, es gibt viele große
Erfolge. Aber fast 4 von
100 schwarzen Bewohnern der US-Hauptstadt sind HIV-infiziert.
Und einer von acht schwarzen Amerikanern im Alter zwischen 20 und 30 sitzt im
Knast.
Für einen
beträchtlichen Teil der weißen Mehrheit
ist es ein
Vergehen am ersten amerikanischen Gebot des bedingungslosen Patriotismus, wenn Michelle Obama wie vor einigen Monaten
erklärt, sie sei zum ersten
Mal stolz auf ihr Land. Die
First Lady in spe muss seitdem
einen erheblichen Teil ihrer Zeit
damit verbringen, diese Äußerung als missverständlich abzutun, und ihr Gatte Barack pflegt
den Flaggenkult, als ob davon der Einzug
ins Weiße Haus abhängt - womit er ganz richtig
liegt.
Doch die schwarze
Minderheit weiß, was Michelle Obama meinte. Die Schwarzen seien eben verbittert, höhnen Konservative - eine Todsünde gegen
das zweite amerikanische Gebot des bedingungslosen Optimismus. Aus europäischer Sicht nimmt sich die angebliche Verbitterung allerdings wie ein wohltuend klarer
Blick auf die Realität des Landes aus.
Mit Michelle Obama würde eine Frau Einzug ins Weiße Haus halten, die wie kaum eine
andere in der Lage wäre, den Blick der Mehrheit
auf die Schattenseiten der amerikanischen Gesellschaft und
Geschichte zu lenken. Etwas Besseres kann den
Thomas Klau ist FTD-Kolumnist. Er leitet die Pariser
Vertretung des European Council on Foreign Relations.