Thomas Klau: Wenn der
Westen zerbricht
Ein demokratischer US-Präsident oder
eine -Präsidentin würde als Symbol des Aufbruchs empfunden. Doch gewinnt ein
Republikaner die US-Wahl 2008, wird
der atlantische Graben auf lange
Zeit unüberwindbar.
Die
US-Geheimdienste haben vergangene Woche mit ihrem Lagebericht
zur globalen Sicherheit die Gefahr von Luftschlägen gegen den Iran fürs Erste gebannt.
Wir Nichtamerikaner können jetzt also aufatmen und uns auf das Schauspiel
konzentrieren, das uns Bewohnern des Global Village alle vier Jahre
geboten wird.
Drei Wochen noch, dann
geben Iowas Bürger den Startschuss für ein US-Präsidentschaftswahljahr,
das Kulturgeschichte schreiben könnte. Mit
Hillary Clinton und Barack Obama
führen die Demokraten gleich zwei Kandidaten
ins Feld, die für weit mehr
stehen als für eine andere
Politik im Weißen Haus.
Es
ist derzeit Mode unter politischen Analysten, vor überzogenen Erwartungen diesseits des Atlantiks zu warnen und daran
zu erinnern, dass auch ein
demokratischer Präsident Hoffnungen auf eine europäisierte Politik der USA enttäuschen müsste. Selbstverständlich wurzelt auch amerikanische Politik in einem Kontinuum.
Doch wer nur
auf Wurzeln blickt, übersieht leicht den Wald. Eine Präsidentin
Hillary Clinton und mehr noch
ein Präsident Barack Obama würden
jenseits der US-Grenzen als
Symbole eines Aufbruchs empfunden, mit denen Amerika
an die progressive Dynamik früherer
Jahrzehnte anknüpfen würde. Das allein würde
auf den Amtsinhaber eine eigene Sogwirkung entfalten.
Manche Experten sagen den USA nach dem Debakel
der Bush-Jahre eine Phase der Introspektion voraus - und zwar vor allem
dann, wenn ein Demokrat Bush ablösen sollte. Doch
die Äußerungen und Neigungen
der prominentesten Kandidaten der Partei sprechen eine andere Sprache.
Retter des amerikanischen Ansehens
Hillary
Clinton etwa interessiert sich brennend für
Außenpolitik, Barack Obama betrachtet die Welt dank seiner Jugend in Indonesien und auf Hawaii aus einer Perspektive, die weniger national geprägt ist als die anderer
amerikanischer Politiker. Wer den beiden zuhört, kommt zu
dem Schluss, dass sie neben
der Führung Amerikas auch eine
aktive Führungsrolle in der Welt anstreben würden, zum Beispiel
bei der Formulierung
einer neuen globalen Klimaschutzpolitik. Die aktive Arbeit an
der Wiederherstellung des amerikanischen Ansehens in der Welt und der amerikanischen Führungskraft ist ein Kernthema
im Wahlkampf beider Politiker. Sie können dabei
auf die Zustimmung eines Großteils ihrer Wählerschaft zählen, wie die Umfragen unter demokratischen Anhängern konsistent zeigen.
Es
ist bei alledem
keineswegs unmöglich, dass Iowas Wähler
schon in drei Wochen die Hoffnungen Clintons oder Obamas unter
einer krachenden Vorwahlkampfniederlage begraben. Der im Wettbewerb
mit den zwei Medienstars zwangsläufig blass gebliebene John Edwards ist in Iowa ein
dritter demokratischer Favorit, der manchem
Anhänger als die einzig sichere Wahl erscheinen könnte. Der Zweifel, ob die Amerikaner tatsächlich eine Frau oder
einen Afroamerikaner zum 44. Präsidenten wählen würden,
bleibt ein Faktor im Wahlkalkül.
Man muss damit rechnen, dass die Republikaner im Zweifel alles
versuchen würden, um aus der Hinterhand
Ressentiments gegen die Herrschaft einer Frau oder gegen die eines Afrikanersohns über die weißen Männer der amerikanischen
Republik zu wecken.
Amerika weiß, dass es 2008 die Grenzen des eigenen gesellschaftlichen Wandels testen und neu abstecken wird. Unbewusst getestet wird in dieser Wahl auch das weitere Verhältnis
zu Europa. In den Debatten und Absichtserklärungen der Demokraten finden Europäer jenseits aller Parteigrenzen oft Vertrautes; die
Diskussionen der Republikaner mit ihrem doppelten Fokus auf Religion und Terrorismusgefahr
wirken demgegenüber wie Geschichten aus einer nicht
mehr verwandten Fremde.
Neu ist nicht, dass ein
bedeutender Teil der Amerikaner sein Land als das
Land des gelebten Glaubens empfindet und sich damit vom weltlichen
Europa absetzt. Neu ist, wie
diese aus der Gründungsphase der USA, aus der
Zeit der ersten neuenglischen Siedler stammende Tradition heute die republikanische Partei und den gesamten Diskurs ihrer Präsidentschaftskandidaten
dominiert.
Ohne Europa, aber
mit Gott
Gesteigerte Religiosität im öffentlichen Leben der Vereinigten
Staaten, Religionsschwund im öffentlichen Leben Europas - es ist ein Irrtum, die politische Dimension dieses Auseinanderdriftens
zu ignorieren. Der Fokus auf Religion und die christliche Umdeutung der eigenen Geschichte steigert die Neigung der USA, sich den Debatten der verwandten
Demokratien diesseits des Atlantiks zu verschließen.
Wer Gott auf seiner Seite weiß, braucht
keine anderen Partner.
Die
Europäer haben im Jahr 2000 halb
amüsiert beobachtet, wie Amerika nach
einem bizarren Auszählungsdrama einen außenpolitisch unbedarften Präsidentensohn kürte, und sie haben vier
Jahre später mit Sorge verfolgt,
wie einem
verantwortungslos handelnden
Staats- und Regierungschef ein neues Mandat
gewährt wurde. Gewinnt auch 2008 ein republikanischer Kandidat die Wahl, werden viele auf dieser Seite des Atlantiks in dem Gefühl bestärkt,
dass die Tektonik der Politik und Gesellschaft Amerika und Europa unaufhaltsam auseinandertreibt.
Man
sollte sich wünschen, dass Europa dann erst
recht die eigenen politischen und militärischen Strukturen stärkt, um sich allmählich aus der sicherheitspolitischen
Abhängigkeit von den fremder
werdenden USA zu befreien. Ich befürchte
allerdings, dass die Europäer diese Kraft nicht aufbringen und dass die wachsende Entfremdung von Amerika bei ihnen nur
das Gefühl der Ohnmacht verstärkt,
an das sie sich zum eigenen
Schaden bereits zu sehr gewöhnt
haben.
2008
wird für Amerika ein Jahr
grundlegender Entscheidungen,
auf das Europa 2009 womöglich mit eigenen
fundamentalen Weichenstellungen
reagieren muss.
Thomas
Klau ist
FTD-Kolumnist und schreibt jeden zweiten Donnerstag
an dieser Stelle. Er leitet die Pariser
Vertretung des European Council on Foreign Relations.