Gegenwind für die Volksherrschaft

By Thomas Klau

Autoritäre Regierungen erleben derzeit eine Renaissance - die Demokraten in aller Welt müssen dagegen ankämpfen. Und zwar massiv.

Achtzehn Jahre ist es her, dass Francis Fukuyama sich mit der Prognose vom "Ende der Geschichte" weltweite Aufmerksamkeit und Berühmtheit verschaffte. "Was wir derzeit erleben, ist womöglich nicht nur das Ende des Kalten Krieges oder der Abschluss einer bestimmten Phase der Nachkriegsgeschichte, sondern das Ende der Geschichte als solcher", schrieb der amerikanische Intellektuelle in seinem im Revolutionsjahr 1989 veröffentlichten Essay. Die Menschheit habe womöglich den Endpunkt ihrer ideologischen Evolution erreicht, nämlich "die Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie als der endgültigen Regierungsform".

Fukuyama hat sich von seiner Analyse längst distanziert; nicht wenigen erschienen seine Aussagen schon damals wie flott formulierter Nonsens. Dennoch genossen sie eine Zeit lang erstaunliche Resonanz. Die sowjetische Diktatur war im Wettstreit mit den liberalen Demokratien zu Staub zerfallen, die USA glänzten als Beweis, dass funktionierende Demokratie mit militärischer Überlegenheit vereinbar ist. Es schien aus dieser Erfahrung heraus zwingend, dass der Siegeszug des liberalen Staatssystems nach dem Ostblock auch China, Asien und schließlich selbst Afrika erneuern werde.

Demokratie in der Defensive

Tempi passati. Heutzutage dominiert nicht mehr die Hoffnung auf den Triumph der Demokratie, sondern - ganz im Gegenteil - die Furcht vor einer dauerhaften Renaissance autoritärer Herrschaftsformen. In Russland wie in China genießen autoritäre Zentralgewalten dank eines starken Wirtschaftswachstums hohen Rückhalt in der Bevölkerung; in Lateinamerika beweist der Venezolaner Hugo Chavez, dass der lange Zeit vorherrschende Trend zu mehr Demokratie in der südlichen Hälfte des Kontinents keineswegs unumkehrbar ist. Düsterer noch erscheint die Lage in den arabischen Ländern, wo freie Wahlen fast überall islamische Savonarola-Jünger an die Macht bringen würden, die demokratische Herrschaft wollen, um puritanischen Terror durchzusetzen.

Im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", dem Zentralorgan des deutschen Zeitgeists, schrieb Dirk Kurbjuweit kürzlich in einer Reportage zum jüngsten Chinabesuch der Kanzlerin einen Absatz, der das Einsamkeitsgefühl der Demokraten aufgreift und mit einer ketzerischen Frage verknüpft. "Es wird spannend, auf welche Seite sich künftig das Kapital schlagen wird", so Kurbjuweit. "Bislang war es aufseiten der Demokratie, weil fast nur demokratische Industriestaaten sich der Marktwirtschaft verschrieben haben. Das Modell China könnte langfristig eine Alternative werden. Man vergisst manchmal, dass Demokratie nur die Sache eines Zeitalters sein könnte und nicht das Ende der Geschichte."

Renaissance des Puritanismus, Renaissance des Autoritarismus, womöglich Abkoppelung des Prinzips Marktwirtschaft vom Prinzip Demokratie - das sind Signale, die die Völker heute hören. Und man muss hinzufügen: Schwächung humanistisch-demokratischer Grundwerte wie der Ächtung von Folter und Willkürhaft in den USA. Der Wind hat sich gedreht und bläst aus der falschen Richtung. Der Demokratiediskurs Amerikas hat an Glaubwürdigkeit, der Europas an Durchschlagkraft verloren - auch deshalb, weil die Europäische Union mit dem Scheitern ihres Verfassungsprojekts den Eindruck erzeugte, als sei ihr die Rolle als Vorreiter einer postnationalen demokratischen Ordnung der Welt nichts wert.

Doch so falsch 1989 die rosigen Fukuyama-Prognosen waren, so falsch ist es jetzt, demokratiepessimistische Zukunftsvisionen zu inhalieren. Kein Mensch kann heute verlässlich voraussagen, wie sich in China die politischen Strukturen und die politische Kultur entwickeln werden. Erstmals wächst im postimperialen China eine zahlenmäßig bedeutende Generation von Kindern heran, für die Wohlstand und politische Stabilität selbstverständlich sind. Mag sein, dass diese künftige Studentengeneration so wie die heutige primär darauf aus sein wird, ihren persönlichen Wohlstand zu mehren. Doch Chinas Geschichte macht auch andere Entwicklungen plausibel. Russland wiederum kann weiter jahrzehntelang in autoritärer Erstarrung verharren - oder doch noch den Genuss eines oppositionellen Aufbegehrens entdecken, etwa dann, wenn ein künftiger Staatspräsident weniger Glück und Geschick aufweist als Amtsinhaber Wladimir Putin.

Der Rückblick auf die seit dem historischen Mauerfall vergangenen 18 Jahre zeigt vor allem, wie schnell die Geschichte ihr Rad dreht, wie rasch Gewissheiten zum Irrtum werden. Tempi passati, sagte meine Großmutter, die 1897 geboren worden war, die Kaiserreich, Ersten Weltkrieg, Revolution, Republik, Diktatur, Zweiten Weltkrieg und schließlich wieder Republik erlebte. Gemessen an den politischen Erschütterungen, die die seit 1860 Geborenen verkraften mussten, sind die Veränderungen der vergangenen 20 Jahre weitgehend belanglos. Im Hang zur perspektivlosen Betrachtung der Gegenwart wird dies zu oft vergessen.

Kampf für humanistische Grundwerte

Bleibt bei alledem gleichwohl die Tatsache, dass die Anhänger einer freiheitlichen, auf den Respekt humanistischer Grundwerte gestützten Demokratie derzeit an vielen Fronten zu kämpfen haben - und dass dabei leider ausgerechnet der große Verbündete USA selbst eine wesentliche dieser Fronten bildet.

Es wäre genau das falsche Fazit, aus der jetzigen Blütephase autoritärer Systeme und Denkschulen den Schluss zu ziehen, dass der Kampf um mehr Demokratie ein Streit auf verlorenem Posten ist. Gerade weil die liberale Demokratie unter wachsendem Druck steht, müssen ihre Anhänger die Stimme erheben und zuweilen Härte gegen jene zeigen, die - wie etwa das autoritäre Regime in China - Grundwerte beiseitewischen oder die wie die Autokratie in Russland Demokratie als Politinszenierung gestalten. Es ist, nebenbei gesagt, mehr als schade, dass die heutige SPD-Führung diese schlichte Einsicht verdrängen will - und mehr als ein Glücksfall, dass im Berliner Kanzleramt heute Angela Merkel anstelle Gerhard Schröders die außenpolitische Suppe kocht.

Thomas Klau ist FTD-Kolumnist. Er leitet die Pariser Vertretung des European Council on Foreign Relations.