Eine Telefonnummer
reicht, um Menschen zu töten
Der US-Drohnenoperator Brandon Bryant ist vor dem NSA-Ausschuss Kronzeuge für die tödlichen Folgen der Metadatensammlung. Und für die wichtige Rolle Deutschlands dabei.
Von Kai Biermann
15. Oktober 2015
T-Shirt, Glatze, Kinnbart, tätowierte Arme – Brandon Bryant ist ein Fremdkörper zwischen all den Anzugmenschen im Deutschen Bundestag. Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss berichtete er am Donnerstag über seine frühere Arbeit bei der amerikanischen Luftwaffe, über das tagelange Beobachten aus der Luft und über das Töten von Menschen mit Hellfire-Raketen. Die Menschenjagd, wie er es nannte.
Aber nicht nur sein Aussehen unterscheidet Bryant von den Übrigen im Anhörungssaal. Es ist, als bricht mit ihm die Realität ein in das sonst so theoretische Debattieren um Überwachung und Selektoren, um Antennensignale und Grundrechtsträger. Der 29-jährige Bryant ist der Endpunkt all der staatlichen Datensammlung. Er war derjenige, der den Abzug betätigte und dafür sorgte, dass die Raketen die Ziele trafen, die mit all den Überwachungsdaten der Geheimdienste ausgewählt wurden.
Fünf Jahre und fünf Tage lang war Brandon Bryant Drohnenoperator der amerikanischen Luftwaffe. Er steuerte als Staff Sergeant Einsätze im Irak, in Afghanistan, Pakistan, Somalia und im Jemen. Er bediente dabei die Kameras einer Predator-Drohne und lenkte den Laser, der dafür sorgte, dass die Hellfire-Raketen ihr Ziel trafen.
BND-Daten als Grundlage um auf Menschen zu schießen
Bryant ist Kronzeuge für den Satz, den der damalige US-Geheimdienstchef Michael Hayden mal gesagt hat: "We kill people based on metadata." Metadaten, die Daten, die digitale Kommunikation hinterlässt, sind nicht harmlos. Auch die nicht, die deutsche Geheimdienste sammeln und in die USA schicken.
Um eine Rakete auf ein Haus abzuschießen, sei es für die USA eine ausreichende Rechtfertigung, wenn sich ein gesuchtes Mobiltelefon in dem Haus befinde, sagte er. Und beschrieb, dass die Drohnen ein System namens Gilgamesh an Bord haben, das wie ein Mobilfunkmast arbeitet und genutzt wird, um Telefone am Boden zu finden und zu lokalisieren.
Seine Antwort auf die Frage der Linkspartei-Obfrau Martina Renner, ob auch von Deutschland gelieferte Daten genutzt wurden, um auf Menschen zu schießen, war kurz: "Ja." Die Bundesregierung bestreitet vehement, dass so etwas möglich ist. Mit den Daten, die der BND und der Verfassungsschutz in die USA liefern, sei es nicht möglich, Menschen zu lokalisieren und Drohnenraketen ins Ziel zu lenken. Eine Mobiltelefonnummer genüge, um einen Menschen zu töten, sagte hingegen Bryant. Deutschland liefert Mobiltelefonnummern.
Bald zwei Jahre untersucht der NSA-Ausschuss bereits das Wie der Überwachung von BND und NSA. Wer wusste wann davon, welches System sammelte welche Daten? Mit Bryant setzten sich die Abgeordneten nun zum ersten Mal mit den tödlichen Folgen dieser Datensammlung auseinander.
Er wollte nicht mehr töten
Bryant verließ das Drohnenprogramm der US Air Force, weil er nicht mehr töten wollte. Seitdem kämpft er gegen diese Form des Krieges. Deutschland sei der wichtigste und engste Alliierte der USA, sagte er. Und Alliierte hätten die Pflicht, einander vor Irrtümern und falschen Entscheidungen zu bewahren. Es war eine Aufforderung an Deutschland, den USA nicht länger beim Töten zu helfen.
Denn Deutschland ist nicht unschuldig, das belegte die Befragung. Bryant schilderte unter anderem, wie wichtig der Flughafen Ramstein in der Eiffel für den amerikanischen Drohnenkrieg ist. Das ist nicht neu, zwei Journalisten haben darüber ein ganzes Buch geschrieben. Und doch war es ein Unterschied, von einem Augenzeugen zu hören, dass es ohne Ramstein keine amerikanischen Drohnenangriffe in Afrika gäbe.
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Nach Bryants Aussage war das alles auch kein Geheimnis für die Bundesregierung. Ihnen sei immer gesagt worden, dass man dort nichts tue, was die deutsche Regierung nicht wisse. Sie sei über alles informiert. Das bestreitet die deutsche Regierung bislang, auch wenn es durchaus Belege dafür gibt, dass ihr Unwissen nicht stimmen kann.
Noch etwas unterscheidet Bryant von all den anderen, die bisher vor dem Untersuchungsausschuss auftraten: Er übernimmt Verantwortung für sein Verhalten, er rechtfertigt sich nicht. Bryant flog mehr als 6.000 Stunden Kampfdrohnen, bei seinen Einsätzen wurden 1.626 Menschen getötet. Er stieg aus, weil er nicht mehr töten wollte und lebt in dem Bewusstsein, lange Zeit etwas Falsches getan zu haben. Bryant versucht, darüber aufzuklären, um diese Art des Kampfes – an dem auch Deutschland beteiligt ist – zu ächten und zu beenden. "Ich übernehme Verantwortung für das, was ich getan habe, und ich versuche, mein Land zur Rechenschaft zu ziehen", sagte Bryant.
Keiner der Zeugen und Zeuginnen vor ihm hatte diese Haltung. Manche fühlten sich unwohl angesichts der Fragen der Abgeordneten, aber niemand stellte sich und sein Handeln infrage. Vielleicht sollten sie es gelegentlich tun. "Die deutsche Geschichte zeigt den Weg, den mein Land gerade geht", sagte Bryant.