Warum wir Amis keine europäischen Verhältnisse wollen

 

Romneys Peinlichkeiten gegenüber den Briten und Palästinensern sind Berechnung. Und sie haben auch etwas damit zu tun, dass er Mormone ist, kommentiert Eric T. Hansen.

 

VON: Eric T. Hansen*

 

 31.07.2012

 

Spätestens seit letzter Woche muss jedem klar sein, dass Mitt Romney zur Außenpolitik etwa so tauglich zu sein scheint wie einst Sarah Palin. Kaum in London angekommen, trat er ins Fettnäpfchen: Er kritisierte die zahlreichen Pannen der Olympischen Spiele 2012 und wies darauf hin, dass damals, als er die Winterspiele in Salt Lake City mit organisierte, nicht so geschludert worden sei.

 

Sofort war die Hölle los: Selbst konservative Kommentatoren in Amerika jammerten, dass Romney unseren wichtigsten Verbündeten in Europa beleidigt hätte, ein internationaler Affront sei das, peinlich, peinlich.

 

Nur ich bin gar nicht so sicher, dass es ein Versehen war. Im Gegenteil.

 

Ein zwiespältiges Verhältnis zu Europa

 

Als Barack Obama vor vier Jahren in Berlin wie ein Rockstar umjubelt wurde, sagten seine Feinde zu Haus, er krieche den Europäern in den Hintern. Allerdings sind Obamas Stammwähler linke Bildungsbürger, die Europa für ein kulturelles Vorbild halten. Dagegen halten Romneys Wähler Europa für dekadent und rückschrittlich. Deshalb inszeniert sich der Republikaner als einer, der Europa nicht versteht und dem Europa völlig egal sein kann.

 

Auch seine beleidigende Bemerkung, die Palästinenser hätten nicht die richtige Kultur zum wirtschaftlichen Erfolg, fällt unter die Rubrik Wahlkampf: Romney schmeichelt damit den jüdischen Wählern in den USA. Außerdem ist er Mormone und diese pflegen sowieso immer eine starke Pro-Israel-Neigung, denn sie halten die Juden nach wie vor für das auserwählte Volk Gottes.

 

Meine Freunde in Deutschland sind überrascht zu hören, dass die meisten Amis ein zwiespältiges Verhältnis zu Europa haben. Ähnlich wie die Europäer immer wieder eine schleichende Amerikanisierung beklagen, nehmen wir uns in Acht vor der schleichenden Europäisierung.

 

Einerseits ist uns nicht verborgen geblieben, dass die Heimat des Feudalismus immer mal wieder in totalitäre Verhältnisse zurückfällt, viele Krisen, vom Zweiten Weltkrieg bis zur Euro-Krise, nicht ganz alleine meistern kann, und obendrein nicht mal ein vernünftiges Fernsehprogramm hat.

 

Andererseits: Paris! Rom! Berlin!

 

Gerade Mitt Romney, der Multimillionär, wird die originellen Bistros in den Häfen von Saint Tropez, Cannes und Monte Carlo gut kennen. Aber die prägendste Erfahrung mit den Europäern war sicher seine erste, denn in den späten Sechzigern diente er zwei Jahre lang als Mormonenmissionar in Frankreich.

 

In der Mormonenkirche werden junge Menschen mit 19 gefragt, ob sie nicht Lust hätten, freiwillig und auf eigene Kosten zwei Jahre lang in ein fremdes Land zu reisen und die Menschen dort zu missionieren. In dieser Zeit hat man keine Freizeit, begrenzten Kontakt zur Familie und keine nennenswerten Beziehungen zum anderen Geschlecht. Erstaunlich viele junge Männer und Frauen sagen trotzdem ja.

 

Auch ich habe damals zugesagt (erst viele Jahre später habe ich die Kirche verlassen) und wurde nach Deutschland geschickt. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Auf der Mission lernt man die Europäer so kennen, wie sie sich selber nicht gerne sehen.

 

In Deutschland ist man zwar gegenüber jeder Weltanschauung tolerant, jedoch mit einer Ausnahme: Eine Kirche, die nicht von Petrus oder Martin Luther gegründet wurde, ist eine Sekte. Man weiß das, denn die Kirchen, die von Petrus oder Martin Luther gegründet wurden, sagen es.

 

Der Deutsche weiß viel Schlechtes über Amerika

 

So sieht der Alltag bei den Missionaren aus: Fünf Tage die Woche geht man von früh bis spät von Tür zu Tür. Man klopft an, die Tür geht auf. Man sagt: "Wir kommen von der Kirche Jesu Christi der Heiligen Tage und möchten …". Die Tür knallt zu. Auf zum nächsten Haus. Das zwei Jahre lang. Die Mormonen sagen: "Das bildet den Charakter", und es stimmt.

 

Ab und zu bittet einen doch jemand rein. Es ist erstaunlich, wie viel Schlechtes der durchschnittliche Deutsche über Amerika weiß, und auch, wie gern er dies dann den Amerikanern mitteilt. Auf Mission lernt man Europäer kennen, die einem stundenlang die Sünden unseres Landes vorrechnen können und immer noch genug Energie haben, zu versichern, dass sie tolerante Menschen sind und dass wir Amis uns ruhig eine Scheibe davon abschneiden sollten.

 

Selbst in den achtziger Jahren, als ich in Deutschland missionierte, gewöhnte ich mich an Graffiti-Sprüche wie Ami go home. Romney ging noch im Mai 1968 auf den Straßen von Paris von Tür zu Tür, mitten in den Studentenunruhen und Vietnam-Protesten. Dort hat er sicher eine Menge darüber gehört, wie böse sein Land sei.

 

Später sagte er, seine Mission war für ihn eine Zeit, in der "fast alles, was ich versucht habe, abgelehnt wurde." Auch wenn es nicht so aussieht: Falls Romney die Wahl im November tatsächlich gewinnt, hat man im Weißen Haus endlich einen Präsidenten sitzen, der die Europäer kennt.

 

*Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor (Planet Germany) und Satiriker, der sein halbes Leben in Deutschland lebte, heute in Berlin. Sein neues Buch Planet Amerika erscheint im September. Auf ZEIT ONLINE erklärt er während des US-Wahlkampfs einmal in der Woche die Eigenheiten seiner Heimat.