Die Bankster sind zurück
Die Zinsmanipulation bei Barclays erschüttert die Bankenwelt. Der Verdacht ist groß, dass andere Institute ähnlich handelten. Ermittelt wird auch gegen die Deutsche Bank.
VON: Till Schwarze 03.07.2012
Erst der Oberaufseher, dann der Chef und nun noch der Geschäftsführer: Innerhalb von zwei Tagen hat die zweitgrößte britische Bank Barclays ihre komplette Führung verloren. Weil Mitarbeiter von Barclays versucht haben, einen der wichtigsten Leitzinssätze weltweit zu manipulieren, haben erst Verwaltungsratschef Marcus Agius, am Tag darauf Vorstandschef Bob Diamond und schließlich auch Geschäftsführer Jerry del Missier ihren Rücktritt erklärt.
Die britische Finanzbranche hat ihren nächsten Skandal, der allerdings nicht auf die Insel beschränkt bleiben könnte. Seit Jahren ermitteln Aufsichtsbehörden in den USA, Großbritannien sowie der Schweiz und der EU wegen des Verdachts der Manipulation der Leitzinssätze Libor und Euribor gegen mehr als ein Dutzend Großbanken weltweit. Darunter Schwergewichte wie die Deutsche Bank, die UBS, Citigroup, HSBC oder Lloyds.
Die Vorwürfe, um die es geht, betreffen Finanzgeschäfte mit einem Volumen von mehr als 350 Billionen Dollar (etwa 280 Billionen Euro): Die Banken sollen die für Interbanken-Kredite maßgeblichen Zinssätze manipuliert haben, um die eigenen Profite zu steigern und über die wahren Kosten ihrer Refinanzierung hinwegzutäuschen.
Um zu verstehen, wie eine solche Manipulation funktionieren könnte, muss man wissen, welche Bedeutung Libor und Euribor im Finanzgeschäft haben. Der Libor legt fest, zu welchem Preis sich Banken untereinander Geld leihen. Zugleich ist er der Maßstab für viele weitere Finanzgeschäfte. Beispielsweise liegt er der Kreditvergabe von Banken an Unternehmen oder dem Handel mit Derivaten und anderen Finanzprodukten zugrunde. Auch einige Zentralbanken orientieren sich in ihrer Geldpolitik am Libor. Und was der Libor für den Dollar-Währungsraum, das Pfund oder den Yen, ist der Euribor für die Euro-Zone.
Der Einfluss auf Geldgeschäfte ist also groß, die Manipulationsmöglichkeiten sind es allerdings auch. Denn Libor und Euribor kommen durch die Angaben der jeweils bedeutsamsten Banken zustande. Sie melden die Zinssätze, die andere Banken zahlen müssen, um Kredit zu bekommen, an die Agentur Thomson Reuters, die daraus den Libor berechnet. Die Zinsmeldungen sind streng vertraulich und beruhen einzig auf den Angaben der Bank. Ob die Werte stimmen, lässt sich nur schwer überprüfen.
Als sich nach Ausbruch der weltweiten Finanzkrise 2008 die Libor-Zinssätze nicht wie erwartet veränderten, schöpften die Aufsichtsbehörden in Europa und den USA Verdacht und begannen mit Untersuchungen. Im Fall von Barclays kam die britische Finanzaufsicht FSA zu dem Ergebnis, dass die Verfehlungen "ernst und großflächig" seien. Auch auf politischer Ebene wurden Untersuchungen eingeleitet, und auch in den USA wurde ermittelt. Um einen noch größeren Schaden abzuwenden, räumte Barclays schließlich die Manipulationsversuche ein und akzeptierte in einem Vergleich eine Strafe von fast einer halben Milliarde Dollar.
E-Mails bezeugen Manipulation
Die Beweislast war erdrückend. Interne E-Mails zeigten, wie spielerisch und willkürlich die Banker mit den Zinssätzen umgingen. Ein Barclays-Händler antwortet etwa auf die Bitte eines Kollegen, niedrigere Zinsen weiterzugeben: "Ist gebongt... für Dich, mein Großer." Das seit der Finanzkrise noch nicht wieder verblasste Bild von den leichtfertigen Zockern der Finanzmärkte wurde damit noch verstärkt.
Dabei sah Barclays nach der Finanzkrise eigentlich wie ein Gewinner aus. Die Bank war nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen und konnte Teile der insolventen Bank Lehman Brothers kaufen. Doch offensichtlich wurde die wahre finanzielle Lage durch die Meldung niedriger Zinsen verschleiert, kam Barclays weiter günstig an frisches Geld und konnte die eigene Kreditwürdigkeit beschönigen.
Der Fall ist in Großbritannien auch deshalb so aufsehenerregend, weil es mit Bankchef Diamond eine der umstrittensten Figuren der Londoner City trifft. Zwar stand er erst seit etwa einem Jahr an der Spitze der Bank, doch war Diamond bereits seit den neunziger Jahren als Investmentbanker für Barclays tätig und wirtschaftlich dabei sehr erfolgreich. Zur öffentlichen Hassfigur wurde er, als er 2011 vor einem Parlamentsausschuss mit der Aussage provozierte, die Banker sollten nach der Finanzkrise endlich die Zeit der Demut beenden. Im selben Jahr wollte er für sich ein Gesamtgehalt von 25 Millionen Pfund (31 Millionen Euro) durchsetzen.
Diamonds Forderung nach dem Ende der Demut ist in seiner Wirkung vergleichbar mit dem Victory-Zeichen Josef Ackermann im Mannesmann-Prozess. Die Times bezeichnete den Barclay-Chef als "meistgehassten Banker der City".
Entsprechend groß war die öffentlich geäußerte Erleichterung über seinen Rücktritt. "Bob Diamond hat die richtige Entscheidung für Barclays und die richtige Entscheidung für das Land getroffen", sagte der britische Finanzminister George Osborne. Das sei ein erster Schritt in Richtung einer neuer Verantwortungskultur.
Die fragwürdige Rolle der Aufsichtsbehörden
Die Schuld aber allein bei Barclays und Diamond zu suchen, greift zu kurz. Zu deutlich sind die Hinweise auch auf Fehler der britischen Bankenaufsicht. Insbesondere die Bank von England und das Schatzamt werden für ihre nachlässige Kontrolle kritisiert. Im Interesse eines liquiden Banksektors hätten sie nach der Finanzkrise ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt oder die Verstöße sogar billigend in Kauf genommen, heißt es.
So wurde ein Telefonat aus dem Oktober 2008 bekannt, in dem der Vize-Gouverneur der Bank von England eine Erklärung von Diamond verlangt, wieso Barclays höhere Zinssätze meldet als die anderen Banken. Nach diesem Telefonat sollen Mitarbeiter Diamonds die Anweisung erteilt haben, künftig niedriger Zinsen zu melden, berichtete die New York Times. Diamond bezeichnet das heute als Missverständnis.
Welche Banken haben noch manipuliert?
Noch mehr Sorgen bereitet Regierungen und Marktteilnehmern aber die Frage, welche anderen Banken Manipulationsversuche unternommen haben könnten. Dass eine Bank allein den Libor-Zinssatz beeinflussen kann, ist eigentlich ausgeschlossen, denn extrem hohe und niedrige Werte fließen nicht in den Leitzinssatz ein. Das legt den Verdacht einer Absprache unter einigen Banken nahe.
Das Misstrauen gegenüber dem Bankensektor ist wieder zurück. Die britische Finanzbranche wird als "im Herzen krank" bezeichnet. Die Manipulation des Libor hat für einige Kommentatoren bewiesen, dass Banken unfähig sind, eigenverantwortlich eine Aufgabe mit gesellschaftlicher Verantwortung wahrzunehmen. Jetzt ist der Ärger groß, zumal der britische Staat die Londoner Banken mit etwa 1,2 Billionen Pfund (etwa 950 Billionen Euro) gestützt hat. Dem Guardian zufolge entspricht das fast 20.000 Pfund, die jeder Brite an die Banken gezahlt hat.