Immer mit der Keule
Warum die Deutschen wieder mit Nazi-Vergleichen überzogen werden – und wie sie damit umgehen
sollten
Von: Bernd Ulrich
03.02.2012
A noi
Schettino, a voi Auschwitz.« So schrieb kürzlich Il Giornale, »Uns Schettino, euch Auschwitz«. Damit reagierte die italienische
Zeitung auf eine ähnlich feinsinnige Spiegel Online- Kritik
am feigen Kapitän der Costa Concordia, der als typisch
italienisch qualifiziert wurde. Gemeint war mit der Entgegnung:
Haltet ihr Deutschen bloß das Maul, ihr habt
doch den Holocaust zu verantworten!
Nun könnte
man sagen, dass Il Giornale eine rechtspopulistische
Zeitung ist, noch dazu aus
dem Hause Berlusconi, also nicht ganz ernst
zu nehmen. Man könnte sich auch
damit beruhigen, dass Nazi-Vergleiche immer mal wieder gegen Deutsche gerichtet wurden. Doch gibt es da derzeit eine Häufung.
Der sensible ostdeutsche Schriftsteller
Ingo Schulze wurde eben erst bei einer
Lesung in Portugal gefragt,
ob die Deutschen nun mit dem Euro schaffen würden, was ihnen mit Panzern damals
nicht gelungen sei, also Europa zu beherrschen. Aus Griechenland kann
man Derartiges zurzeit täglich hören, oft noch drastischer formuliert.
Andernorts wird der
Vorwurf vornehmer verpackt, wenn etwa die aktuelle deutsche Sparpolitik mit der des Reichskanzlers Brüning verglichen wird, dessen Nachfolger
dann Adolf Hitler hieß. Regelmäßig wird auch vom deutschen
»Sonderweg« gesprochen, etwa wenn die Regierung
Merkel nicht so viel Geld drucken möchte, wie andere das
von ihr verlangen. Der so häufig zitierte Sonderweg endete historisch wo?
Natürlich
in Auschwitz. So schließt sich der Kreis.
Deutschland sind die USA von Europa – aber mit
einer anderen Historie
Man braucht
wirklich nicht lange an der Frage
rumzurätseln, warum die
Nazi-Vergleiche im Moment so
oft gezogen werden: Zum ersten Mal seit 1945 tritt Deutschland wieder mit voller
Macht auf, nicht weil man das gewollt
hätte, sondern weil die europäische Schuldenkrise das ökonomisch stärkste auch zum politisch
mächtigsten Land gemacht
hat. Deutschland greift nun tief
ein in die inneren Angelegenheiten Dritter.
Allmählich bekommt das
Land für Europa eine ähnliche Funktion,
wie sie die USA lange Zeit für
die ganze Welt hatten. Als jene
Macht, die ihre Kraft gebrauchte, manchmal missbrauchte, die an allem schuld war, die alles retten sollte und sich dafür beschimpfen
lassen musste, wie sie es
tat. Was wurde den Amerikanern
nicht alles Übles angedichtet, immer steckte die CIA hinter allem Bösen, stets wurden die Amerikaner des Imperialismus geziehen.
Eines allerdings konnte man ihnen nie vorwerfen: dass sie sechs
Millionen Juden in den Tod geschickt und die halbe Welt mit Krieg überzogen hätten. Das menschlich
nachvollziehbare und oft berechtigte
Schimpfen auf die je stärkste Macht bekommt im Falle
der Deutschen allzu häufig eine
andere, eine alle Diskussionen und jedes ernsthafte Gespräch abtötende Dimension.
Wie soll man als Deutscher
nun damit umgehen? Ingo
Schulze war empört und beleidigt,
wie er selbstkritisch
schrieb. Das war sicher schon allein
deshalb falsch, weil genau
das von seinen Zuhörern beabsichtigt war. Falsch ist es
– zweitens – sicher auch, mit deutscher
Arroganz zu reagieren, wie das Volker Kauder, Fraktionschef der Union, tat, als er rief,
in Europa werde Deutsch gesprochen, fehlte nur noch das
Wort: wieder. Ähnlich martialisch redete Peer Steinbrück daher, als er den Schweizern
die »Kavallerie« schicken wollte. Das sollte
der Politiker eines Landes lieber
lassen, das die eigene »Kavallerie« einst nach ganz
Europa schickte (außer in die Schweiz).
Drittens darf man sich von Nazi-Vergleichen nicht ins Bockshorn
jagen lassen. Das Wort Sonderweg darf eine deutsche Regierung weder zum Nachgeben
bringen noch zu einem trotzigen
Dann-erst-recht. Zumal
man ja weiß,
dass Auschwitz als moralischer Hebel in politischen Konflikten eingesetzt wird. Freundliche Unbeeindrucktheit, zuweilen unbeleidigte Zurückweisung sind
also die vernünftigsten Reaktionen.
Und dann das Weiterdiskutieren über die Sachfragen, über Finanzen oder
Militärinterventionen.
Die neue
deutsche Rolle wird noch eine ganze
Weile zur Häufung von Nazi-Vergleichen führen. Das muss man wohl oder
übel ertragen und sich abwettern lassen. Allerdings liegt in diesem
Stoizismus auch ein ernstes Problem. Das hat mit dem
deutschen Vergangenheitsparadox
zu tun, das
sich so formulieren ließe: Die deutsche Vergangenheit
wird nur dann ganz sicher
nicht wiederkehren, wenn die Deutschen sich nie ganz
sicher sind,
dass sie nicht wiederkehrt. Darum können sich
die Deutschen, ihre Politiker zumal, nicht ganz verpanzern,
weder gegen Anwürfe von außen noch gegen Anflüge
von Selbstzweifeln. Es bleibt da eine wunde Stelle.
Was soll
man nun tun? Die anderen
bitten, mit diesem
Nazi-Mist einfach aufzuhören,
uns Deutsche bitte schön in jeder nur erdenklichen
Form zu beschimpfen außer in dieser? Ja, das könnte man. Die Deutschen könnten auch zugeben,
dass sie geliebt werden wollen (das ist nichts Schlimmes), viel mehr als Franzosen
oder Briten, die sich schon selbst
ganz gut lieben. Allerdings können sich die Deutschen vor lauter Liebesbedürftigkeit
nicht selbst verleugnen, schon weil die anderen
sie dann nur noch mehr
verachten würden.
Schließlich muss sich eine gewisse Coolness nach außen mit
besonders hoher historischer Sensibilität nach innen verbinden.
Antisemitismus, Neonazi-Terror,
Geschichtsvergessenheit, Anfälle
von Arroganz – das sind die wirklichen
Gefahren und Verführungen.
Die Deutschen
müssen jetzt sehr tapfer sein
– und sehr sensibel.