Amerika bietet kein richtiges
Feindbild mehr
Von
Michael Thumann, Istanbul
Irans Reformer haben Rückenwind,
im Libanon wurde Hisbollah abgestraft. Ist das bereits
ein Obama-Effekt?
Ist die Wahlniederlage der islamistischen Hisbollah im Libanon bereits
der erste Erfolg der Obama-Rede in Kairo? So wird in den Cafés von Beirut gemutmaßt,
wo die Anhänger
der pro-westlichen Regierung seit Tagen ihren Erfolg
feiern. Mit weichen Worten die Radikalen schwächen - das wäre also die neue Formel für Nahmittelost.
Noch ist
die Weichspülkraft nicht nachgewiesen. Noch muss sie Langzeitwirkung entfalten, auch bei den iranischen Wahlen an diesem Freitag und danach. Es ist ein
bitterer Kampf zwischen Präsident Ahmadineschad und seinem Herausforderer Mir-Hussein
Mussawi. Mahmud Ahmadineschad
hat einen Nachteil: Wer ihn wählt,
kann nicht gegen George Bush stimmen. Der ist nämlich schon nicht
mehr da.
US-Präsident
Barack Obama will partout nicht
in die Rolle des Bösewichts
schlüpfen. Er hat vor einer Woche
in einer epochalen Rede in Kairo einen
neuen Leitton in der amerikanischen Politik gegenüber dem Mittleren Osten
gesetzt. Die arabische Zeitung al-Hayat sprach selbstironisch vom "verwirrenden Gast, der uns
die Attraktivität des großen
Satan offenbarte". Viele Muslime
waren aufrichtig begeistert. Das hatte auch mit
Obamas Haltung zu tun. Die früher übliche Lehrstunde vom Hochsitz westlicher Unfehlbarkeit fiel aus.
Beispiele? Obama vermied das Wort
"Terror", das sein Vorgänger
so hyperinflationär verwendete
und das von vielen Regierungen
so gern als
Vorwand für Unterdrückung missbraucht wird. Er würdigte
die Haltung muslimischer
Frauen, die freiwillig ein Kopftuch tragen. Er veränderte den Blick auf die Moderne, indem er feststellte:
Nicht nur auf westliche Art kann es vorangehen. Er durchbrach die aus der Bush- und der Clinton-Zeit ererbte Kampfeslogik, nach der auf Provokationen von Islamisten und iranischen Präsidenten im Westen Trommelwirbel und Mobilisierung folgen müssen.
Mancher wird hier
fragen: Muss man nicht entschlossen auf das iranische Atomprogramm reagieren? Soll man den Holocaust-Leugner Ahmadineschad nicht bekämpfen? Ist
das Vordringen radikalislamischer
Parteien wie Hamas und Hisbollah kein Grund zum Alarm? Schon. Aber eine wirksame
Gegenstrategie muss mit folgender Erkenntnis beginnen. Der Westen
hat den sogenannten "Antiterrorkrieg"
verloren. Al-Qaida lebt.
Die Blockade von Hamas in Gaza,
die Bombardierung von Hisbollah
im Libanon, die Isolierung von Ahmadineschads
Iran und die Ausgrenzung von Assads
Syrien haben diese Achse der
Vier so stark gemacht wie nie. Wirtschaftlich
sind Saudi-Arabien und die Türkei Iran um Generationen voraus. Nur dank Irakkrieg und westlicher Kreuzzugsrhetorik plustert sich der
marode Iran heute als angereicherte
Vormacht der Region auf. So darf es nicht weitergehen.
Obama hat
in Kairo eine grundsätzliche Wende angezeigt, aber noch nicht im
Detail ausgemalt. Was kommt nun? Diese Woche reist
Obamas Nahost-Beauftragter
George Mitchell durch die Region und versucht, einen riesigen Block aus dem Weg zu
räumen, die jüdischen Siedlungen, die den Palästinenserstaat verhindern. Obama hat in Kairo zu
einem Stopp des rasant vorangehenden Ausbaus jüdischer Städte im palästinensischen
Westjordanland aufgerufen.
Das ist richtig, aber: Israel hat die Verhandlungsgrundlage
der Road Map bereits massiv zu seinen
Gunsten verändert. Deshalb wird ohne schnellen,
umfänglichen Abriss von Siedlungen aus dem Palästinenserstaat nichts werden. Obama hat
Hamas in seiner Rede erwähnt,
aber an die Einbindung der palästinensischen Islamisten Bedingungen geknüpft. Das ist an sich
richtig, denn Hamas sollte schon Israel anerkennen, wenn sie mitverhandeln will. Nur, wer spricht von westlicher Seite mit Hamas, solange sie Israel nicht anerkennen? Denn das ist ja ein Verhandlungstrumpf, den die Islamisten nicht ohne Gegenleistung aus der Hand geben
wollen.
Vielleicht bietet der
westliche Umgang mit Hisbollah einen
Ausweg.
Die schiitischen Islamisten
stellen in der libanesischen Koalitionsregierung
Minister, und das wird wohl
trotz Wahlniederlage auch so bleiben. Israel erkennen sie
nicht an. Trotzdem hat der Westen mit
dieser in alle Richtungen schillernden Regierung freudig zusammengearbeitet – war doch der Premier ebenso liebenswürdig wie pro-westlich. Ein Modell für Palästina?
Bleibt der größte Brocken
- Iran. Der
Verlauf des Präsidentenwahlkampfes
lässt hoffen, dass am Freitag nicht der Mann der schrillen Rede und der schweißnassen Haare gewinnt. Ahmadineschads Herausforderer Hussein Mussawi gewinnt mit jedem
Tag an Zustimmung. Mussawi segelt mit dem Rückenwind
des Obama-Effekts – Ahmadineschad
fehlt die apokalyptische Weltenkonfrontation.
Doch wer immer
siegt: In nationalen Fragen wird sich
die iranische Politik nicht entscheidend ändern. Die Zentrifugen zur Anreicherung nuklearen Materials werden weiterdrehen. Iran wird
seinen Führungsanspruch in der Region nicht aufgeben. Obama hat gesagt,
er will Iran nicht die Nutzung ziviler Nuklearenergie absprechen.
Doch wie kann
der US-Präsident den iranischen Führern seine Überzeugung beibringen, dass Atomwaffen eigentlich überflüssig sind? Gewiss nicht
mit Kriegsdrohungen.
Der große Sicherheitspakt der Region, der Israel und Iran, Saudi-Arabien
und Syrien beruhigt, muss noch ausformuliert werden.
Ahmadineschads defensive Reizbarkeit im Wahlkampf und die Lektion für Hisbollah
im Libanon deuten an: Mit der ausgestreckten Hand begegnet man diesen Radikalen wahrscheinlich wirksamer als
mit Gewehren.