Die Namen von neun Uiguren stehen
auf der Liste, die Barack Obamas Sondergesandter Daniel
Fried unlängst der deutschen Regierung überreicht hat. Sie sitzen derzeit
wie etwa 250 andere Häftlinge im US-Ge fangenenlager
Guantánamo auf Kuba. Deutschland, so die Bitte der Regierung
Obama, möge die Uiguren aufnehmen, um die Schließung des Lagers zu erleichtern. Nach Einschätzung eines US-Gerichts stellen die neun keine Gefahr
dar. In ihrer
Heimat in China drohen ihnen neuerlich Haft und Folter. Soll Deutschland
den Männern Asyl gewähren? Darüber ist in der
Großen Koalition in Berlin heftiger Streit entbrannt. Außenminister
Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist für ei
ne Aufnahme, Innenminister
Wolfgang Schäuble (CDU), aber auch einige
SPD-Innenpolitiker widersprechen.
Aber selbstverständlich! Vernunft und Menschlichkeit gebieten es, der Bitte
der Vereinigten Staaten nachzukommen.
Barack Obama war keine 48 Stunden
im Amt, da hatte er schon
verfügt, das Gefangenenlager
Guantánamo innerhalb eines Jahres zu schließen.
Ihm gebührt dafür höchste
Anerkennung – und jede Hilfe.
Schließlich haben die Europäer George W. Bush jahrelang
gedrängt, dem institutionalisierten Rechtsbruch
ein Ende zu setzen. Angela Merkel hat es so gesagt: »Der Einsatz solcher
Gefängnisse ist nicht vereinbar mit meinem Verständnis
von Rechtsstaatlichkeit.« Nun, endlich, soll
das schändliche Kapitel abgeschlossen werden.
Unsere Antwort auf die Anfrage der Amerikaner
kann deshalb nur lauten: Wessen
Unschuld erwiesen ist; wer Amerika
nach überstandener Folter verständlicherweise nicht zu seiner neuen Heimat machen
möchte; wer aber auch nicht
nach Hause zurückkehren kann, weil ihm dort
neuerliche Verfolgung droht, der sollte
bei uns Aufnahme
finden.
Nun aber haben scheinheilige Hüter der Inneren
und Äußeren Sicherheit einen Streit entfesselt,
als wollten
die Amerikaner unsere Sicherheit aus den Angeln heben! Als wollten sie sich trickreich
vor Schadensersatzprozessen
schützen (die doch von München aus genauso
leicht zu führen sind). Als wollten sie den Zorn Pekings, das in den
Guantánamo-Uiguren lauter ostturkestanische Terroristen sieht, auf die naiven Deutschen umlenken (die doch nach dem
Dalai-Lama-Empfang im Kanzleramt längst wieder gute Geschäfte
mit China machen).
US-Vizepräsident
Joe Biden hat beteuert: »Die Leute
sind wirklich
unschuldig. Wir sind bereit, sie
nach allen unseren Kräften zu unterstützen, damit sie sich
schnell integrieren können.« Natürlich,
man kann den Chinesen mehr glauben als Biden. Man kann und man
sollte mögliche Verbindungen der Uiguren zur separatistischen
Islamischen Bewegung Ostturkestan prüfen.
Nur ist bei
all den Rufen nach »mehr Informationen« vor allem eines
herauszuhören: Ausreden, Ausreden, Ausreden! Es ist die alte
moralische Wurstigkeit, die
schon der Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier im
Fall Murat Kurnaz offenbarte.
Irgendwas wird an den Vorwürfen schon dran sein!
Im Übrigen: Was geht uns das alles
an?
Aber reden wir
nicht von Moral, reden wir von politischer
Klugheit. Guantánamo ist in der islamischen Welt zum Synonym für die Doppelmoral des Westens geworden. Wohlgemerkt: des Westens, nicht Amerikas allein. Denn europäische
Staaten waren beteiligt – weil
Flugzeuge der CIA hier zwischenlandeten; weil es Indizien
dafür gibt, dass auch in Europa
Gefängniszellen zu Folterstätten wurden; weil Verdächtige nach Syrien, Pakistan oder Ägypten überstellt
wurden, wohl wissend, was ihnen dort bevorstand.
Nun kommt Barack
Obama, sucht das Gespräch mit den Muslimen, will die Ignoranz, den Hass der Bush-Jahre überwinden. Und beginnt dieses Gespräch mit der einzig
richtigen Geste: Guantánamo
zu schließen. Und wir wollen ihm dabei nicht
helfen? Wenn wir den Respekt der Welt – und den Respekt vor uns selbst
– verspielen möchten, wäre dies der richtige
Weg.