Sollen
wir Uiguren aufnehmen?
NEIN
sagt Theo Sommer: Das wäre eine Zumutung
Das amerikanische
Verlangen, die Bundesrepublik
solle neun Uiguren aufnehmen, die seit Jahren in Guantanamo schmoren, ist
– milde ausgedrückt – eine Zumutung. So sehr man wünschen mag, dass ihnen und einem weiteren runden Dutzend ihrer Landsleute, die nach dem 11. September in den Käfigen des US-Lagers auf Kuba eingesperrt waren, gefoltert wurden und unter George W. Bush außerhalb aller Gesetze gestellt
blieben, endlich Gerechtigkeit widerfährt – wir sollten uns
auf diese Zumutung nicht einlassen. Drei Gründe sprechen dagegen.
Zum ersten: Es ist nicht
einzusehen, weshalb andere die Suppe auslöffeln sollen, die sich die Amerikaner selber eingebrockt haben. Warum sollte
Bayern oder Niedersachsen Leute aufnehmen, deren Aufnahme sich Texas und Illinois verweigern?
Barack Obama will das Unrecht wiedergutmachen, das den Guantanamo-Häftlingen
unter seinem Vorgänger zugefügt wurde; das ehrt ihn. Aber es ist
die Sache des Täter-Volkes,
hier Remedur zu schaffen. Die Wiedergutmachung lässt sich nicht schnöde
mit Hinweis auf Bündnissolidarität anderen Nationen in die Schuhe schieben – schon gar nicht jenen, die Guantanamo stets
als Sündenfall
der amerikanischen Demokratie betrachtet haben. Ohnehin: Sind die Uiguren gefährlich,
wäre is eine Unverfrorenheit, sie zu uns abzuschieben.
Geht aber keinerlei Gefahr von ihnen aus, so ist nicht einzusehen, weshalb ihnen Amerika nicht
selber Asyl anbietet. Etwa deswegen nicht, weil sie
dann Haftentschädigung fordern oder gar Strafprozesse gegen die willigen Vollstrecker von Bushs und Cheneys Folterphantasien anstrengen könnten?
Zum zweiten: Die Barmherzigkeit der Menschenrechtsverteidiger in Ehren,
aber darüber dürfen wir die
Sicherheitsproblematik nicht
außer Acht lassen. Wir wissen einfach
nicht, wer da zu uns
kommen soll. Unschuldige, die das Pech hatten, zur falschen
Zeit am falschen Ort zu sein, den Amerikanern gegen ein Kopfgeld
ausgeliefert? Schuldige oder potentiell
Schuldige, die sich als Unschuldslämmer gebärden, um freizukommen? Man erinnert sich: Ein entlassener Guantanamo-Häftling aus Saudi-Arabien gehört heute zur Führungsriege
der Al Qaida im Jemen; ein anderer
Entlassener hat sich mittlerweile bei einem Selbstmordattentat in
Afghanistan in die Luft gesprengt.
Der „Spiegel“ zitiert
in seiner jüngsten Ausgabe Fakten aus deutschen
Regierungsakten, die auch
die Aufnahme-Befürworter sehr
nachdenklich stimmen müssten. Danach haben mehrere der
uns von Washington angedienten
Uiguren terroristische Ausbildungslager durchlaufen oder gehörten
der von den USA als Terrororganisation eingestuften ETIM an, die für die Unabhängigkeit Sinkiangs (das sie Ost-Turkestan nennen) von China eintritt. Wer weiß schon,
ob sie sich zum Zeitpunkt ihrer
Festnahme wirklich rein zufällig im Grenzgebiet
von Afghanistan und Pakistan aufhielten? Und welchen extremistischen
Gedanken sie in Zukunft anhängen werden? So oder
so werden sie ständig intensiv überwacht werden müssen. Sollten sie tatsächlich nach München kommen,
bloß weil
dort 500 Uiguren leben – wäre nicht
eine Radikalisierung des dort residierenden Uigurischen Weltkongresses zu gewärtigen – ein neues Harburg,
diesmal antichinesisch?
Zum dritten: Der chinapolitische Aspekt der Sache
lässt sich nicht schlichtweg ignorieren. Die Obama-Administration will es sich mit
Peking nicht verderben; deswegen hat Hillary Clinton bei ihrem ersten China Besuch als
US-Außenministerin die Menschenrechtsfragen
ostentativ auf die Sparflamme
geschoben. Weshalb aber sollten wir allein eine
neuerliche Verschlechterung
der Beziehungen zum Reich der Mitte
riskieren, während Amerika sich listig
abseits hält und selber keinen einzigen
Uiguren aufnimmt? Daraus kann nichts werden.
Auch müssten wohl mehrere europäische
Staaten Guantanamo-Insassen
aus dem aufmüpfigen,
der chinesischen Oberhoheit trotzenden Turkvolk aufnehmen, wenn sich der
ganze Zorn Pekings nicht ausschließlich über Berlin ergießen soll (wie überhaupt
angesichts der im Schengener Abkommen
verbürgten Reisefreiheit allenfalls eine gemeineuropäische, mindestens europäisch abgesegnete Lösung in Frage käme).
Die Gefühlsaufwallungen
sind verständlich,
die derzeit die Uiguren-Frage
auslöst. Aber späte Gewissensbisse wegen der Behandlung
des Falles Murat Kurnaz oder die dankbare Erinnerung an den Marshall-Plan, an Care-Pakete und die Rosinenbomber während der Berlin-Blockade sollten uns nicht
verführen, die Vernunft außer Kraft zu setzen. Die Vernunft jedoch müsste uns
sagen, dass im Fall der Uiguren
die Sicherheitsbedenken und die Vermeidung
negativer außenpolitischer Folgen Vorrang haben müssen vor
gutgemeinten, doch an die falsche Adresse gerichteten Menschenrechtserwägungen.
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