Held auf dem Hudson

Von Josef Joffe

Warum wir auch in Zeiten des Ich-Ich-Ich Heroen lieben

Was ist ein Held? Das ist ein Herrmann, der eine ganze römische Armee im germanischen Tann schlägt. Oder ein Herakles, ein richtiger Saubermann, der den Augiasstall ausmistet. Auch Paris gilt als Held, obwohl er nur der bekannteste Frauenräuber der Geschichte war. Doch grundsätzlich zeichnen den Helden jene Gaben aus, die ihn zu Großtaten befähigen, wobei er Mut und Kraft bis zur Selbstverleugnung, ja -zerstörung beweist.

Einen Theseus, der den Minotaur umbrachte, einen Perseus, der die Medusa mordete, gibt es heute nicht mehr. Aber es gibt Chesley Sullenberger, den USAir-Kapitän, dem das schier Unmögliche gelang: die Notlandung eines Passagier-Jets auf dem betonharten Wasser. Er rettete 155 Menschen das Leben, weil er ein perfekter Profi war. Aber das pure Können macht noch keinen Helden; zu dem wuchs der Pilot erst heran, als er in der Tradition von »Kinder und Frauen zuerst« als Letzter von Bord ging, nachdem er die Kabine zweimal nach Verletzten abgesucht hatte.

Dass solche Tugend – unter eigenem Risiko die Verantwortung für Schwächere übernehmen – auch in der Postmoderne gefragt ist, beweisen zwei sehr zeitgemäße Phänomene: Es dauerte nur Stunden, bis der Mann eine Seite bei Facebook und einen Eintrag in Wikipedia hatte. Ein zweiter Held dieser Tage hat keinen Eintrag bekommen, dafür aber ein paar Sätze in der Abschiedsrede von George W. Bush. Es ist Bill Krissoff, ein Chirurg aus Kalifornien, mit dem dieser Autor, damals Austauschschüler, vor Urzeiten die High School in Grand Rapids, Michigan besucht hat.

Sein Sohn Nathan war als Marine im Irak gefallen, und der Vater wollte, statt mit dem Schicksal zu hadern, etwas für dessen Kameraden tun: im Krieg als Arzt Leben retten. Im Alter von 60 gab er die lukrative Praxis auf und unterzog sich in der Navy einem monatelangen Training als Militär-Chirurg. Bei der Zeremonie im Weißen Haus war er nicht dabei, weil er, wie Bush sagte, auf dem Weg in den Irak war. Sullenberger war übrigens auch verschwunden, als die Nation ihren neuen Helden aufzuspüren versuchte.

Bescheidenheit, sich zurücknehmen, das Risiko nicht scheuen – das sind die Tugenden, die früher unter dem Rubrum »Ehrenkodex« liefen und noch immer das Wesen des Helden ausmachen, nicht die Ruhm- oder Geltungssucht. Bei Doktor Krissoff kommt der Patriotismus hinzu, den die Postmoderne kaum noch schätzt, ja als falsche Tugend verpönt. Aber was ist Patriotismus anderes, als für andere einzustehen, für die man eine besondere Zugehörigkeit empfindet?

Bert Brecht, der Zyniker, hat uns im Galilei einzureden versucht: »Glücklich das Land, das keinen Helden braucht.« Falsch, auch wenn unsere Helden heute bei Facebook, auf dem Altar der Selbstbezogenheit, oder, horribile dictu, von George W. gefeiert werden. Die Faszination, die ein Sullenberger ausübt, hat nichts mit dem »Heldentum« zu tun, das im »Dschungelcamp« verhökert wird. Dort geht’s um Ekelabwehr für 15 Minuten Ruhm. Wir werden sie alle nach 20 Minuten vergessen haben, nicht aber Menschen wie Sullenberger und Krissoff. Die haben es nicht für sich, sondern für andere getan. Ein TV-Spektakel wäre ihnen der wahre Ekel.