Was ist ein Held? Das ist ein Herrmann, der
eine ganze römische Armee im germanischen Tann schlägt. Oder ein Herakles, ein
richtiger Saubermann, der den Augiasstall ausmistet. Auch Paris gilt als Held,
obwohl er nur der bekannteste Frauenräuber der Geschichte war. Doch
grundsätzlich zeichnen den Helden jene Gaben aus, die ihn zu Großtaten
befähigen, wobei er Mut und Kraft bis zur Selbstverleugnung, ja -zerstörung
beweist.
Einen Theseus, der den Minotaur umbrachte,
einen Perseus, der die Medusa mordete, gibt es heute nicht mehr. Aber es gibt
Chesley Sullenberger, den USAir-Kapitän, dem das schier Unmögliche gelang: die
Notlandung eines Passagier-Jets auf dem betonharten Wasser. Er rettete 155
Menschen das Leben, weil er ein perfekter Profi war. Aber das pure Können macht
noch keinen Helden; zu dem wuchs der Pilot erst heran, als er in der Tradition
von »Kinder und Frauen zuerst« als Letzter von Bord ging, nachdem er die Kabine
zweimal nach Verletzten abgesucht hatte.
Dass solche Tugend – unter eigenem Risiko die
Verantwortung für Schwächere übernehmen – auch in der Postmoderne gefragt ist,
beweisen zwei sehr zeitgemäße Phänomene: Es dauerte nur Stunden, bis der Mann
eine Seite bei Facebook und einen Eintrag in Wikipedia hatte. Ein zweiter Held
dieser Tage hat keinen Eintrag bekommen, dafür aber ein paar Sätze in der
Abschiedsrede von George W. Bush. Es ist Bill Krissoff, ein Chirurg aus
Kalifornien, mit dem dieser Autor, damals Austauschschüler, vor Urzeiten die
High School in Grand Rapids, Michigan besucht hat.
Sein Sohn Nathan war als Marine im Irak
gefallen, und der Vater wollte, statt mit dem Schicksal zu hadern, etwas für
dessen Kameraden tun: im Krieg als Arzt Leben retten. Im Alter von 60 gab er
die lukrative Praxis auf und unterzog sich in der Navy einem monatelangen
Training als Militär-Chirurg. Bei der Zeremonie im Weißen Haus war er nicht
dabei, weil er, wie Bush sagte, auf dem Weg in den Irak war. Sullenberger war
übrigens auch verschwunden, als die Nation ihren neuen Helden aufzuspüren
versuchte.
Bescheidenheit, sich zurücknehmen, das Risiko
nicht scheuen – das sind die Tugenden, die früher unter dem Rubrum »Ehrenkodex«
liefen und noch immer das Wesen des Helden ausmachen, nicht die Ruhm- oder
Geltungssucht. Bei Doktor Krissoff kommt der Patriotismus hinzu, den die
Postmoderne kaum noch schätzt, ja als falsche Tugend verpönt. Aber was ist
Patriotismus anderes, als für andere einzustehen, für die man eine besondere
Zugehörigkeit empfindet?
Bert Brecht, der Zyniker, hat uns im Galilei
einzureden versucht: »Glücklich das Land, das keinen Helden braucht.« Falsch,
auch wenn unsere Helden heute bei Facebook, auf dem Altar der
Selbstbezogenheit, oder, horribile dictu, von George W. gefeiert werden. Die
Faszination, die ein Sullenberger ausübt, hat nichts mit dem »Heldentum« zu
tun, das im »Dschungelcamp« verhökert wird. Dort geht’s um Ekelabwehr für 15
Minuten Ruhm. Wir werden sie alle nach 20 Minuten vergessen haben, nicht aber
Menschen wie Sullenberger und Krissoff. Die haben es nicht für sich, sondern
für andere getan. Ein TV-Spektakel wäre ihnen der wahre Ekel.