Charismatische Politiker

Das große Obama-Suchen

Von Werner A. Perger

Die Europäer bewundern ihn. Alle deutschen Parteien hätten gern einen Obama. Aber sie werden keinen bekommenweil sie sind, wie sie sind

Jetzt sind alle, oder fast alle, erleichtert. Endlich gibt es an Amerika wieder etwas zu bewundern. Das Grauen der Bush-Cheney-Jahre ist vorüber. Die Bürger der Vereinigten Staaten haben das selbst in einem klassischen demokratischen Akt erledigt. Und so klingt das Pathos vom American Dream mit einem Mal auch gar nicht mehr so verlogen wie in den vergangenen acht Jahren. Barack Obama, der Wahlsieger, hat den Blick auf die USA verändert, vielleicht sollte man auch besser sagen: wieder zurechtgerückt.

Kein Wunder also, dass man im alten Europa nicht nur mit Respekt und Erleichterung den Wahlsieg Obamas registriert hat. Man ist geradezu fasziniert, wie der junge Senator aus dem Nichts kam, sah und siegte; wie er Misstrauen durch rhetorisches Handauflegen in Vertrauen wandelte, junge Menschen aus den Sofas holte und aus ihnen ohne jeden Zeitverlust Kampagnehelfer machte. Und wie er Woche für Woche im Internet neue Rekorde im Sammeln von Kleinspenden aufstellt. Obama, der wahre Menschenfischer. So kam es wohl, wie es kommen musste: Alle sind sich einig, so einen brauchen und wollen wir auch. Aber wo ist er?

Oder schlichter gefragt: "Wo bleibt der deutsche Obama?" Unter diesem Titel, der auch satirisch gemeint hätte sein können, das aber nicht war, diskutierte am Montag eine Runde im Deutschlandfunk, ein relativ alter Politikwissenschaftler und drei noch relativ junge Jungpolitiker, wobei letztere prompt gefragt wurden, ob Obama ihr Vorbild sei. Irgendwann kam dann die Rede auf den neuen hessischen SPD-Kandidaten und dessen Null-Chance gegen Roland Koch. Da sagte der Jungsozialdemokrat in der Runde doch tatsächlich, vor zwei Jahren hätte schließlich auch niemand Barack Obama gekannt. Ich nehme an – im Zweifel für den Angeklagten! – dass das wenigstens ein bisschen auch als Scherz gemeint war. Es zeigt aber jedenfalls, welche Blüten diese kollektive Obama-Suche treiben kann.

Da niemandem entgangen ist, nicht einmal dem unseligen Italiener Silvio Berlusconi, dass Barack Obama eine dunkle Hautfarbe hat, kommt die Obama-Frage auch gern in der Form aufs Tapet: Wann wird der erste Türke Bundeskanzler? Je nun, haben Sie nicht was Leichteres? Cem Özdemirs Schwierigkeiten, als Parteivorsitzender bei den Grünen auch einen Listenplatz für den Bundestag zu kriegen, demonstriert die Probleme für diese Perspektive "deutscher Obama". Immerhin sind die Niederländer da schon einen großen Schritt weiter: Ab 1. Januar wird dort ein holländischer "Obama-plus" Bürgermeister der Hafenstadt Rotterdam, Ahmed Aboutaleb, 47, geboren in Marokko, mit 15 Jahren eingewandert, praktizierender Moslem, Doppelstaatsbürger, Sozialdemokrat und, wer weiß, eines Tages vielleicht Spitzenkandidat seiner Partei fürs ganze Land.

Aber jetzt mal ernsthaft: Es geht natürlich überhaupt nicht um die Frage, ob ein Türke/Araber und/oder ein Moslem/Jude/Hindu Kanzler in Deutschland, Ministerpräsident in Holland, Dänemark, Österreich oder sonst wo in Europa werden kann. Entscheidend ist, ob die alten europäischen Parteien und die alten politischen Strukturen in Europa einen wie Obama überhaupt zulassen würden. Die alberne Frage "Wo ist der deutsche Obama?" müsste eigentlich lauten: Hätte einer wie Barack Obama in einer unserer Parteien überhaupt eine Chance?

"Gute" und "schlechte" Hindernisse würden den Aufstieg allzu außerordentlicher Politiker behindern. Die zirkushaften Inszenierungen der Kandidatenauftritte, die weihevollen Teleprompter-Galareden, das spektakuläre Mega-Event-Ambiente, dessen sich auch Obama gern bedient und das er vortrefflich beherrscht, trifft in Europa, speziell aber in Deutschland nicht auf die gleiche Unbefangenheit wie in Amerika.

Zumindest bei den Sensibleren vibriert da, selbst wenn sie der guten Sache zustimmen, die historische Erinnerung an die ewige Chiffre "Sportpalast" mit. Reden können natürlich auch auf deutschen Politikveranstaltungen je nach Inhalt und Form Weichen stellen. Es kann sein, dass eine schwache Vorstellung ein Gerede über das Ende des Redners in Gang setzt, wie das bei dem seinerzeitigen Oppositionsführer Helmut Kohl nach einer völlig in den Sand gesetzten Grundsatzrede anno 1978 auf dem CDU-Parteitag in Ludwigshafen der Fall war.

Oder ein starker Auftritt löst ein Beben aus, wie Lafontaines legendärer parteipopulistischer Auftritt auf dem SPD-Parteitag in Mannheim 1995, der innerhalb von 24 Stunden zum Sturz des glücklosen Parteichefs und glanzlosen Parteitagsredners Scharping führte. Insgesamt gilt aber doch, dass andere Elemente und Talente langfristig eine größere Rolle spielen. Kohl hat die Formkrise von Ludwigshafen – und viele andere Krisen danachüberstanden und lange regiert. Lafontaine trug zum Wahlsieg der SPD 1998 viel bei, wenige Monate danach war er von der Bildfläche verschwunden, gescheitert an sich selbst, aber auch an den parteidemokratischen Strukturen, die bonapartistischen Ambitionen eher blockieren.

Aber die strukturellen Hürden für charismatische Ausnahmegestalten, wie Obama eine zu sein scheint, haben ihre Schattenseiten: die ehernen, rituellen Abläufe der traditionellen Parteien wirken abschreckend. Sie stoppen Initiativen und vertreiben jene wieder, die unter Überwindung der ersten Hemmschwelle einer Partei versuchsweise beigetreten waren. Junge Leute betätigen sich heute eher in zivilgesellschaftlichen Organisationen als in Parteien. Natürlich spielt da auch die Scheu vor zu viel Bindung eine Rolle und zu viel Verantwortung für Kleinkram, wie das in Parteien so unverzichtbar ist wie im Sportverein. Aber das ist nicht die ganze Geschichte.

Die alten Parteien haben in der Regel nichts anzubieten, was attraktiv ist für kreative politische Talente. So bleiben in erster Linie die weniger spannenden Kunden hängen: künftige Berufspolitiker, deren Kurzbiografien man später entnehmen wird, dass sie nichts anderes gelernt haben, als den Alltag im Parteienstaat zu bewältigen. Je besser sie das konnten, desto steiler ihrer Karriere. Ein Biotop für "deutsche Obamas" ist das nicht.