Jetzt sind
alle, oder fast alle, erleichtert. Endlich gibt es an Amerika
wieder etwas zu bewundern. Das Grauen der Bush-Cheney-Jahre ist
vorüber. Die Bürger der Vereinigten Staaten haben das selbst in einem klassischen demokratischen Akt erledigt. Und so klingt das Pathos vom American
Dream mit einem Mal auch gar nicht mehr so verlogen wie in den vergangenen acht Jahren. Barack Obama, der Wahlsieger, hat den Blick auf die USA verändert, vielleicht sollte man auch besser sagen:
wieder zurechtgerückt.
Kein Wunder also, dass man im alten
Europa nicht nur mit Respekt
und Erleichterung den Wahlsieg
Obamas registriert hat. Man
ist geradezu
fasziniert, wie der junge Senator aus dem Nichts
kam, sah und siegte; wie er
Misstrauen durch rhetorisches Handauflegen in Vertrauen wandelte, junge Menschen aus den Sofas holte und aus ihnen ohne
jeden Zeitverlust Kampagnehelfer machte. Und wie er Woche für Woche
im Internet neue Rekorde im Sammeln
von Kleinspenden aufstellt.
Obama, der wahre
Menschenfischer. So kam
es wohl, wie es kommen
musste: Alle sind sich
einig, so einen brauchen und wollen wir auch. Aber
wo ist
er?
Oder schlichter gefragt: "Wo bleibt der deutsche Obama?" Unter diesem Titel,
der auch satirisch gemeint hätte sein können,
das aber nicht war, diskutierte am Montag eine Runde im
Deutschlandfunk, ein relativ alter Politikwissenschaftler
und drei noch relativ junge Jungpolitiker,
wobei letztere prompt gefragt wurden, ob Obama ihr Vorbild sei.
Irgendwann kam dann die Rede auf den neuen hessischen SPD-Kandidaten und dessen
Null-Chance gegen Roland Koch. Da sagte der Jungsozialdemokrat in der Runde doch
tatsächlich, vor zwei Jahren hätte
schließlich auch niemand Barack Obama gekannt.
Ich nehme an – im Zweifel für
den Angeklagten! – dass das wenigstens ein bisschen auch
als Scherz gemeint war. Es zeigt
aber jedenfalls, welche Blüten diese
kollektive Obama-Suche treiben kann.
Da niemandem entgangen ist, nicht einmal dem
unseligen Italiener Silvio Berlusconi, dass Barack
Obama eine dunkle Hautfarbe hat, kommt die Obama-Frage auch gern
in der Form aufs Tapet: Wann wird
der erste Türke Bundeskanzler? Je nun, haben Sie nicht
was Leichteres? Cem Özdemirs
Schwierigkeiten, als Parteivorsitzender bei den Grünen auch einen Listenplatz
für den Bundestag zu kriegen, demonstriert die Probleme für diese
Perspektive "deutscher
Obama". Immerhin sind die Niederländer da schon einen
großen Schritt weiter: Ab 1. Januar
wird dort ein holländischer
"Obama-plus" Bürgermeister der Hafenstadt Rotterdam, Ahmed Aboutaleb, 47, geboren in Marokko, mit 15 Jahren eingewandert, praktizierender Moslem, Doppelstaatsbürger,
Sozialdemokrat und, wer weiß, eines Tages
vielleicht Spitzenkandidat
seiner Partei fürs ganze Land.
Aber jetzt mal ernsthaft: Es geht natürlich überhaupt nicht um die Frage, ob ein Türke/Araber und/oder ein Moslem/Jude/Hindu Kanzler in Deutschland, Ministerpräsident
in Holland, Dänemark, Österreich
oder sonst wo in Europa werden
kann. Entscheidend ist, ob die alten
europäischen Parteien und
die alten politischen Strukturen in Europa einen wie Obama überhaupt zulassen würden. Die alberne Frage "Wo ist der deutsche Obama?" müsste eigentlich lauten: Hätte einer
wie Barack Obama in einer unserer Parteien überhaupt eine Chance?
"Gute"
und "schlechte" Hindernisse
würden den Aufstieg allzu außerordentlicher Politiker behindern. Die zirkushaften Inszenierungen der Kandidatenauftritte, die weihevollen Teleprompter-Galareden,
das spektakuläre Mega-Event-Ambiente,
dessen sich auch Obama gern bedient und das er vortrefflich beherrscht, trifft in Europa, speziell aber in Deutschland nicht auf die gleiche Unbefangenheit wie in Amerika.
Zumindest bei den Sensibleren
vibriert da, selbst wenn sie
der guten Sache zustimmen, die historische Erinnerung an die ewige Chiffre
"Sportpalast" mit.
Reden können
natürlich auch auf deutschen Politikveranstaltungen je
nach Inhalt und Form Weichen stellen. Es kann sein, dass
eine schwache Vorstellung ein Gerede über das Ende des Redners in Gang setzt, wie das bei dem seinerzeitigen
Oppositionsführer Helmut Kohl nach
einer völlig in den Sand gesetzten Grundsatzrede anno 1978
auf dem CDU-Parteitag in
Ludwigshafen der Fall war.
Oder ein starker Auftritt löst ein
Beben aus, wie Lafontaines legendärer parteipopulistischer Auftritt auf dem SPD-Parteitag in Mannheim 1995, der
innerhalb von 24 Stunden zum Sturz des glücklosen
Parteichefs und glanzlosen Parteitagsredners Scharping führte. Insgesamt gilt aber doch, dass
andere Elemente und Talente langfristig eine größere Rolle
spielen. Kohl hat die Formkrise
von Ludwigshafen – und viele andere
Krisen danach – überstanden und lange
regiert. Lafontaine trug zum Wahlsieg der
SPD 1998 viel bei, wenige Monate
danach war er von der Bildfläche verschwunden, gescheitert an sich selbst, aber
auch an den parteidemokratischen
Strukturen, die bonapartistischen
Ambitionen eher blockieren.
Aber die strukturellen Hürden für charismatische
Ausnahmegestalten, wie
Obama eine zu sein scheint, haben
ihre Schattenseiten: die ehernen, rituellen Abläufe der traditionellen
Parteien wirken abschreckend. Sie stoppen Initiativen und vertreiben jene wieder, die unter Überwindung der ersten Hemmschwelle einer Partei versuchsweise
beigetreten waren. Junge Leute betätigen
sich heute eher in zivilgesellschaftlichen Organisationen als
in Parteien. Natürlich spielt da auch
die Scheu vor zu viel Bindung
eine Rolle und zu viel Verantwortung
für Kleinkram, wie das in Parteien so unverzichtbar ist
wie im Sportverein.
Aber das ist
nicht die ganze Geschichte.
Die alten Parteien haben in der Regel nichts
anzubieten, was attraktiv ist für kreative politische Talente. So bleiben in erster Linie die weniger spannenden Kunden hängen: künftige Berufspolitiker, deren Kurzbiografien man später entnehmen wird, dass sie
nichts anderes gelernt haben, als den Alltag
im Parteienstaat zu bewältigen. Je
besser sie das konnten, desto steiler ihrer Karriere.
Ein Biotop für "deutsche Obamas" ist das nicht.