Osama und seine Prophezeiung
Von Ulrich Ladurner
Das amerikanische
Finanzdebakel und seine Wirkung
unter den Fanatikern in der muslimischen Welt
Falls Osama bin Laden noch leben sollte,
wird er sich
dieser Tage freuen. Er wird
seinen Anhängern sagen: „Seht her, unser Todfeind liegt im Sterben!“
Alle werden zustimmend nicken und weiter gierig die Nachrichten aus den USA verschlingen. Jeden weiteren Crash an der Börse werden
sie mit den Worten kommentieren: „Allah ist groß!“
Osama muss in diesen Tagen, da
die USA eine Krise gewaltigen Ausmaßes erleben, tatsächlich das Gefühl haben, dass
seine Prophezeiung Wirklichkeit
wird. Vor mehr als einem
Jahrzehnt zog er aus, um Amerika
und seine Hintersassen am Arabischen
Golf zu besiegen, nicht mehr und nicht weniger. Das muss damals wie eine
Verrücktheit erschienen sein, denn die USA waren im Zenit
ihrer Macht, und Osama und
die seinen waren nichts weiter als
eine fanatisierte Mordbande.
Heute erleben wir
den rapiden Niedergang der USA, den manche für irreversibel halten. Osama hat den Sieg vor Augen. Ob das stimmt oder nicht
stimmt – das soll hier nicht debattiert
werden. Es geht darum anzuerkennen, dass dies die Sichtweise Osama
bin Ladens ist. Es geht darum, einen
Blick in die Gedankenwelt der Fanatiker zu
werfen.
Als al-Qaida die Attentate vom 11. September 2001 plante, verfolgte sie dreierlei Ziele.
Erstens: möglichst viele Menschen töten; zweitens: diesen Massenmord mit maximaler medialer
Wirkung zu inszenieren; drittens: die USA zu einem Gegenschlag
provozieren. Die ersten beiden Ziele hat al-Qaida am Tag
des Anschlages erreicht.
Das dritte Ziel erreichten sie drei Wochen später,
als die USA Afghanistan angriffen
— hier, hofften sie, würden sie
Amerikas Truppen ausbluten. In Afghanistan hatte schon eine Supermacht
eine bittere Niederlage erlitten.
Sowjetische Truppen waren
1979 einmarschiert und mussten
sich zehn Jahre später, 1989, geschlagen zurückziehen. 1991 dann zerbrach die Sowjetunion. Die Gotteskrieger sind seither überzeugt
davon, dass sie das „Reich des Bösen“ erlegt hätten. Diese Überzeugung ist in Afghanistan und in Pakistan weit
verbreitet – und sie ist zur Grundlage
der Strategie al-Qaidas geworden. „Warum soll, was einmal gelungen ist, nicht auch
ein zweites Mal gelingen!“
Natürlich ist die Sowjetunion
nicht an der Niederlage in Afghanistan zugrunde
gegangen, und natürlich hätten die afghanischen Mudschahedin die Rote Armee nie ohne die kräftige
Mithilfe der USA besiegen können — aber der Sieg
über die Sowjetunion bleibt für die islamistischen Fanatiker ein Propagandamittel mit großer Wirkung.
Die Frage, die sich deshalb stellt: Was bedeutet es nun, da Osama bin Laden behaupten kann, er habe
recht gehabt mit seiner Prophezeiung, es sei möglich,
„den großen Satan“ zu besiegen? Klar ist, dass dies seine Anhänger beflügeln und dazu anstiften wird, weiter ihrem
mörderischem Handwerk nachzugehen.
Aber wie wird
die dramatische Schwäche Amerikas in der muslimischen Welt aufgenommen? Welche Lehren ziehen
die Menschen daraus? Denken sie vielleicht,
dass es nun Zeit sei, die Potentaten zu stürzen, die sie mit Gnaden
Amerikas kujonieren? Welche Kräfte setzt
Amerikas Niedergang in der islamischen Welt frei? Darauf wird
man in der nächsten Zeit achten müssen.