Obama, der
Erlöser?
Wir Westeuropäer wünschen uns nichts
sehnlicher als
Barack Obama an der Spitze der USA. Doch er
wäre Präsident einer sehr starken
Supermacht, und die sorgt immer für Ärger.
Ein Kommentar
Von Josef Joffe
Der Zeitgeist weht für Obama – wenn auch leiser in Asien, Afrika und Lateinamerika als
in Westeuropa. Bei uns mag eine
optische Täuschung die Gemüter prägen: das tröstliche Bild, wonach nicht
Amerika, sondern George W.
Bush das Problem sei. Weg mit dem »Cowboy«, her mit Change & Hope, und wir
können Amerika wieder lieben.
Warum das eine
Sinnestäuschung ist?
Erstens, weil der Anti-Amerikanismus älter ist als
Bush jr. Das Plakat
»USA=Nazi« war schon 1999 auf einer
Wiener Demo zu sehen, als der nette
Herr Clinton Serbien bombardierte.
Weiter zurück: Hans Magnus Enzensberger erinnert sich daran, wie
die »aufgebrachten 68er ihr
einstiges Objekt der Begierde wüst
beschimpften. ›USA-SA-SS‹, riefen
sie«, die CIA war ihnen der »Leibhaftige«.
Zweitens, weil
Obama (vielleicht) kommt, aber die Übermacht bleibt. Dem befriedeten Europa ist
Macht grundsätzlich suspekt; wer sie
einsetzt (das haben alle US-Präsidenten
seit 1945 reichlich getan), ist in der Tat des Teufels. Doch ist
Obama kein Erlöser. Amerika, schreibt er in Hoffnung wagen,
müsse »wenn auch widerstrebend den Weltpolizisten spielen«.
Es müsse »unilateral« gegen
jene vorgehen können, »die sich darauf vorbereiten, amerikanische Ziele anzugreifen«. Der UN-Sicherheitsrat dürfe
nicht im Vorhinein »ein Veto über unser Handeln«
haben. Klingt irgendwie Bush-mäßig – oder schlimmer,
weil Obama sogar in
Pakistan gegen al-Qaida zuschlagen würde.
Drittens, weil
Amerika, diese Dampframme der Moderne, grundsätzlich stört. Wie schrieb doch
Marx 1848? »Die fortwährende Umwälzung der Produktion,
die ununterbrochene Erschütterung
aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeois-Epoche vor allen früheren
aus.« Ersetzen wir »Bourgeoisie« durch
»Amerika«, und der Satz passt wie
angegossen. Oder durch
»Globalisierung«, deren Avantgarde Amerika ist.
In Old Europe hätten wir’s gern
etwas gemächlicher – kein Wunder nach
den Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Und deshalb wollen wir »keine amerikanischen
Verhältnisse« (Schröder und Stoiber im
Wahlkampf 2002). Wir wollen auch keine
amerikanischen Zumutungen wie etwa die Aufstockung
der Bundeswehr in
Afghanistan oder harte Sanktionen gegen Iran oder Zivilhilfe im Irak.
Solches werden beide fordern,
Obama wie McCain.
Bei
Obama aber kämen zwei Extraminuspunkte hinzu. Seine Partei spielt mit
dem Feuer des Protektionismus gegen Waren wie Menschen;
deshalb sind
Asien und Lateinamerika so skeptisch gegenüber dem Demokraten. Dann Obamas Idealismus,
der eine hübsche Projektionsfläche für die Europäer abgibt. Zu dem
gehört die hochfliegende Menschenrechtspolitik, die nicht etwa George W., sondern Jimmy
Carter, der Demokrat, erfunden hat. Das Mantra der human rights hat Helmut Schmidt schon bei der
Entspannungspolitik mit Moskau genervt. Obama steht fest in dieser Tradition;
von McCain, dem geläuterten
Republikaner, ist
mehr Real- als Idealpolitik zu erwarten. Unser Steinmeier würde das
schätzen.
Gewählt aber wird in Amerika, nicht in Europa. Die beiden Kandidaten liegen in der jüngsten
Umfrage präzise gleichauf: mit je 45 Prozent.