Der Sony-Hack ist das 9/11 der US-Filmbranche
Der verheerende Cyber-Angriff auf Sony Pictures versetzt die Branche so in Furcht, dass niemand protestiert. Netzaktivisten und Kino-Magnaten kuschen gleichermaßen, wo doch Gegenwehr angezeigt wäre.
Von Ulrich Clauß Politikredakteur
Es mutet an wie eine Nachricht aus der Zukunft. Jedenfalls wäre eine solche Geschichte noch vor wenigen Jahren als eine an den Haaren herbeigezogene Science-Fiction-Spinnerei abgetan worden in ebenjener Branche, die jetzt dafür zum Schauplatz in der Wirklichkeit geworden ist.
Und das ist der Plot: Ein Unterhaltungskonzern will eine Filmkomödie herausbringen, deren Handlung Anstoß bei einem totalitären Regime erregt. In der Folge legen Angriffe über das Internet diesen Konzern lahm, Unmengen an internen Firmeninformationen und private Daten der Beschäftigten werden entwendet und öffentlich gemacht. Die Attacke ist begleitet von Anschlagsdrohungen größten Ausmaßes gegen Abspielstätten, in denen der Film starten soll.
Derart eingeschüchtert sagt die Unternehmensführung die Weltpremiere ab, der Film wird zurückgezogen, der amerikanische Präsident erklärt die Angelegenheit zur Frage der "nationalen Sicherheit" und kündigt eine "angemessene Reaktion" an. Das könnte durchaus einen Militärschlag gegen ein anderes Land bedeuten. "Digitale Fußabdrücke" wiesen in Richtung Nordkorea, heißt es aus US-Regierungskreisen.
So skurril dieser Hackerangriff auf das Hollywood-Studio Sony Pictures und dessen Nordkorea-Satire "The Interview" über die Ermordung von Diktator Kim Jong-un durch zwei Journalisten auch auf viele gewirkt haben mag – die Weiterungen sind sehr ernst zu nehmen. Eine Erkenntnis, die sich in der Weltöffentlichkeit allerdings nur sehr zögerlich durchsetzt. Noch Anfang der Woche wurde auch in sonst hochseriösen deutschen Kommentarspalten darüber herumgewitzelt.
George Clooney steht allein da
Nun aber weisen Flüchtlinge aus Nordkorea wie auch US-Experten darauf hin, dass der Angriff auf Sony ein Probelauf für Attacken auf Telekom- und Stromnetze anderer Staaten gewesen sein könnte. Ziel sei, Südkorea und die USA zu treffen. Das FBI warnte eine Reihe größerer amerikanischer Unternehmen vor weiteren Angriffen.
Doch nicht nur die möglichen Folgen des Sony-Hacks werden von vielen immer noch bagatellisiert. Auch der Vorgang selbst und seine Bedeutung für die weltweite Geltung von Grundrechten und Meinungsfreiheit wird vielfach kaum ernst genommen. So scheiterte der Schauspieler George Clooney damit, unter Hollywoods Mächtigen für Solidarität zugunsten des geplünderten Unterhaltungskonzerns zu werben.
Schließlich kann man Sony Pictures durchaus als Opfer eines cyberterroristischen Angriffs einer feindlichen Nation sehen – und das auf amerikanischem Boden. Eine von Clooney verfasste Petition habe aber niemand unterschreiben wollen, gab der am Freitag bekannt.
Angesichts einer Attacke, die man getrost als das 9/11 der amerikanischen Filmbranche bezeichnen darf, zeugt das von erstaunlicher Ignoranz – oder Hasenfüßigkeit. Auch die internationale Gilde sogenannter Internet-Aktivisten, die ansonsten aus weit geringerem Anlass alle bürgerrechtlichen Alarmglocken schrillen lässt, übt sich in vornehmer Zurückhaltung oder zeigt sogar offen Häme angesichts des Schicksals des geplünderten Unterhaltungsriesen.
Kostspielige Schäden
Es mag ja sein, dass dort Inkompetenz und Schlendrian diesen gewaltigen Cyberschlag erst möglich machten. Das kann jedoch keinesfalls rechtfertigen, die Opfer von Cyberterrorismus auch noch zu verhöhnen. Schließlich steht hier beispielhaft das wirtschaftliche Überleben und die Publikationsfreiheit eines Wirtschaftsunternehmens auf dem Spiel.
Aber es ist wohl so – und auch da deckt sich die Leinwandfiktion mit dem wirklichen Leben: Gefahren müssen konkret erlebt werden, bevor man sie ernst nimmt. Solange das Wasser aus dem Hahn und der Strom aus der Steckdose kommen, begreift einfach kaum jemand, welche Risiken und Gefahren Angriffe feindlicher Mächte auf unsere digitale Infrastruktur darstellen.
Auch hierzulande gehen einschlägige Nachrichten noch allzu oft unter. Dabei kommen die Einschläge immer näher. So berichtete das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik in der vergangenen Woche in seinem Jahresreport von Cyberangriffen auf ein deutsches Stahlwerk, die zu kostspieligen Schäden an einem Hochofen geführt hätten. Die Meldung war kaum jemandem eine Zeile wert. So etwas mutet eben für viele immer noch an wie eine Nachricht aus der Zukunft. Aber diese Zukunft ist längst Gegenwart.