Als "Lame
Duck" kann Obama nun die Welt retten
Von Clemens Wergin, Korrespondent in Washington
Wenn US-Präsidenten nach sechs Jahren wichtige Wahlen verlieren, konzentrieren sie sich zum Ende der Amtszeit vor allem auf die Außenpolitik. Auch bei Obama könnte es nun neue Entschlossenheit geben. Von Clemens Wergin
Wenn Barack Obama am Montag in Peking zu seiner ersten Auslandsreise nach den verlorenen Midterm Elections (Zwischenwahlen) eintrifft, dann reist eine Frage mit ihm, die sich viele in der Welt stellen: Ist der Präsident so geschwächt, dass es auch seine Stellung im Ausland und die Wirksamkeit der amerikanischen Außenpolitik in Mitleidenschaft zieht?
Schon bevor der Präsident den Senat an die Republikaner verlor, war Amerika von der Ukraine über Syrien und den Irak bis zum Südchinesischen Meer mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Zum Teil sind diese aus Obamas Fehlern oder aus der gefühlten amerikanischen Führungsschwäche entstanden. Kann es einem innenpolitisch gelähmten Präsidenten nun in den letzten zwei Jahren noch gelingen, in der Außenpolitik neue Akzente zu setzen und ein positives Erbe aufzubauen.
Es geht um Obamas außenpolitisches Erbe
Tatsächlich wird man Barack Obama in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit wohl öfter außerhalb der Vereinigten Staaten antreffen als in den sechs Jahren zuvor. Es hat sich jedenfalls auch bis nach Peking herumgesprochen, dass "Lame duck"-Präsidenten, die nach sechs Jahren im Amt wichtige Wahlen verlieren, sich zum Ende ihrer Präsidentschaft vornehmlich auf die Außenpolitik verlegen.
Denn in keinem anderen Feld hat der Präsident so viele Möglichkeiten, einen eigenen Kurs auch ohne Zustimmung des Parlaments zu markieren. Ronald Reagan etwa hat nach verlorenen Zwischenwahlen noch wichtige Abrüstungsverträge mit Moskau in der Spätphase der Sowjetunion ausgehandelt.
Freihandelsabkommen mithilfe der Republikaner?
Zudem gibt es Politikfelder, auf denen Obama durchaus auf die Zustimmung der Republikaner hoffen kann. Etwa bei den angestrebten Freihandelsabkommen mit asiatischen Staaten (TPP) und mit der EU (TTIP). In diesem Bereich waren es die eigenen, freihandelsskeptischen Demokraten, die den Präsidenten zuletzt ausgebremst hatten.
Im Januar hatte der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, Obama die sogenannte fast track authority verweigert, die es dem Präsidenten ermöglicht, ein internationales Handelsabkommen auszuverhandeln und dem Parlament dann als Paket vorzulegen.
Die Republikaner stehen dem Freihandel weit aufgeschlossener gegenüber als Obamas Demokraten. Der Präsident hatte diesen Bereich nach der Niederlage als einen herausgestrichen, wo es "eine echte Chance zur Kooperation" gäbe.
Auch der designierte neue republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, gab zu Protokoll: "Ich habe eine Menge Senatsmitglieder, die glauben, dass internationale Handelsabkommen im Interesse Amerikas sind." Manche Beobachter meinen jedoch, dass es dafür nur ein Zeitfenster von etwa einem Jahr gibt, bis die innerparteilichen Wahlkämpfe für die Kandidatur um das Weiße Haus beginnen.
Unterstützung des Kongresses für Kampf gegen IS
Obama wird auf Unterstützung des Kongresses überall dort hoffen können, wo er Kurskorrekturen hin zu einer muskulöseren amerikanischen Außenpolitik unternimmt. Die Bedrohung durch die Terrorbewegung Islamischer Staat (IS) scheint jedenfalls den isolationistisch gestimmten Teil der Tea-Party-Bewegung erst einmal zum Verstummen gebracht zu haben. Selbst der libertäre und als Isolationist bekannte mögliche Präsidentschaftskandidat Rand Paul spricht sich inzwischen für Luftangriffe gegen den IS im Irak und in Syrien aus.
Es wird erwartet, dass der republikanische Falke John McCain Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Senat wird. McCain hat in der Vergangenheit für mehr amerikanisches Engagement in Syrien geworben, auch für die Einrichtung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium im Norden, an der Grenze zur Türkei, um die syrische Opposition vor Luftangriffen des Assad-Regimes zu schützen.
Die Obama-Regierung hat die moderate syrische Opposition bisher allein im Kampf gegen die Extremisten des IS unterstützt, jedoch keinerlei Anstalten unternommen, dieser Opposition auch in ihrem Kampf gegen das Assad-Regime beizustehen.
Streitpunkt Syrien-Strategie
Tatsächlich hat Assad bisher am meisten von den Luftschlägen gegen IS-Stellungen in Syrien profitiert. Kurz vor den Wahlen berichteten amerikanische Medien von einem geheimen Memo des Verteidigungsministers Chuck Hagel an die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice, in dem Hagel fordertet, das Weiße Haus müsse seine Haltung gegenüber dem Assad-Regime klären, wenn es seine Anti-IS-Strategie nicht gefährden wolle. Der republikanische Mehrheit im Senat könnte diesen Klärungsprozess nun beschleunigen.
Obama hat den Kongress nach der verlorenen Wahl jedenfalls um eine formale Autorisierung des militärischen Kampfes gegen den IS im Irak und in Syrien gebeten. Bisher hat die Regierung die Militärschläge mit einer Autorisierung zum Einsatz militärischer Gewalt gegen al-Qaida aus dem Jahr 2001 gerechtfertigt. Die Republikaner stehen mehrheitlich hinter den Luftangriffen.
Der Kongress hat bisher aber wenig Interesse gezeigt, sich vom Weißen Haus mit in die Verantwortung nehmen zu lassen für die gegenwärtige Anti-IS-Strategie. Nun müssen die Abgeordneten jedoch Farbe bekennen. "Im Prinzip sollte es nicht schwer sein, eine große überparteiliche Mehrheit hinter dem Ziel zu versammeln, den IS zu zerstören", schrieb die "Washington Post" am Sonntag in einem Leitartikel. "Aber die spezifische Ausformulierung der Gesetzgebung könnte lähmenden Streit hervorrufen." Unter anderem innerhalb der republikanischen Partei selbst.
Panzerbrechende Waffen für Kiew?
Im Ukraine-Konflikt drängen nicht nur führende republikanische Außenpolitiker auf eine härtere Haltung gegenüber Moskau. Im September hatten Demokraten und Republikaner des außenpolitischen Ausschusses im Senat 350 Millionen Dollar (etwa 280 Millionen Euro) gebilligt, um der ukrainischen Armee panzerbrechende Waffen, Drohnen und Munition zur Verfügung zu stellen.
Bisher hat die Obama-Regierung sich jedoch nicht zu solchen Maßnahmen durchringen können. Angesichts der derzeit wieder zunehmenden Intensität russischer Militäraktivitäten innerhalb der Ukraine kommt die Obama-Regierung unter Druck, mehr zu tun. Je deutlicher die russischen Provokationen den Charakter eines neuen kalten Krieges mit dem Westen annehmen, desto lauter werden die Rufe aus dem Kongress werden, eine entschlossenere Eindämmungspolitik gegenüber Moskau zu betreiben.
Iran-Deal am Kongress vorbei
Das größte Konfliktpotenzial birgt aber zweifelsohne das Thema Iran. Die Obama-Regierung befindet sich derzeit in der Endphase der Verhandlungen mit Teheran, die bis zum 24. November abgeschlossen sein sollen. Noch ist unklar, ob es überhaupt zu einem Abkommen kommen wird, oder ob die Verhandlungen möglicherweise verlängert werden. Das "Wall Street Journal" hatte vor einigen Tagen über einen Brief Obamas an Irans Revolutionsführer Ali Khamenei berichtet, in dem der Präsident um ein Abkommen wirbt und im Falle einer Einigung eine Kooperation Amerikas mit dem Iran im Kampf gegen die sunnitischen Extremisten des IS anbietet.
Im Kongress herrschte schon vor den Wahlen in beiden Lagern große Skepsis gegenüber dem Iran. Man fürchtet, die Regierung könnte Teheran zu weit entgegenkommen. Nur intensives Lobbying des Weißen Hauses und von einigen Demokraten im Kongress hatte Anfang des Jahres verhindert, dass Senat und Abgeordnetenhaus schärfere Sanktionen gegenüber Teheran beschlossen. Die neuen Mehrheitsverhältnisse haben die Iran-Skeptiker im Parlament noch gestärkt.
Aus dem Weißen Haus war in den vergangenen Wochen durchgesickert, dass der Präsident deshalb nicht die Zustimmung des Parlaments für ein Abkommen suchen, sondern die vom Kongress beschlossenen Sanktionen erst einmal mit einer Präsidentenverfügung aussetzen würde. Der Präsident hat rechtlich den Spielraum, auch ohne Unterstützung des Kongresses ein Nuklearabkommen mit dem Iran zu schließen.
Die Frage ist, ob Teheran das Risiko eingehen möchte, sich auf eine Präsidentenverfügung zu verlassen, die das Problem der endgültigen Sanktionsaufhebung an den nächsten Amtsinhaber weitergibt. Nach der Niederlage der Demokraten hieß es in einem Kommentar im iranischen Staatssender Press-TV jedenfalls, "der Rest der Welt hat mit schwerem Herzen und unter Schmerzen den Schluss gezogen, dass Obamas Macht im Schwinden ist."
Schwächerer Obama, stärkeres Amerika?
Die schwindende Macht Obamas, die von den Mullahs offenbar mit so viel Sorge verfolgt wird, erschwert es dem Präsidenten, im Ausland noch als Schwergewicht angesehen zu werden. Das muss aber nicht unbedingt ein schwächeres Amerika bedeuten. Der republikanische Kongress wird jedenfalls versuchen, den Präsidenten überall dort zu entschlossenerem Handeln zu bewegen, wo der große Zauderer sich bisher nur zögerlich engagiert hat.
Die Obama-Regierung hat in den vergangenen Monaten den Kurs schon leicht korrigiert und etwa im Kampf gegen den IS oder bei der Eindämmung von Ebola in Afrika Führungsstärke gezeigt. Wenn beide politischen Lager in den kommenden zwei Jahren zu der Tradition der Überparteilichkeit in der Außenpolitik zurückfinden, könnte diese Kurskorrektur hin zu mehr Engagement in der Welt zum Merkmal der letzten zwei Obama-Jahre werden.