Auch die
verachteten Banker sind Menschen!
Die
Kirche lässt nicht zu, dass Menschen gehasst oder verachtet werden, weil alle
vor Gott gleich sind? Von wegen: Voller Wut und Verachtung spricht Papst
Franziskus über Reiche und Wohlhabende.
Von
Torsten Krauel
Die
leuchtende Botschaft Jesu lässt sich in einem einzigen Satz verdichten: Es gibt
vor Gott keine Menschen erster und zweiter Klasse.
Darum
hat Jesus sich gütig denen zugewandt, die im römischen Reich als verhasste,
verachtete Menschen zweiter Klasse galten – den Prostituierten; den Alleinerziehenden;
den Armen, den Bettlern, den Sklaven, den schuldlos ins Elend Gestürzten.
Daraus
ergibt sich eine schlüssige christliche Antworten für diejenigen, die heute
verhasst und verachtet sind, oder es bis vor kurzem waren – ethnische
Minderheiten, Arme nach wie vor, Bettler, manche Zuwanderer; und straffällig
Gewordene. In manchen Ländern auch immer noch Homosexuelle.
Die
Kirche lässt solche Menschen nicht allein. Vor dem Jüngsten Gericht wird Gott
über alle Menschen entscheiden, über jeden als Einzelfall, und mit Blick auf
das gesamte Leben. Nicht alle Menschen sind gleichermaßen ein Rollenvorbild. Da
setzt auch die Bibel Prioritäten.
Der
Papst spricht vom "System", das böse sei
Aber
Jesus hat auch gesagt: Ich war hungrig, durstig, nackt; ich war krank und
gefangen – und "was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten
Brüdern, das habt ihr mir getan". Die Kirche lobt nicht alle in gleichem
Maß; aber sie macht niemanden verächtlich.
Bis
auf die Banker, scheint es. Die Wohlhabenden. Sind sie heute die Geringsten,
die Verachteten, die Ausgestoßenen? Franziskus findet für sie in
"Evangelii Gaudium" erbarmungslose Worte. Die gesellschaftliche
Ungerechtigkeit sei "das kristallisierte Böse".
Es
entspringe einem "System", in welchem die Armen zum Schweigen
gebracht oder ruhig gestellt würden, während "die Wohlhabenden ihren
Lebensstil seelenruhig weiterführen" könnten, den "Wohlstand für eine
glückliche Minderheit" in einem "oberflächlichen Frieden für eine
glückliche Minderheit".
Eine
teuflische Minderheit vergöttert den Markt
Das
System hat keine Gesichter, ihre Träger sind keine Menschen, sondern,
unpersönlich, nur "einige wenige", die den Markt
"vergöttern". Das "System" ist das Böse auf Erden. Wenn dem
so ist, ist die "glückliche Minderheit" dann eine teuflische
Minderheit, unfähig zu jeder Einsicht und Barmherzigkeit?
An
solcher Wortwahl irritiert nicht nur die Verkürzung allen Glücks auf
materiellen Wohlstand. Vor allem irritiert die Verächtlichkeit, mit welcher der
Bischof von Rom über Menschen spricht, die genau wie alle anderen Irrenden ein
Herz haben, das Jesus erreichen wollte.
Eine
auf die materialistische Definition von Glück und Unglück, von Reichtum und
Armut verengte Kirche läuft Gefahr, als eine Kitschkirche wahrgenommen zu werden,
die zu Weihnachten rituell das materielle Elend zum höchsten Wert erhebt – als
Vorwand und Selbstzweck, nicht als Vorbild und Grund für gütige Herzensbildung.
Die
Geringsten waren zu Jesu Zeiten die Armen; aber die Bibel verurteilt nicht
Besitz in jeder Form. Im Gleichnis der klugen und törichten Jungfrauen sind die
Frauen klug, die Reserveöl für ihre Lampen mitnehmen, um nicht bei der Ankunft
des Herrn unterwegs sein zu müssen auf der Suche nach Ersatzöl; und als die
törichten Jungfrauen dann von deren Öl profitieren möchten, sagen die klugen:
"Nicht also, auf dass nicht uns und euch gebreche."
Aber
halt: Millionäre stiften, Milliardäre schenken!
Kluge
Vorsorge ist etwas anderes als das so oft zitierte "Wer hat, dem wird
gegeben"; und ein großer, ein überwältigend großer Teil des demokratischen
Unternehmertums handelt so wie die klugen Jungfrauen.
Wir
leben in einer Zeit, in der Millionäre stiften und Milliardäre schenken; aber
manchmal scheint es so, als könnten die demokratischen Wohlhabenden tun, was
sie wollen, sie werden doch wieder zu Weihnachten und Ostern von der Kirche mit
korrupten Oligarchen und gierigen Bankern in einen Topf geworfen.
Sind
gierige Banker aber das Böse schlechthin? Oder sind sie Irrende, die ihren
Irrtum erkennen können, steckt in jedem von ihnen ein möglicher Paulus, ein
barmherziger Samariter? Die Kirche geht doch von diesem Menschenbild aus.
Franziskus
widmet einen großen Abschnitt seines Lehrschreibens der Bitte an die Priester,
zuzuhören, das Gespräch zu suchen, vorurteilsfrei und mit jedem, denn alle
gehören ohne Ausnahme zum Volk Gottes – gilt das nicht auch für Banker?
Reiche
sind nicht per se glücklich, weil sie reich sind
Franziskus
beklagt eine um sich greifende spiritualistische Innerlichkeit, die auf die Selbstvervollkommung
in einem privaten Kokon ziele statt auf die aktive Rolle in der Welt. Versteht
die Kirche, woher diese Innerlichkeit kommt? Spürt sie die Einsamkeit von
Menschen, die ihren Wohlstand hart erarbeitet haben?
Hat
sie ein Empfinden für das Fremdeln solcher Menschen mit einer staatsgläubigen
Gesellschaft, die ehrliches, hart erarbeitetes Geld nicht für möglich hält, und
mit einer Kirche, die die Wohlhabenden nach der Kirchensteuerzahlung
zurückweist, zurückstößt und anzuprangern scheint?
Wer
Reichen durchweg Glücksgefühl und Seelenruhe unterstellt, hat ein
manichäisches, falsches Menschenbild. Es gibt solche, es gibt abstoßend
egozentrische Reiche, kein Zweifel, besonders außerhalb Europas. Aber wenn
Warren Buffett oder Bono Milliarden für Arme mobilisieren, dann kann das doch
an der Kirche nicht spurlos vorübergehen.
Völlig
abgesehen von der Seelenwelt derer, die zu gutem, aber keineswegs exzentrischem
Wohlstand gekommen sind – und dann merken, welche neuen, welche nie für möglich
gehaltenen Konflikte mit solchem Leben plötzlich auftauchen.
Front
gegen alles, was nach Geld aussieht
Gewiss,
es hat unerträgliche Verbrüderungen der Kirche mit Kaisern, Diktatoren und
Oligarchen gegeben; es gibt auch heute noch eitle Machtpriester und wohlhabende
Christen, die mit betonter Glaubensrhetorik nur ihren Elitestatus
unterstreichen wollen. Franziskus findet für sie in "Evangelii
Gaudium" scharf geschliffene Worte.
Aber
das geht einher mit einer ethischen Frontstellung gegen alles, was nach Geld
und Wohlstand aussieht. Dann sollen die Reichen ihr Geld doch spenden oder
verschenken, wenn sie so darunter leiden? Das ist eine armselige Antwort auf
die komplizierten Seelenlagen, die Leistungswille, Leistungsentbehrung und
Leistungseinsamkeit hervorbringen können.
Die
Verantwortung, die Erfolg mit sich bringt, der Neid, der Kampf um den Bestand
des Erfolgs, die Zweifel, die Nächte voller Unruhe – es sind Seelenlagen, die
solche Menschen in Scharen zu Psychologen und Seelentröstern treibt, weil sie
die Hoffnung auf eine still zuhörende, eine weise Kirche längst aufgegeben
haben.
Armut
ist nicht immer Sinnbild für Charakterstärke
Eine
Kirche, die wenigstens ansatzweise erkennen ließe, dass sie versteht, welche
Enttäuschung und Einsamkeit, welches unerwartete Unglück in Chefetagen und
Villen zuhause sein kann, deren Bau mit Idealismus und Gottvertrauen begann –
eine solche Kirche hätte dankbare Zuhörer.
Denn
das Unglück erfolgreicher Wohlhabender verflüchtigt sich nicht mit dem Verzicht
auf das dafür gelebte Leben, so einfach ist die Welt nicht. Gott sieht diese im
Geld gescheiterten Seelen, aber will die Kirche sie sehen?
Will
sie ihnen einen Weg bieten, um die Erkenntnis, es sei auf dem Weg zum Erfolg
menschlich so vieles kaputt gegangen, in Glück statt in Depression münden zu
lassen?
Oft
sieht es so aus, als gebe es stattdessen eine halsstarrige kirchliche Taubheit
inmitten christlicher Barmherzigkeit, eine Verächtlichkeit von der Kanzel aus
Feigheit vor, nicht aus Respekt für die Armen. Armut ist nicht durchgängig ein
Sinnbild für Charakterstärke, und Reichtum nicht durchgängig ein Synonym für
Hartherzigkeit.
Die
Wohlhabenen gehören zum Volk Gottes
In
einer auf materielle Definition von Armut verengten Kirche gibt es auch eine
Vergötzung des billigen Jakob, nicht nur die bitter nötige Kritik am Tanz um
das goldene Kalb.
Die
Wohlhabenden gehören zum Volk Gottes. Sie suchen sein Wort selbst dann, wenn
sie es, gefangen in ihrem Ego, nicht bewusst zu tun scheinen – so wie viele
andere Menschen, die vorgeben, Gott einen guten Mann sein zu lassen.
Der
Mensch irrt, so lange er strebt. Aber warum streckt die Kirche so oft die
Waffen, wenn es um Wohlhabende geht? Warum redet sie sich und den Gläubigen
ein, in den Villen dieser Welt ein glaubendes, solidarisches, karitativ tätiges
und deshalb endlich glückliches Herz nicht finden zu können?
"Ich
war gefangen", hat Jesus den Jüngern gesagt. Die Kirche ist kein
Reparaturbetrieb für die Seele, das ist wohl wahr. Sie ist auch nicht dafür da,
Herrschaftsstrukturen zu sanktionieren. Aber Jesus hat jeden Geringsten als
seinesgleichen gesehen, ausnahmslos; und er hat verstanden, auf wie viele
unterschiedliche Weisen ein Mensch gefangen sein kann.
Soll
ein gefülltes Konto tatsächlich die einzige Hürde sein, die die Kirche in ihrer
Evangelisierungsmission nicht übersteigen kann?