http://www.welt.de/debatte/kommentare/article119809908/Die-Welt-braucht-ein-Amerika-das-die-Monster-jagt.html
Die
Welt braucht ein Amerika, das die Monster jagt
Wenn der US-Kongress über den Syrien-Einsatz abstimmt, dann geht es
nicht nur um ein Land im Nahen
Osten. Vielmehr wird da entschieden,
welche außenpolitische Rolle Amerika künftig
spielen will.
Von
Clemens Wergin
"Amerika geht nicht
ins Ausland auf der Suche nach Monstern,
die es zu zerstören gilt", hat John Quincy Adams, langjähriger US-Diplomat in Europa
und sechster Präsident der USA, seinen Landsleuten 1821 ins Stammbuch geschrieben. Ähnliche außenpolitische Zurückhaltung hatten zuvor die Gründerväter Thomas Jefferson und George Washington der jungen Republik
empfohlen.
In
seiner Abschiedsbotschaft als
Präsident gab Washington 1796 die Losung
aus, sein Land solle so wenig wie möglich politische
Kontakte zu fremden Nationen pflegen. Jefferson brachte diese Philosophie 1801 in seiner Antrittsrede auf die griffige Formel: "Frieden, Handel und
ehrliche Freundschaft mit allen Nationen,
verfängliche Allianzen mit keiner".
Die
historische DNA der USA ist isolationistisch. Und jene Sehnsucht, sich heraushalten zu können aus
den Händeln der Welt, feiert gerade ein
Comeback. Geschützt von zwei
Ozeanen und einer riesigen Landmasse, haben die USA im 19. Jahrhundert versucht, sich auch aus
den Kämpfen der Welt, insbesondere des stets streitsüchtigen
Europa, herauszuhalten.
Erst hartnäckige
deutsche U-Boot-Angriffe auf amerikanische
Schiffe führten dazu, dass die USA in den Ersten Weltkrieg eintraten – um sich gleich darauf wieder
abzuwenden. Nicht einmal die Mitgliedschaft im Völkerbund – Vorläufer der UN – war mit dem US-Kongress
in der Zwischenkriegszeit zu machen.
Mit Pearl Harbor endete
der Isolationismus
Erst der Überraschungsangriff der Japaner auf Pearl Harbor 1941 beendete
mehr als anderthalb Jahrhunderte des Isolationismus. Seitdem gestaltet Amerika als eine der
führenden Ordnungsmächte
und - seit dem Ende der Sowjetunion
- als alleinige Supermacht maßgeblich globale Politik.
Eine Phase, die nun schneller
zu Ende gehen
könnte, als die meisten Experten für möglich gehalten
haben. Wenn der US-Kongress in dieser Woche über
einen Syrien-Einsatz entscheidet, dann stimmt er nicht
nur über ein mittelgroßes Land im Nahen Osten
ab.
Es
ist gleichzeitig eine Richtungsentscheidung, welche Rolle Amerika
in der Welt in Zukunft spielen will. Sieht es sich in der
Pflicht, die entscheidende militärische Macht zur Aufrechterhaltung einer globalen Ordnung zu bleiben?
Oder ziehen sich die USA aus dieser ungeliebten
Aufgabe allmählich zurück und begnügen sich damit, eine
Nation unter vielen zu sein?
Das
Versagen der UN als ordnende Macht
In
der Syrien-Krise zeigt sich, dass
die Hoffnung trog, die UN könnten zum Wahrer
internationaler Normen werden. Wenn die globale Ordnung nicht von der militärischen
Macht Amerikas gesichert wird, dann sind selbst
Tabus wie das des Einsatzes von Chemiewaffen nicht aufrechtzuerhalten.
Und
wenn die Bereitschaft Amerikas zur Durchsetzung
solcher Standards erlahmt, kann jeder Diktator
vom Schlage Assads tun, wie
ihm beliebt. China und Russland jedenfalls sind ganz offenbar
nicht daran interessiert, einen minimalen zivilisatorischen
Standard in der Weltpolitik
durchzusetzen. Wenn der Westen es
nicht tut, dann wird dieser Ordnungsrahmen
über kurz oder lang zerbröseln.
Und
ähnlich wie nach dem Zerfall
des Römischen Reiches werden die meisten Amerikakritiker erst verstehen, wie sehr die Welt von der Pax Americana profitierte, wenn es sie
eines Tages nicht mehr gibt.
Natürlich, diese Weltordnung ist alles andere als
perfekt. Die USA sind auch kein altruistischer
Akteur, sondern einer, der in erster
Linie seine eigenen Interessen verfolgt. Und dennoch ist diese
Pax Americana die liberalste
Weltordnung, die es jemals gab, und ihre Existenz nützt der überwiegenden Zahl der Staaten
– einschließlich Russland
und China.
Europa ist nur bedingt abwehrbereit
Die
Amerikaner wären ihrer Rolle nicht
so überdrüssig, wenn sie das Gefühl hätten, dass ihre
Verbündeten ebenfalls einen Teil der
ordnungspolitischen Last schultern
würden. Aber Europa, seit Jahrzehnten
sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer,
ist nur noch
bedingt abwehrbereit, fährt seine Verteidigungsausgaben
seit Jahren drastisch zurück. Frankreich und Großbritannien waren die einzigen Nationen auf dem Alten Kontinent, die noch globalen Gestaltungsehrgeiz
aufbrachten.
Aber nachdem das Parlament Premier David Cameron in der
Syrienfrage die Gefolgschaft
verweigerte, haben sich auch die Briten
aus dem globalen
Spiel genommen. Ganz zu schweigen von den Deutschen, die stets wohlfeile Worte anbieten, denen keine Taten
folgen.
Das
Versagen der Kanzlerin in St. Petersburg
Beim Gipfel in St.
Petersburg hat die deutsche Kanzlerin es zunächst auch
nicht für nötig befunden, in einer Resolution Solidarität mit US-Präsident Barack Obama zu üben, der
größte Probleme hat, Volk
und Abgeordnete daheim zu überzeugen, Assad für den Chemiewaffeneinsatz zu bestrafen.
Wer aber in solch einer Situation nicht einmal bereit
ist, der einsamen, müden Supermacht politischen Beistand zu leisten,
der hat den Ernst der Lage für die Welt und vor allem für
den Westen offenbar nicht erkannt. Dabei hätte Europa
mit am meisten zu verlieren, wenn
Amerika sich von der Welt abwenden und den dysfunktionalen Nahen Osten sich selbst
– und den europäischen Nachbarn
– überlassen sollte.
Assad
ist eines jener vielen Monster der Alten Welt, die zu jagen nach
Auffassung von John Quincy Adams nicht
Aufgabe der Vereinigten Staaten sein sollte. Das Problem ist: Wenn die USA dieses Monster nicht jagen oder
mindestens in die Schranken
weisen, dann wird es auch
niemand sonst tun.