Die Deutschen werden zum Punchingball Europas

 

Von Clemens Wergin

 

27.11.2011

 

Was den USA nach dem Krieg mit den Deutschen widerfuhr, könnte uns nach der Euro-Krise von unseren Nachbarn entgegenschlagen: Undankbarkeit für die Rettung.

 

Die Deutschen sind gerade dabei, zum Sündenbock der Euro-Krise gemacht zu werden. Was sie auch tun, sie können es niemandem Recht machen. Jahrelang hallte es von den Kommentarspalten im In- und Ausland, die Deutschen sollten endlich mehr Führung in der Euro-Krise übernehmen. Nun hat sich Angela Merkel zu einer klareren Führungsrolle durchgerungen, und es ist auch wieder nicht gut.

 

In Großbritannien delirieren manche Kommentatoren schon vom 4. Reich, das Berlin angeblich in Europa errichte. Tenor: Was den Deutschen in zwei Weltkriegen nicht gelungen ist, erreichen sie jetzt mithilfe der Euro-Krise – die Dominanz im Herzen Europas.

 

Die Junkers und Barrosos sind sauer, weil Merkel nicht einfach alle offenen Rechnungen der Euro-Zone bezahlen will und außerdem eine gewisse Skepsis gegenüber den Gemeinschaftsinstitutionen an den Tag legt, die die Krise weder verhindert haben noch sonst sonderlich kreativ sind bei ihrer Bewältigung.

 

Und nun macht sich auch in Frankreich die Germanophobie breit, weil die tumben Deutschen weiter an ein paar Prinzipien in Sachen Geldwertstabilität festhalten wollen. Wenn die Lage nicht so ernst wäre könnte man schmunzeln über diese Ironie der Geschichte.

 

Denn die Deutschen, die ihren Antiamerikanismus besonders in den vergangenen zehn Jahren gehegt und gepflegt haben, müssen nun erkennen, was es heißt, eine große und bedeutende Macht zu sein.

 

Deutschland wird zu den USA Europas

 

Denn Deutschland ist gerade dabei in Europa das zu werden, was Amerika für die Welt ist: eine Führungsmacht, deren Handlungen stets unters Brennglas gelegt werden (wodurch dann etwa metaphorische Äußerungen wie die von Volker Kauder auf dem CDU-Parteitag eine Welle der Empörung in Europa auslösen).

 

Eine Macht, von der andere immer mehr Krisenlösungskompetenz und Willen erwarten, als Berlin zu geben bereit ist. Und deren Machtfülle aber gleichzeitig Ablehnung und Ressentiment hervorruft.

 

Das geschieht den Deutschen eigentlich nur Recht. Denn sie sehen nun in den europäischen Spiegel und werden mit ihren eigenen ambivalenten Ansprüchen an Amerika konfrontiert. Hier wie da lassen sich nämlich die gleichen Muster erkennen.

 

Seit Jahrzehnten sind die Deutschen Trittbrettfahrer des Sicherheitsschirmes, den Amerika über Europa und der Welt aufgespannt hat. Deutschland leistet, wie viele andere Europäer, schon seit Jahrzehnten keinen angemessenen Beitrag mehr, um sich an der Bereitstellung dieses Sicherheitsraumes zu beteiligen.

 

Und dennoch möchte man aber immer gerne mitreden und den Amerikanern hereinreden. Und was die Amerikaner auch tun, nie ist es genau so, wie es die Deutschen gerne hätten. Was sie nicht daran hindert, über das eigene Versagen in manchen dieser Fragen großzügig hinwegzusehensiehe etwa die gescheiterte Polizeiausbildung in Afghanistan.

 

Man weiß immer, was die Amerikaner besser machen müssten. Natürlich ohne sich selbst wirklich die Hände schmutzig zu machen. Die Europäer sind in Sicherheitsfragen lange wie die alten von der Muppet-Show gewesen: Sie saßen gemütlich in ihren Logen und kommentierten das Geschehen auf der Weltbühne, während sich die Amerikaner mit ihrer hard power in der Welt verkämpften, mit mehr oder mit weniger Erfolg.

 

Pathologisches Verhältnis zur westlichen Führungsmacht

 

Dieses pathologische Verhältnis zur westlichen Führungsmacht erfährt nun in Europa eine Umkehrung. Plötzlich sind es die Deutschen, von denen man sich Lösungen erwartet, die aber auch, wenn sie kommen, immer als unangemessen kritisiert werden.

 

Und am liebsten hätte Europa, egal ob innerhalb oder außerhalb der Euro-Zone, dass die Deutschen alle raushauen. Aber sie sollen um Himmels willen keine Bedingungen dafür stellen. Dann sind sie schlechte Europäer oder wollen gar anderen ihren Willen aufzwingen.

Früher galt: Die Amerikaner sollen den größten Teil der Rüstungsausgaben der Nato-Länder bestreiten, aber mitreden wollen dann natürlich alle, wie diese Militärmacht eingesetzt wird. Die Rechnung ging dann weitestgehend an den US-Steuerzahler. Heute gilt innerhalb Europas: Die Deutschen sollen zahlen, aber Ansagen sollen sie bitte keine machen. Das wäre dann doch irgendwie zu dominant.

 

Europa ist gerade dabei, eine Hassliebe gegenüber Deutschland zu entwickeln, die der der Deutschen gegenüber Amerika gleicht. Deutschland ist die “indispensible nation” im Herzen der Euro-Zone, ohne die gar nichts geht und ohne die an Rettung nicht zu denken ist. Gleichzeitig löst die Erkenntnis dieser Abhängigkeit Abwehrreflexe aus.

 

Die Deutschen haben den Amerikanern immer übel genommen, dass sie sie vor den Nazis retten mussten und danach die bundesrepublikanische Demokratie aufgebaut haben. Ähnlich wird es wohl mit dieser Euro-Saga ausgehen.

 

Dankbarkeit können wir nicht erwarten

 

Selbst wenn es den Deutschen gelingen sollte, die Krise einzudämmen, werden uns die anderen das nicht verzeihen. Weil sie in der ärgsten Not realisieren mussten, wie abhängig sie von den Deutschen und ihrer Hilfe sind.

 

Dankbarkeit werden wir uns also kaum erwarten können. Umso wichtiger ist es darauf zu bestehen, dass die Interessen der deutschen Steuerzahler nicht gänzlich untergehen beim Krisenmanagement.