Die Tea Party der Generation
Twitter
In New York belagern Tausende die Wall Street
und protestieren gegen den
Crash und die Ungerechtigkeit
Ähnliche Aktionen in mehreren
US-Städten.
700 Festnahmen auf Brooklyn Bridge
Der Zuccotti-Park
in Lower Manhattan erhielt seinen
Namen vor fünf Jahren nach
John Zuccotti, dem Finanzier seiner acht Millionen Dollar teuren Erneuerung. Und es darf als
Laune der Zeitgeschichte begriffen werden, dass dieser
zentrale Flecken New Yorks, in Sichtweite von Ground
Zero ebenso wie von der durch Polizeigitter
abgesperrten Börse, bis 2006 Liberty-Plaza-Park hieß.
Das klingt nach Befreiung,
so wie auch der Tahrir-Square in Kairo auf Arabisch heißt. In der Tradition der Umstürzler sehen sich auch die zumeist
jungen Demonstranten, die sich in der dritten
Woche auf dem Platz versammeln, den sie wieder Liberty Park, den Park
der Freiheit nennen.
Nicht Husni Mubarak ist ihr Tyrann, sondern dem angrenzenden Financial
District haben sie den Kampf erklärt. "Occupy Wall
Street", besetzt Wall Street, ist ihr im Internet verbreiteter und auf der Straße skandierter
Slogan. "Freiheit für das Volk - nicht für die Banken", steht auf einem Plakat. Es geht gegen "kapitalistische Gier", gegen Korruption und den Einfluss des
"Big Money" auf die Politik. Eine junge Frau mit Palästinensertuch,
Typ engagierte Studentin, ruft ins Mikrofon: "Dieses System ist
nur gemacht für die Reichen. Wir brauchen etwas Neues." In New York City ist die Tea Party der
Generation Twitter zu besichtigen.
Eine diesmal linke Graswurzelbewegung, die ein zorniges Unbehagen
am Status Quo zusammengeführt hat, ohne dass die Aufbegehrenden
so recht wissen, was danach kommen soll.
Einen Anführer, eine gemeinsame Idee, gar eine
Agenda von Forderungen gibt
es nicht. Unter gemeinsamer Fahne versammeln sich unterschiedlichste Protestler: Anarchisten, Libertäre, Arbeitslose, Neo- und
Alt-Marxisten, Feierabend-Empörte,
Spaßvögel und Neugierige,
die die Völkeraufstände an der Berliner Mauer und in der arabischen Welt allenfalls von Fernsehbildern kennen. Wenn wieder etwas passiert, wollen sie dabei sein.
Möglicherweise kommen sie noch auf ihre Kosten.
Es gab einzelne Festnahmen
von Demonstranten, die sich
maskiert hatten, Polizeiabsperrungen zu überwinden versuchten oder trotz
Abweisung in eine Filiale der Bank of America eindrangen. Umgekehrt prangern die Aktivisten im Internet einen Polizisten namentlich an, der friedliche Demonstranten mit Pfefferspray attackiert habe. Am Samstag wurden 700 Protestler auf der Brooklyn Bridge kurzzeitig festgenommen, als
sie von Manhattan nach
Brooklyn marschieren wollten.
Aus Boston, Los Angeles,
Seattle, New Orleans, Eugene, Ashland, San Francisco, Chicago, Albuquerque,
Tampa, Charlotte, Denver und Portland werden ähnliche Aktionen vermeldet. Auch nach Washington DC soll
der Protest noch kommen. Es begann am 17. September in New York mit zwischen dreihundert und 1000 Teilnehmern. An diesem Wochenende waren es etwa
2000. Sie personifizieren das Unbehagen des liberalen (und das bedeutet in den USA des linken)
Milieus an den Folgen des Wall-Street-Crashes von
2008, die Sorge vor einer "Double-Dip-Recession" und ihre Verärgerung. Unter Barack
Obama hat sich wenig verändert. Die Arbeitslosenquote
bleibt hoch
und nebenan gehen die
Wall-Street-Geschäfte weiter.
Schlecht zwar, aber immerhin.