Sich der Identität zu
schämen, ist
auch Terrorismus
Zehn Jahre
nach der Katastrophe vom 11. September müssen die Araber sich den zunehmenden Vorurteilen des Westens stellen.
Mein 19-jähriger Sohn, Mounir, ist gerade zurückgekehrt. Er ist mit seinen Freunden durch Europa gereist.
Sie hatten eine tolle Zeit, wie er sagt.
Nur eine Sache hat mich
irritiert, während er dort war: Jedes
Mal, wenn ich ihn anrief, sprach
er mit mir
auf Englisch oder Französisch. Nicht ein Wort auf Arabisch. Und warum? Er hatte,
wie er mir
nun erklärte, Angst, die Leute,
die er dort
traf, würden ihn nicht mehr
willkommen heißen, wenn sie wüssten,
dass er ein
Araber ist. Deshalb gab er sich als
Kanadier aus.
Ist das nicht auch
Terrorismus? Sich für seine Identität zu schämen? Sie
verstecken zu müssen wegen all der Vorurteile? Zehn Jahre nach
der Katastrophe vom 11. September leben wir Araber in einer
Welt, die sich zunehmend
den Vorurteilen des Westens
stellen muss, seiner Feindlichkeit, Angst und Arroganz.
Heute ein Araber zu sein,
der in einem arabischen Land lebt, ist so, als würde
man mit dem Kopf immer wieder gegen
eine Wand rennen, eine Wand, die aus stählernen politischen und sozialen Dilemmata besteht. Man hämmert und hämmert, aber nichts
passiert.
Natürlich, nicht jeder Vorbehalt
ist total falsch. Die arabischen Terroristen existieren, leider. Wohin man auch fährt, vom
Jemen nach Ägypten, von Saudi-Arabien nach Bahrain, man findet dort diese
religiösen Kräfte; die korrupten und/oder komplizierten politischen Systeme; die patriarchalischen Gesellschaften. Und sie alle sind
exzellent darin, tolerante Stimmen herauszufordern und extremistische
Instinkte heraufzubeschwören.
Und doch ist
es nicht weniger skandalös, traurig und unfair, dass es kaum ein
anderes Bild von den Arabern in der westlichen Wahrnehmung gibt. Ich möchte
nicht verallgemeinern. Ich weiß nur
zu gut, dass der Westler, der
die komplexe und heterogene
Natur unserer arabischen Gesellschaften und Kulturen kennt, durchaus existiert. Das Problem ist
nur, dass er, oder sie,
eben die Ausnahme ist, die die Regel
bestätigt.
Nachrichten. Wie ein berühmtes Sprichwort
besagt: „Ein fallender Baum macht mehr Lärm als ein ganzer
Wald, der wächst“: Zehn Jahre
nach dem 11. September frage ich mich: Wann werden die Menschen anfangen, dem Wispern
des wachsenden Baumes zu lauschen?
Die Autorin ist libanesische Schriftstellerin. Sie schreibt donnerstags im Wechsel mit
Sebastian Turner.