Erst wankt die Währung, dann die Demokratie
Michael
Stürmer
Amerikas Schuldenkrise führt uns eines
vor Augen: Geld ist doch
nur bedrucktes Papier. Enttäuschtes Vertrauen gefährdet
unsere Gesellschaftsordnung.
Die neue
Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde,
hat keine hundert Tage Ruhe, um Bilanz
zu ziehen und ein Programm zu
entwickeln. Sie warnt, das historisch sehr starke Vertrauen in den amerikanischen Dollar sei angekratzt. Und in der Tat
kann kein Zweifel bestehen, dass die knappe Einigung zwischen Demokraten im Senat
und Republikanern im Kongress den dahinterstehenden Konflikt nur aufschiebt.
Da geht es nicht
nur um Tausende von Milliarden Staatsschulden. Es geht um das Schicksal der
– noch lange
Zeit – größten Volkswirtschaft
und um Gestalt und Rolle der
Vereinigten Staaten in der Welt: Sozialdemokratismus à
la Obama, der im Spektrum der USA auf dem linken Flügel
steht, oder hausväterliche Sparpolitik à la
Tea Party. Wobei die Republikaner
verdrängen, dass George W. Bush im Jahr 2001 einen
soliden Haushalt von Bill
Clinton übernahm, in Afghanistan einen
Krieg ohne Ende führte, im
Irak einen Krieg ohne Not hinzufügte und zu alldem noch die Steuern am oberen Ende senkte.
Es geht
um die Rolle der letzten Supermacht für Frieden und Gleichgewicht in der Welt. Das macht sich nicht
von selbst. Vertrauen
ist das
Stichwort, auch in Europa. Denn jede
Währung, ob D-Mark oder Euro, beruht letztlich auf einem Vertrag zwischen dem Staat und den wirtschaftenden Individuen: Der Staat verspricht, dass ein Euro morgen
noch (fast) so viel wert ist wie gestern
und heute. Und die Bürger richten ihr Verhalten,
ob Sparen oder
Verjubeln, darauf aus.
Wie sicher sind
Ersparnisse, Renten, Pensionen?
Gegenwärtig verweisen die Lobredner des Euro darauf, dass die gemeinsame Währung gegenüber dem Dollar im Steigen
begriffen sei. Weniger gern lassen sie
sich daran erinnern, dass der kleine Schweizer
Franken zur Fluchtwährung wurde und seit Beginn der Euro-Sorgen steigt und steigt. Gold hat längst
die Marke von 1500 Dollar pro Feinunze
überschritten – obwohl das gelbe Metall
keine Rendite bringt und jederzeit, wenn die Notenbanken das Verkaufen anfangen,
ins Rutschen kommen kann.
Jetzt erinnern sich die Leute daran, dass Geld, wenn die Reputation der Zentralbank leidet, nur bedrucktes Papier ist.
Wie sicher die Ersparnisse? Wie verlässlich Renten
und Pensionen? Wenn derlei Fragen den Luftraum über den Stammtischen erobern, dann liegt etwas
im Argen: heute das Vertrauen
in die Währung, morgen in
die Parteien und übermorgen
in die Demokratie. Dann wankt der Gesellschaftsvertrag,
auf dem der Glaube an die Währung beruht.
Der Autor
ist Historiker
und Chefkorrespondent der
„Welt“-Gruppe und schreibt im Wechsel mit
Lord Weidenfeld.