Amerika, das erschöpfte Imperium
Von
Clemens Wergin
23. Juni
2011
Die vom
amerikanischen Präsidenten verkündete Truppenreduzierung in
Afghanistan geht weiter, als man bisher
gedacht hatte – und weiter, als seine Militärs geraten haben, etwa der
Isaf-Oberkommandierende David Petraeus. 10 000 US-Soldaten sollen
sich bis Ende des Jahres vom Hindukusch zurückziehen, bis zum Sommer des kommenden Jahres werden es gar 33 000 sein.
Das ist
ein geschickter innenpolitischer Schachzug von
Barack Obama. Denn er nimmt damit den Republikanern ein mögliches Wahlkampfthema. Schließlich hatten alle konservative
Bewerber um das Präsidentenamt deutliche isolationistische Neigungen erkennen lassen. Aber was innenpolitisch klug ist,
muss nicht unbedingt auch außenpolitisch Sinn ergeben.
Die entscheidende
Frage ist,
ob Obama mit diesem Rückzug die im vergangenen Jahr erzielten Fortschritte gefährdet. Denn die Truppenaufstockung und die damit verbundene Strategieänderung hat zumindest teilweise funktioniert. Es ist
den Alliierten gelungen,
von Aufständischen kontrollierte
Gebiete im Süden des Landes zurückzuerobern und auch zu halten. Vor
zwei Jahren waren die Taliban in der
Offensive, sie drohten weitere Teile des Landes zu übernehmen
und sahen sich schon als
kommende Sieger. Diese Dynamik wurde gestoppt
und umgekehrt. Heute
legen es die Taliban darauf an, hochrangige Vertreter der Zentralregierung
zu ermorden, weil sie
zur Kontrolle größerer Territorien nicht mehr in der
Lage sind. Andererseits ist es aber auch
den Isaf-Truppen bisher nicht gelungen, die Taliban ganz zu besiegen
und die volle Souveränität
von Hamid Karsais Regierung
über Afghanistan herzustellen.
Die Zentralregierung ist auch weit davon entfernt,
aus sich selbst heraus bestehen
zu können. Das momentane Gleichgewicht im Land hängt weiter
von erheblichem Engagement internationaler
Truppen und Geldgeber ab.
Ob Obamas
Abzugsplan also zu früh kommt und zu ambitioniert ist, wird
man erst in einigen Jahren beurteilen können. Andererseits wissen aber nun sowohl die Machthaber in Kabul als auch
die mit Teilen der Taliban paktierenden Militärs in Pakistan: Die Zeit läuft
aus. Wer nicht von den Taliban überrannt werden möchte, muss selbst Verantwortung übernehmen und seine Hausaufgaben
machen. Gleichzeitig spielt Obamas Abzugsplan
aber auch den Taliban in
die Hände, die wissen, dass sie nur
lange genug
ausharren müssen, um wieder eine Chance zu erhalten.
Aber wie Obama gesagt hat: Amerika will sich nicht mehr
am Wünschenswerten, sondern
am Machbaren orientieren. Ein Credo, das weit über den Patienten
am Hindukusch hinausweist. Denn Obamas Rede
markiert nicht nur eine Wende
in der Afghanistanpolitik, sondern auch in den Ambitionen der wichtigsten globalen Ordnungsmacht. Das Imperium ist
erschöpft von einem Jahrzehnt der Kriege.
Und es will seine Außenpolitik
in Zukunft in Deckung bringen mit schrumpfenden
finanziellen Möglichkeiten.
„America, it is time for nation building here at home”, war denn
auch der wichtigste Satz in Obamas Rede: Statt
andere Nationen aufzubauen soll nun die eigene im Innern
gestärkt werden, um jene Wirtschaftskraft wieder aufzurichten, die die Basis für Amerikas
Weltmachtrolle darstellt. Obamas Rede
ist deshalb nicht nur eine
Mahnung an die afghanische Regierung, das eigene Haus in Ordnung zu bringen,
sondern auch an Europa. Die Zeit der sicherheitspolitischen Trittbrettfahrerei
geht zu Ende.
Amerikas Macht und sein weltweiter Einfluss beruht weitgehend auf der Handlungsfähigkeit seines Militärs,
das Seerouten sichert, Verbündete schütz und regionale Gleichgewichte wahrt. Um diese Rolle zu
erfüllen, haben die Amerikaner sich in den vergangenen Jahrzehnten immer einen schmaleren
Sozialstaat und ein umfangreicheres Militär geleistet als
Europa. Der alte Kontinent hingegen entwickelte ein überbordendes Umverteilungssystem
und reduzierte die Militärausgaben
immer weiter im Vertrauen darauf,
dass die Amerikaner sicherheitspolitisch schon die Kohlen aus dem
Feuer holen würden – wie etwa
auf dem Balkan geschehen.
Auf beiden Seiten des Atlantiks wird man nun eine neue Balance finden müssen. Denn angesichts der vernachlässigten amerikanischen Infrastruktur und der enormen Schuldenlast
sehen die Amerikaner nicht länger ein,
warum sie inzwischen 75 Prozent der Militärausgaben der Nato bestreiten
und den überwiegenden Teil der im Ausland
einsatzfähigen Truppen bereit halten, obwohl Europa mehr
Einwohner hat als die USA.
Die Mission in Libyen hat das
Ungleichgewicht noch einmal drastisch vor Augen geführt.
Denn hier stoßen selbst die außenpolitisch ambitioniertesten Nationen Europas, Frankreich und Großbritannien, schon nach wenigen
Monaten und gegen einen schwachen Gegner an die Grenzen ihrer Fähigkeiten und Munitionsvorräte. Auf sich selbst gestellt ist dieses Europa
nur bedingt abwehrbereit – und das wird sich ändern
müssen.
In der
Hochzeit des transatlantischen
Streits über den Irakkrieg hatten sich Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Deutschlands
Kanzler Gerhard Schröder eine multipolare Welt mit einem weniger
mächtigen Amerika gewünscht. Wie der Angelsache sagt: “Be careful what you wish for ”
– Sei vorsichtig, was Du
Dir wünschst. Denn eine Welt, in der
Amerikas Ordnungsfunktion schwindet, wird weniger friedlich sein. Und es wäre eine, in der
Europa seine Interessen mit weit höherem
Mitteleinsatz vertreten müsste oder
zur Bedeutungslosigkeit und
einem noch schnelleren Abstieg verurteilt wäre. Gerade für Europa,
aber auch für viele asiatische
und nahöstliche Verbündete bleibt Amerika die „unverzichtbare Nation”. Deshalb ist es im ureigendsten Interesse Europas, Amerika Verantwortung abzunehmen und ihm mehr Luft zum
Atmen zu verschaffen.
Es ist daher auch falsch, wenn
die Europäer nun ihrerseits
Truppen in Afghanistan reduzieren.
Der europäische Anteil an der Mission war seit dem Surge ohnehin gering. Wer aber kaum bei der Aufstockung
mitgemacht hat, sollte nun nicht gleich bei
der Truppenreduzierung „hier” rufen. Im deutschen Zuständigkeitsbereich
etwa würde eine Verminderung der Truppenstärke die erreichten Erfolge sofort wieder gefährden.
Amerika ist
überdehnt, und Barack Obama muss versuchen,
Finanzmittel und Ambitionen
wieder in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen. Für
einen Abgesang auf die Weltmacht ist
es zwar zu
früh. Aber nur, wenn Amerika
Wirtschaftskraft und Zuversicht
zurückgewinnt, wird es seine Ordnungsrolle in der Welt weiter ausfüllen können. Und das ist im Interesse aller, die an stabilen Verhältnissen auf diesem Globus interessiert
sind.