Romney, Obama und die Zukunft Europas

 

Hören Sie nicht auf die Ideologen: die Kandidaten im US-Wahlkampf sind sich ähnlicher, als ihnen lieb ist. Sachzwänge sind stärker als "Yes we can"-Rhetorik und Tea-Party-Radikalismus.

 

Von Alan Posener

 

Nach der Tragikomödie der republikanischen Vorwahlen geht endlich der richtige Wahlkampf um das mächtigste Amt der Erde los: Mitt Romney gegen Barack Obama. Die Ideologen beider Parteien werden den Kampf als Showdown zwischen einem rechtsradikalen, volksfeindlichen und kapitalhörigen Reaktionär auf der einen und einem linksradikalen, kirchenfeindlichen und islamhörigen Kulturrevolutionär auf der anderen Seite darstellen.

 

Die Wirklichkeit ist langweiliger: Für die Republikaner geht ein bis zur Prinzipienlosigkeit pragmatischer Konservativer ins Rennen; für die Demokraten ein linksliberaler Hoffnungsträger, dem die Realität mehrere Tritte versetzt hat. Romney ist ein hölzerner Redner, aber kompetenter Manager; Obama ein begnadeter Rhetoriker, dem aber eine Agenda fehlt und der bislang wenig Fortüne besaß. Wenn Obama weniger an den großen Reformer Lyndon B. Johnson erinnert als an John F. Kennedy, dem man mehr Form als Substanz nachsagte, so ist Romney eher ein George Bush senior als ein Ronald Reagan.

 

Die Tea Party wird zahmer werden

 

Die erste Lektion aus dem Sieg Romneys bei den Vorwahlen lautet: Die Revolution der Tea Party gegen das Establishment ist vorbei. Wenn man sich vor Augen führt, wer alles zeitweilig als Favorit gehandelt wurde, darunter ein Unternehmer, dessen Programm allein aus einer Flat Tax von neun Prozent bestand, und ein Fundamentalkatholik, der die Trennung von Kirche und Staat infrage stellte, wirkt Romney, trotz seines Rechtsrucks in Sachen Gesundheitsreform und Steuersenkungen, wie die Rückkehr zu "business as usual".

 

Da erwenn sich die Trends fortsetzenallenfalls mit einer dünnen Mehrheit siegen und überdies mit einem Kongress zu tun haben wird, der politisch durch die Kompromisslosigkeit beider Parteien gelähmt ist, kann einzig ein Zentrist überhaupt etwas zu bewerkstelligen hoffen. Auch Barack Obama dürfte zwar als Kandidat eine linke Rhetorik bemühen, als Präsident aber wie bisher eine Politik der Mitte verfolgen. Aus "Yes we can!" und "Change we can believe in" ist eine Kampagne des kleineren Übels geworden, ähnlich wie Gerhard Schröders Kampf gegen Edmund Stoiber 2002, nach der Verflüchtigung der rot-grünen Erneuerungseuphorie. Doch vergessen wir nicht: Nach Schröders Sieg kam die Agenda 2010.

 

Geld ausgeben und gleichzeitig Geld sparen

 

Etwas Ähnliches brauchen auch die USA. Vier Jahre nach dem Crash geht es der Wirtschaft immer noch nicht gut. Die Wachstumsraten sind unbefriedigend, die Staatsschulden höher als die Gesamtschulden der Euro-Zone. Sowohl Obama als auch Romney verfechten Spielarten des Keynesianismus: Romney will die Wirtschaft durch Steuersenkungen anregen, Obama durch Investitionen.

 

Beide müssen angesichts der Schulden also eine Quadratur des Kreises fertigbringen: strategisch Geld sparen, um das Land fit für die Zukunft zu machen, und taktisch Geld ausgeben, damit die Nation nicht in die Rezession rutscht. Ganz gleich, wer 2013 im Weißen Haus residiert, er wird wenigstens zwei heilige Kühe antasten müssen: Medicare, die kostenlose und absurd teure Gesundheitsfürsorge der Alten, und die üppig bedachten Streitkräfte. Romney verspricht zwar, vier Prozent des Bruttosozialprodukts jährlich in die Verteidigung zu stecken. Aber das ist kaum realistisch. Nach Beendigung der imperialen Abenteuer im Irak und in Afghanistan wird das Militär, wie es Dwight Eisenhower ausdrückte, mehr "bang for the buck" liefern: mehr Knall pro Dollar.

 

Was bedeutet das alles für Europa?

 

Was bedeutet das alles für Europa? Als George W. Bush – gewählt als Verfechter einer "demütigen" Außenpolitiknach "9/11" die Agenda verkündete, Amerikas Stellung als einzige Supermacht zu nutzen, um die Welt durch die Demokratie zu befrieden, erschreckten die Kontinentaleuropäer. Viele sehnten eine multipolare Welt herbei, in der die Europäische Union ein größeres Gewicht haben würde.

 

 Unter Obama waren die USA viel zurückhaltender – so zurückhaltend, dass sich der Präsident europäische Kritik wegen seiner zu späten Unterstützung der iranischen Protestbewegung, des "arabischen Frühlings" und der libyschen Rebellen gefallen lassen musste. Von Nordkorea über den Iran bis nach Syrien und den Sudan konterkarieren China und Russland die Linie der USA, ohne dafür einen Preis zu zahlen.

 

Obama selbst hat sein Desinteresse am Mittleren und Nahen Osten verkündet, was auch damit zusammenhängt, dass Amerika das Öl der Region – anders als die Europäernicht mehr braucht. Allerdings hat die EU die Schwäche der Führungsmacht benutzt, um sich selbst durch die Euro-Krise und andere Streitigkeiten in die internationale Bedeutungslosigkeit zu verabschieden.

 

Europa ist von Obama enttäuscht

 

Überdies verschreibt man sich in Europa weiterhin einem instinktiven Antiamerikanismus, wobei man nicht mehr auf Neoliberale und Neocons schimpft, sondern auf den Neokeynesianismus. Dabei gibt man sich einemallerdings umstrittenenthatcheresken Sparregime hin, das auch amerikanischen Exporten schadet und im Übrigen Obamas Wiederwahl gefährdet. Denn auch 2012 gilt: "It's the economy, stupid!"

 

Obama ist in europäischen Augen von einer Lichtgestalt zu einem kleinen Licht mutiert. Und es zeigt sich, dass nur eine Sache schlimmer ist als eine aggressive Führung durch die USA: nämlich das Fehlen einer solchen Führung. Könnte Romney gelingen, was Obama versagt geblieben ist? Könnte er, wie Reagan nach der von Jimmy Carter konstatierten "Malaise", Amerika neues Vertrauen einflößen und neues Gewicht in der Welt verschaffen? Könnte das Obama in einer zweiten Amtszeit gelingen?

 

Man darf beides bezweifeln. Wer auch immer Amerika in den nächsten vier Jahren führt, wird vor allem versuchen müssen, Amerika wirtschaftlich wieder auf die Beine zu bringen, die Sozialsysteme zu reformieren und innenpolitische Gräben zuzuschütten. Außenpolitisch bleibt das Verhältnis zum zweitmächtigsten Land der Erde – China – die größte Herausforderung. Die gute Nachricht für die Europäer ist also zugleich die schlechte: Es macht keinen großen Unterschied, wer 2012 die Wahl gewinnt. Wir sind so oder so allein zu Haus und müssen nicht nur dieses Haus in Ordnung bringen, sondern uns mehr als bisher um die Nachbarschaft kümmern.