16. Dezember
2008, 02:00 Uhr
Es war ein
langes und zähes Ringen. Montagabend hatte
der Film „Operation Walküre"
in New York Premiere. Tom Cruise als
Hitler-Attentäter Stauffenberg
ist anders, als seine Vorgeschichte erwarten ließ. Die Thriller-Elemente sind
ordentlich, aber zum gewünschten Meisterwerk fehlt einiges.
Wenigstens haben sie diesmal nicht
das Auge verwechselt. In „Der
20. Juli“, der ersten
Verfilmung des Hitler-Attentats,
trug Wolfgang Preiss als Claus Schenk von Stauffenberg die Klappe über dem rechten
Auge. Tom Cruise trägt sie vorschriftsmäßig
über dem linken.
Nein, den Gefallen grober historischer Ungenauigkeit hat „Operation Walküre“ seinen vielen
Gegnern, die sich schon formierten, bevor die erste Klappe gefallen war, nicht getan. Aber
der definitive Film über eines der Schlüsselereignisse
der jüngeren deutschen Geschichte ist
auch nicht daraus geworden.
Es ist durchaus
erhellend, einen Moment bei der historischen
Akkuratesse zu verweilen. Gleich zu Beginn sieht
man Stauffenberg in Nordafrika
mitten im Kampfgetümmel, Militärgerät wird bewegt, Soldaten wuseln herum – und mitten darin, in jedermanns Hörweite, versucht er einen General für den Sturz Hitlers
zu gewinnen. Dies ist natürlich absurd; bei solch dilettantischem
Verhalten wäre die Verschwörung, die über sechs Jahre wuchs,
der Gestapo keine sechs Wochen verborgen
geblieben. Das ist
ungenau, aber ist es wesentlich?
Noch auffallender die Szene, in der Stauffenberg
Hitler wenige Wochen vor dem Attentat
auf dem Berghof besucht. Im Film hat er eine Aktenmappe dabei, in der das Kernstück seines Planes steckt: der von den Verschwörern geänderte Plan zur „Operation Walküre“, mit dem
die Nazis für den Fall innerer
Unruhen vorsorgen wollten; die Widerständler haben ihn umgeschrieben,
um damit die Macht an sich reißen zu
können.
Regisseur Bryan Singer setzt diesen Besuch als
schicksalsschwangeres, ziemlich
gespenstisches Treffen in Szene, bei dem
Hitler schließlich das Papier
unterschreibt – und damit, suggeriert die Regie, unwissend sein eigenes Todesurteil. In Wirklichkeit hat Hitler die geänderte
„Walküre“ nie
signiert; das war gar nicht
nötig. Unpräzise. Aber schlimm?
Dem Strickmuster
von „Operation Walküre“ kommt
am besten auf die Spur, wer
begreift, dass dieser Film für die Amerikaner etwas anderes sein soll
(und darf) als für uns. Für Deutschland ist der 20. Juli
1944 einer der moralischen Gründungspfeiler des neuen, demokratischen
Deutschland. Für den Rest der
Welt läuft schlicht hier ein Thriller ab, ein historischer
zwar, aber einer, dessen Ende
so bekannt ist wie bei dem
Attentatsversuch auf De Gaulle, den Fred Zinnemann in „Der Schakal“ schilderte.
Deshalb baut Bryan Singer Thriller-Elemente ein, wo immer es sich verantworten
lässt. Als von Tresckow (gespielt von Kenneth Branagh) die bei einem früheren Attentatsversuch nicht explodierte Bombe zurückholen
muss, stellt Singer das Paket
groß in die Mitte, von
links und rechts greifen zwei uniformierte Arme darauf zu
– und nach einer gefühlten halben Ewigkeit zieht sich die Hand, die das Paket öffnen möchte, zurück, und die andere Hand zieht es an sich.
Mit solchen Hilfskonstruktionen,
die Spannung erzeugen sollen, wo eigentlich
keine aufkommen kann – schließlich kennen alle den Ausgang – arbeitet „Operation Walküre“ permanent. Würde man lediglich den mit unheilsschwangerem Getrommel gespickten Soundtrack ohne Bild anhören,
käme das noch deutlicher zum Vorschein; John Ottmans Musik ließe sich
problemlos in einen Psychothriller mit düsteren Häusern und nassglänzenden nächtlichen Straßen versetzen.
Neben der Anstrengung,
der Geschichte Spannung zu injizieren, kämpft „Operation Walküre“ noch einen
zweiten Kampf: den, einem internationalen Publikum, das zumeist noch nie vom
20. Juli 1944 gehört hat, den deutschen Widerstand zu erklären. Bei diesem zweiten
Kampf ist
Singer erfolgreicher als beim ersten. Der
Gewissenskonflikt mit dem Eid auf den Führer, die Vorbehalte der Alt-Verschwörer gegen Stauffenberg, die Mechanik des „Walküre“-Plans –
all das kann ein unbeleckter Kinogänger in Dallas oder Djakarta innerhalb dieser zwei Stunden
durchaus begreifen.
Hollywood hat für
„Operation Walküre“ tatsächlich ein paar lieb gewonnene
Gewohnheiten über Bord geworfen. Es
erzählt Geschichte differenziert.
Es ersetzt den traditionell
geifernden Hitler durch einen zaudernden, fast geistesabwesenden („Welche
Invasion? Die in der Normandie?
Ach, richtig!“). Und die Familie, die einen Hollywood-Helden ansonsten motivieren und tragen muss, wird erheblich zurückgefahren; so bleiben Nina
von Stauffenberg (besetzt mit Carice van Houten, der Lebensgefährtin
von Sebastian Koch, der zuletzt
Stauffenberg im Fernsehen spielte) nur wenige Szenen.
Dafür ist
Tom Cruise in fast jeder Szene.
Tom Cruise, dem niemand in der Branche Leinwandcharisma
abspricht. Der, wenn er in „Top Gun“ oder „Mission Impossible“ oder
„Collateral“ in einem Raum erscheint, die Blicke auf sich zieht. In „Operation Walküre“, wo
er viele Räume mit vielen
Menschen betritt, funktioniert es nicht. Sein Stauffenberg
ist ehrbar
und ernsthaft und standfest
– aber warum dieser junge Graf so viele in seinen Bann zog, erschließt sich aus der
Cruise’schen Vorstellung nicht.
Wenn man sich die lange Liste
seiner Rollen über die vergangenen 25 Jahre ansieht, fällt eines auf: Cruise ist am besten als Aufsteiger,
der mit Aggressivität
und Energie den Respekt
seiner Umgebung erkämpft, ein amerikanischer Held eben. Stauffenberg aber war ein deutscher
Held, von aristokratischem Gebaren,
und das ist eine Dimension, die Cruise völlig
abgeht.
Die vielen Briten, mit denen
Cruise in „Walküre“ umgeben ist (von Branagh als Tresckow
über Bill Nighy als Olbricht bis
zu dem wunderbaren
Tim Wilkinson als Fromm) strahlen
diesen Anflug militärisch-adeliger Grandezza aus, Cruise nicht.
Man muss sich nur an den „Letzten Samurai“ erinnern, um zu
begreifen, was Cruise am besten
kann. Dort spielt Ken
Watanabe den vornehmen, dem
Untergang geweihten Samurai
und Cruise den aufstrebenden, meritokratischen
Söldner – und letzterer ist in diesem
Kontrast exakt richtig eingesetzt. Sollte er mit
„Walküre“ einen
Oscar angestrebt haben, wird seine Rechnung nicht aufgehen.
Man könnte
„Operation Walküre“ zugute halten, dass der Film eben
nicht in den Fehler vieler Hollywood-Epen verfällt, seine Hauptfigur überlebensgroß zu zeichnen. Aber ein bisschen größer
hätte er schon sein mögen,
der Tom Stauffenberg, denn er ist die zentrale Figur des Komplotts und des
Films. Mindestens so groß wie
Edward Fox’ „Schakal“, bei dem sich der
Zuschauer irgendwann dabei ertappt, dessen Cleverness und Hartnäckigkeit
Erfolg zu wünschen.
Das gesamte Projekt „Walküre“ wirkt ein
wenig wie eingeschüchtert, von der Historie und ihrer exakten Rekonstruktion und deutschen Empfindlichkeiten. Es gibt eine einzige
Szene, in der man die Handschrift eines außergewöhnlichen Regisseurs verspürt, und die kommt dann, wenn nach
dem Attentat die Nachricht vom angeblichen
Tod Hitlers im Fernschreiberraum zu Berlin eintrifft.
Die erste Tickermamsell hebt wie betäubt die Hand, um ihren Chef zu
rufen, und während der noch ungläubig
das Telex liest, heben sich um ihn herum
immer mehr Hände – bis schließlich
der gesamte Raum in Ratlosigkeit erstarrt. In diesem Moment – bezeichnenderweise einem der wenigen ohne
Cruise – spürt man, was aus
„Operation Walküre“ hätte werden können, wenn ihr
filmischer Ehrgeiz darüber hinausgegangen wäre, bloß nirgends
anzuecken.
Der Film startet an Weihnachten in den USA in ausgewählten Kinos. In
Deutschland ist der Film ab 22. Januar zu sehen. Zwei Tage vorher
findet in Berlin die Europapremiere
statt.