Flüchtlingskrise: Amerika spieltWer ist Waldo?”

 

In Amerika könnte man den Eindruck haben, dass den Amerikanern die Flüchtlingskrise komplett am Hintern vorbeigeht, und eigentlich ist das auch so. Es steht schon eine Menge in den Zeitungen, und ab und zu ist was im Fernsehen, aber eigentlich haben wir unsere eigenen Probleme: Donald Trump! Hillarys Emails! Benghazi! Zu viele Touristen am World Trade Center …. wenn man Amerikaner in ein Tortendiagramm packen würde, hätte man ein 50%-Tortenstück, dem die Flüchtlinge egal sind und ein 45%-Tortenstück, das sich sorgt, dass die Grenzen in Amerika doch nicht dicht genug sein könnten.

 

Und dann haben wir noch ein schmales Tortenstück von 5%, das sich um Flüchtlinge sorgt. Also nicht sorgt in dem Sinn, wir sollten welche in Amerika aufnehmen, sondern mehr, wir sollten mal gucken, was die Europäer und besonders die Deutschen machen und das möglichst schlaumeierisch kommentieren.

 

Besonders en vogue sind Holocaust-Vergleiche. Mal fühlt sich die New York Times an den Holocaust erinnert, weil überhaupt Leute flüchten, mal, weil die Tschechen den Flüchtlingen Nummern auf die Arme malen, mal beschwert sich wer, dass Deutschland Flüchtlinge im Flughafengebäude von Tempelhof unterbringt, weil das, Jau!, von Albert Speer gebaut wurde (nicht wirklich, übrigens), oder auch in Baracken, in denen vielleicht, vielleicht aber auch nicht SS-Männer gewohnt haben, die vielleicht, vielleicht aber auch nicht in Buchenwald waren. Den Vogel schoss Roger Cohen in der Times ab, der sich beschwerte, dass den Flüchtlingen in Ungarn Duschen angeboten würden (statt Wannenbäder?), weil ihn das, was sonst, an den Holocaust erinnert. Man hat den Eindruck, Amerikas Kommentatoren liefern sich einen Wer-ist-Waldo-Wettbewerb, wer die an den Haaren herbeigezogensten Holocaust-Vergleiche macht.

 

Nun gibt es durchaus Parallelen: So hat Amerika damals, in den dreißiger Jahren, die Grenzen praktisch dichtgemacht für jüdische Flüchtlingen. Das Land führte Quoten ein, die innerhalb eines Wochenendes voll waren. Schiffen, wie der St. Louis, wurde verweigert, an der U.S. Küste zu landen (und auch in Cuba, damals eine von der Las Vegas-Mafia kontrollierte US-Kolonie). Die USA nahm keine Waisen aus dem Kindertransport auf, und die New York Times kommentierte, das Boot sei voll. Und erst in diesen Tagen lasen wir, dass Amerika Anne Frank ein Visum verweigerte.

 

Man sollte also meinen, da seien ein paar Lehren gezogen worden, aber komischerweise kommt da keiner unserer Schlaumeier darauf. Die liefern sich vielmehr ein Wettrennen, wer die besten Ratschläge absondertselbstredend vom Computer daheim aus, vor dem der Hintern bequemt geparkt wurdewelche Länder, die nicht Amerika sind noch wen aufnehmen könnten. Manche erzählen einem auch, Amerika müsse sich um seine Flüchtlinge aus Mexiko kümmern. Wirklich? Gibt es in El Paso riesige Auffanglager mit Zelten, Amerikaner, die Wasser und Essen verteilen und übervolle Züge? Nein, bei diesen Mexikanern handelt es sich um Leute, die längst hier sind, die Wohnungen haben und arbeiten und die, wenn sie erwischt werden, deportiert werden, wobei es durchaus keinen Widerstand der amerikanischen Mexikaner-aufgenommen-Gehabthabenwoller dagegen gibt.

 

Dann gibt es noch die amerikanischen Linken, die glauben, sie müssten nichts für Flüchtlinge tun, weil sie ja im Widerstand waren, als George W. Bush in den Irak einmarschiert ist. Wenn alle, die im Widerstand gegen Bush gewesen sein wollen, auch nur 100 Dollar spenden, wäre das Flüchtlingsproblem gelöst. Aber es macht ja viel mehr Spaß, im Wer-ist-Waldo-Stil Holocaustreferenzen zu finden.