Der 'Wunderwuzzi' von der Pennsylvania Avenue

 

Norbert Rief

 

27.04.2009

 

Seit 100 Tagen ist Barack Obama Präsident der USA. Seine Probleme sind in der Zeit nur größer geworden.

 

Er initiierte mit knapp 800 Milliarden Dollar das größte Banken- und Konjunkturprogramm der Geschichte; er verbotfortgeschrittene Verhörmethoden", ließ geheime Gefängnisse zusperren und ordnete die Schließung von Guantánamo Bay binnen eines Jahres an. Er zog Soldaten aus dem Irak ab, leitete das Ende des verhassten Krieges ein und schickte neue Kämpfer nach Afghanistan. Er absolvierte drei Auslandsreisenzwei führten ihn zu großen internationalen Treffen – und bot der islamischen Welt die Hand an. Er besuchte Europa und Südamerika, traf sich mit Venezuelas Hugo Chávez, appellierte direkt an das iranische Volk und lockerte die Reisebestimmungen für Kuba. Er hob das Verbot der staatlichen Förderung der Stammzellenforschung auf, machte Umweltauflagen verbindlich und initiierte einen großen Umweltgipfel, der gestern begann. Und einen Hund hat er auch noch angeschafft. George W. Bush, zum Vergleich, hat in seinen ersten 100 Tagen das Kyoto-Protokoll aufgekündigt...

 

Barack Obama hat einiges geleistet, seit er am 20.Jänner 2009 als 44. Präsident der Vereinigten Staaten angelobt worden ist. Außenpolitisch hat Obama derart deutlich mit seinem Vorgänger gebrochen, dass er dem leeren Schlagwort einesNeuanfangs" tatsächlich Inhalt und Bedeutung gab. Die USA werden wieder anerkannt, man gesteht dem Land die Führungsrolle zu, die es unter Bush verloren hat.

 

Seit Franklin D. Roosevelt, meinen Historiker, habe es keinen Präsidenten mehr gegeben, der in seinen ersten Monaten im Amt ein derart dichtes Programm vorlegte und absolvierte wie Obama. Seit Roosevelt gab es freilich auch nicht mehr derart drängende Probleme.

 

Barack Obama muss nichts Geringeres tun, als das marktwirtschaftliche System zu reformieren und wieder in Bahnen zu lenken, die ein Ausufern mit ähnlich verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft in Zukunft verhindern. Das allein wäre eigentlich Aufgabe genug für eine gesamte erste, wenn nicht auch noch zweite Amtszeit.

 

Die Milliardenprogramme der Obama-Administration, die offenbar helfen, den Abschwung zu bremsen – die amerikanische Notenbank äußerte sich jedenfalls vergangene Woche verhalten optimistisch–, sind das eine. Wichtiger noch ist das Gefühl, das der 44.Präsident in diesen ersten 100 Tagen seinem Volk vermittelte: Mit Veranstaltungen wie in einem Wahlkampf, von Turnhallen in South Carolina über Videoansprachen auf YouTube bis zum ersten Auftritt eines amtierenden Präsidenten in einer Talkshow, ließ Obama keine Gelegenheit aus, um seine rhetorische Stärke und sein Charisma auszuspielen.

 

Das Ergebnis ist ein wieder optimistischeres Volk: Mehr als 70 Prozent der US-Bürger glauben laut einer „Washington-Post"-Umfrage, dass das Land unter Obama in die richtige Richtung geht. Und das hilft uns allen: Wenn die Amerikaner zuversichtlich sind, kaufen sie wieder ein, und wenn die größte Marktwirtschaft der Welt einkauft, laufen überall auf dem Globus die Maschinen an.

 

 

Der Preis dafür ist hoch: Auf fast zehn Billionen Dollar wird die Verschuldung der USA in den Obama-Jahren (so er bis 2017 Präsident ist) steigen. Auch wenn es keine wirkliche Alternative zu den Milliardenprogrammen gab – Banken, die wie Dominosteine umfallen und pleitegehen, hätten zweifellos noch verheerendere Auswirkungen –, ist das eine tickende Zeitbombe, die die amerikanische Wirtschaft nachhaltig belasten wird.

 

Auch außenpolitisch gibt es genug Stolpersteine für Obama: Auf seinen Kurs des Dialogs und der ausgestreckten Hand reagieren Iran und Nordkorea mit herausgestreckter Zunge. Afghanistan hat Obama wiederum zuseinem" Krieg gemacht, ähnlich wie Bush den Irak-Krieg. Große Erfolge konnten die US-Militärs bisher nicht feiern, und die großen Probleme in der Region stehen erst bevor, wenn Pakistan, wie von vielen prognostiziert, von den Taliban ins Chaos gestürzt wird.

 

Man wird sich von der Vorstellung verabschieden müssen, dass mit Barack Obama und seiner charismatischen Art allein schon alles besser wird. „Wunderwuzzi" gebe es keinen, hat einmal ein österreichischer Sozialminister festgestellt. Nicht einmal in der Pennsylvania Avenue. Obama hat noch immer größere Chancen zu scheitern, als erfolgreich zu sein. Wie nahe Erfolg und Niederlage zusammenliegen, zeigt eine andere 100-Tage-Periode: Gerade einmal so viel Zeit verging zwischen Napoleons triumphaler Rückkehr nach Paris und seiner Niederlage in Waterloo.