Böses Omen für Obama
29.08.2010
Amerikas Rechte hat mit einer provokanten
Großkundgebung am Wochenende
in Washington einen unerwartet
deutlichen Erfolg erzielt. Nach Schätzungen kamen
mehrere hunderttausend Menschen zum Lincoln-Memorial.
Die Veranstalter hatten
100.000 erwartet.
47 Jahre
zuvor hatte der schwarze Bürgerrechtler
Martin Luther King dort vor
250 000 Zuhörern seine berühmte
Rede „I Have a Dream“ über ein Amerika ohne Rassenschranken
gehalten. Es war 1963 der Höhepunkt des wochenlangen „Marschs auf Washington“ im Ringen um die rechtliche Gleichstellung der Afroamerikaner.
Vertreter der politischen
Linken bewerten es als Provokation,
dass die Rechte ihnen 2010 mit dem Demonstrationsantrag für diesen symbolischen
Tag an diesem symbolischen
Ort zuvorgekommen war und versuche,
sich selbst in die
Tradition Kings zu stellen.
Doch zur Gegendemonstration unter Leitung des schwarzen Pfarrers und Politikers Al Sharpton kamen nur wenige
tausend. Dort sprachen der älteste
Sohn Martin Luther Kings und Bildungsminister
Arne Duncan. Es ist eine schockierende Erfahrung für die Demokratische Partei, dass sie ihre
Anhänger im Gegensatz zur Rechten
kaum mobilisieren konnte. Es bleiben nur noch gut zwei
Monate bis
zur Kongresswahl, bei der sich
entscheidet, ob US-Präsident
Barack Obama seine Parlamentsmehrheit verliert.
Die tatsächliche Zahl der Teilnehmer
der Kundgebung am
Lincoln-Memorial werde noch
zu einem politischen Streitpunkt werden, hieß es
in der „Washington Post“. Polizei
und Parkverwaltung verwiesen
darauf, dass es schwierig sei,
Menschen auf den breiten, mit Bäumen durchsetzten
Grünflächen der National
Mall zu zählen, und machten daher keine
Angaben. Luftaufnahmen zeigten, dass die Menschen auf den 800 Metern zwischen dem Lincoln-Memorial und
der Gedenkstätte zur Erinnerung an die im Zweiten Weltkrieg
gefallenen US-Soldaten dicht an dicht standen sowie in lockerer Formation zwischen dem Weltkriegsmemorial und dem Washington Monument, dem Obelisken in der Mitte der 2,5 Kilometer langen National Mall.
Initiator
war der konservative Fernseh- und Radiomoderator Glenn
Beck, der mit seinen Sendungen Millionen erreicht und seit Tagen zur
Teilnahme aufgerufen hatte. Er sprach hinterher
von 300 000 bis 500 000 Teilnehmern.
Die erzkonservative Abgeordnete
Michelle Bachmann aus Minnesota sagte:
„Wir werden es niemandem durchgehen
lassen, zu behaupten, es seien
weniger als eine Million da gewesen.“ Nach den Luftbildern
ist diese
Zahl jedoch eine große Übertreibung.
Beck hatte angekündigt, die
Demonstration sei unpolitisch. Sie diene
dem Ziel, Amerikas Ehre wiederherzustellen
und dem Militär für seine Dienste zu danken. „Hier
geschieht etwas, das die menschliche Dimension sprengt“, rief er zum
Auftakt im Predigerton. „Heute beginnt Amerika, sich wieder Gott
zuzuwenden.“ Ein Begeisterungssturm brach los, als
Beck Sarah Palin, die Ex-Vizepräsidentschaftskandidatin
der Republikaner, als zweite Hauptrednerin
vorstellte. „Ich spreche hier nicht
als Politikerin,
sondern als Mutter eines kampferprobten Veteranen“, sagte sie. Ihr ältester
Sohn Track begann 2008 einen Irak-Einsatz. Die US-Soldaten seien „eine Kraft des Guten“, rief sie aus.
Die Teilnehmer
waren zumeist weiße Amerikaner über 50 Jahre. Viele trugen Fahnen der
„Tea Party“, einer konservativen
Protestbewegung gegen
Obama. Amerikas Wirtschaft
und Politik seien auf dem falschen Weg;
dagegen müsse man etwas tun, antworteten
sie auf die Frage, warum sie teilnähmen.
„Schaut euch
um“, rief Palin. „Ihr seid nicht
alleine. Ihr seid Amerikaner.
Ihr habt dasselbe stählerne Rückgrat und dieselbe moralische Kraft wie Lincoln und
Martin Luther King.“ Es redete auch Alveda
King, eine Nichte des Bürgerrechtlers. Wie die meisten Rechten lehnt sie Abtreibung
strikt ab.
Bei der Gegendemonstration
kritisierte die Demokratin
Eleanor Holmes Norton die Vereinnahmung des Bürgerrechtlers. Kings Rede 1963 habe „die Nation verändert“ und geholfen, „den Tiefpunkt des Rassismus in unserer Geschichte zu überwinden“. Becks Marsch werde
hingegen „nichts verändern“.