Großes Drama, begrenzte
Folgen
Von Christoph
von Marschall
Das Öl sprudelt ungebremst
in den Golf von Mexiko. Eine Naturkatastrophe
- doch die Konsequenzen werden nicht ganz
so einschneidend ausfallen,
wie man heute annehmen dürfte. Die USA werden das Bohren vor der Küste
nicht aufgeben.
Ist das der Schock, der
die Amerikaner dazu bringt, von ihrer Ölabhängigkeit abzulassen? Zwingt das Umweltdesaster vor der Südküste
die USA nicht geradezu, in der Energiepolitik Europas Beispiel zu folgen
und auf erneuerbare Energien
umzustellen? Das sind gängige Erwartungen in Deutschland, nachdem
eine Bohrinsel im Golf von Mexiko explodiert ist. Täglich laufen hunderttausende Liter Öl aus und bedrohen die Natur sowie die Existenzgrundlagen der Menschen an der
Küste. Die Fragen sind berechtigt;
sie werden im Angesicht der
Katastrophe auch in Amerika gestellt. Und doch lässt sich
ahnen: Die Konsequenzen werden nicht ganz
so einschneidend ausfallen,
wie man heute annehmen dürfte.
Die Gründe
sind vielfältig.
Sie reichen von der Wetterlage, die bisher verhindert hat, dass die seit Tagen
beschworenen Katastrophenbilder
eintreffen, über Temperamentsunterschiede zwischen
Amerikanern und Deutschen bis zu den Beharrungskräften
der menschlichen Natur. In den Jahren
nach dem Fall der Mauer sprach
Wolf Lepenies von der Folgenlosigkeit einer unerhörten Begebenheit. 1989 dachte man, alles
werde sich ändern. Tatsächlich lebte der Westen Deutschlands weiter wie zuvor
– abgesehen vom Solidaritätszuschlag.
Müsste der US-Kongress
jetzt, inmitten der öffentlichen Aufmerksamkeit und des Zorns der Fischer in Louisiana und Mississippi, ein neues Energiegesetz
verabschieden, würden die Restriktionen für das küstennahe Bohren verschärft. Doch vorerst hat der Ölunfall die umgekehrte Wirkung. Das Energiegesetz,
auf das Obama in diesem Sommer
hoffte, wird verschoben; man müsse Ermittlungen und Auswirkungen abwarten. 2011 werden die parlamentarischen Kräfteverhältnisse
vermutlich ungünstiger sein.
Auch
der Schock lässt bereits nach. Generell neigen Amerikaner weniger zur Dramatik
und sehen die Zukunft rosiger als
Deutsche. Sie können sogar ausgesprochen sauer reagieren, wenn sie das Gefühl haben, Gefahren würden übertrieben. Seit Tagen berichten
die Medien in den USA wie
in Europa,
die Verseuchung des Mississippi-Deltas stehe unmittelbar bevor. Als Vorlage
der zu erwartenden
Bilder diente der Unfall des Tankers „Exxon
Valdez“ 1989 vor Alaska: Unzählige Tiere starben, schwarzer Schlick verklebte die Küste. Doch der
Untergang einer Bohrinsel 70 Kilometer vor der Küste in 1,5 Kilometer Wassertiefe hat offenbar andere Auswirkungen als ein Tankerunfall
– oder ein Bohrinselunglück in der Nordsee, die nur 70 bis 120 Meter tief ist.
Bisher haben Stürme und Wellen verhindert, dass der Ölteppich
größere Landstriche verschmutzt. Sie verwirbeln zudem das Rohöl mit Meerwasser; wenn es anlandet,
ist es
nicht mehr so konzentriert. Die Kehrseite: Schweres Wetter behindert die Versuche, die Lecks am Meeresboden zu schließen. Irgendwann werden die Folgen sichtbar. Doch inzwischen bewegen neue Aufreger die Bürger wie der
Anschlag in New York.
Die USA werden
das Bohren vor der Küste nicht
aufgeben. Es verringert die
Abhängigkeit von Importen aus islamischen Ländern, wo
die Petrodollars Unterdrückung und Terror finanzieren. Schon heute ist
Amerika darauf weniger angewiesen als Deutschland. Es kann die Hälfte seines Öl- und Gasbedarfs daheim fördern. Die Regeln für Sicherheitsventile und die Haftung der Konzerne
werden wohl angepasst. Und erneuerbare
Energien werden ausgebaut, gerade entsteht ein Windpark
vor der Küste
von Massachusetts. Der Ölunfall
bleibt ein unerhörtes Drama – mit begrenzten Folgen.