Realpolitische Antworten auf Putin
ERIC
FREY
3.
März 2014
Statt lautstark auf
Prinzipien zu pochen, müsste der Westen mit
Moskau verhandeln
Seit einem Jahrhundert stehen einander in internationalen Beziehungen die Politik der Macht, oder
Realpolitik, und die Politik
der Prinzipien und Werte gegenüber. Während die Europäer sich Letzterem verpflichtet haben und die USA je
nach Bedrohungslage zwischen diesen beiden Polen schwanken,
gilt in Russland seit
Stalin das Primat der Realpolitik - wie man an Wladimir Putins Vorgehen gegen die Ukraine sieht.
In
der Welt gibt es Platz für
beides. Aber eines ist klar:
Wer auf eine Politik der Macht
mit dem Pochen
auf Prinzipien wie dem Völkerrecht reagiert, der hat bereits verloren. Ein Realpolitiker wie Putin lässt sich nicht durch
Verurteilungen oder symbolische Schritte wie den Ausschluss aus der G-8-Gruppe beeindrucken.
Realpolitisch orientierte
Experten können daher über die ersten Reaktionen der USA und der Europäer auf die russische Politik nur den Kopf schütteln. Laute Empörung und leere Drohungen schaffen bloß den Eindruck der Machtlosigkeit und verhindern Lösungen, die den Interessen des Westens und der Ukrainer am ehesten entsprechen. Und eine Politik der
Ächtung, das weiß Putin, wird nicht lange
halten, weil der Westen Russland
in anderen Konflikten braucht.
Was
würden Realpolitiker dem US-Präsidenten und den EU-Spitzen raten? Zuerst einmal nicht
für etwas zu kämpfen, was wenig praktischen Wert hat und nicht zu halten
ist. Das ist die Krim. Russland hat viel größere strategische
Interessen dort als der Westen
oder auch die Ukraine (Stichwort Schwarzmeerflotte) und kann diese leicht
durchsetzen.
Sogar völkerrechtlich
ist die russische Position nicht völlig illegitim.
Schließlich hat die Halbinsel
eine russische Bevölkerungsmehrheit und wurde erst 1954 der Ukraine durch Nikita Chruschtschow "geschenkt".
Hier hat der Westen Putin etwas anzubieten - die internationale Anerkennung einer Rückkehr der Krim
zu Russland. Dafür könnte man verlangen, dass dieser Prozess legal und geordnet, nach einer überwachten Volksabstimmung, geschieht.
Im Gegenzug sollte Russland endlich die Unabhängigkeit des
Kosovo anerkennen, dessen Abspaltung dem gleichen Prinzip der Selbstbestimmung von Völkern und Volksgruppen folgt wie die russische
Krim-Politik.
Das
Hauptziel westlicher Politik müsste die Stabilisierung einer westlich orientierten Ukraine sein. Hier war Russland ja der
Verlierer der letzten Wochen - auch dank des Triumphs der (annähernd) westlichen Werte auf dem Maidan.
Gegen Volksaufstände kann Realpolitik wenig tun.
Putin
weiß wohl, dass er die Ukraine nicht mehr für
seine Eurasische Union gewinnen
kann; er kann nur noch
stören. Das ist eine typische Pattsituation,
die realpolitisch nur durch Verhandlungen aufgelöst werden kann. Deshalb müssten
die USA jetzt alles daransetzen, die Führung in Kiew zu einer
Deeskalation zu überreden und mit Russland einen Verhandlungsprozess zu eröffnen, in dem die Kerninteressen beider Seiten berücksichtigt werden können.
Das
wäre einerseits eine Absicherung einer Westorientierung der Ukraine und ein Versprechen der Nichteinmischung Moskaus in die ukrainische Politik. Kiew müsste andererseits
die Rechte der russischsprachigen Bürger garantieren und auf einen Nato-Beitritt - ein rotes Tuch für Putin - verzichten. Auch das wäre kein hoher
Preis für den Westen; denn gegen
russische Machtpolitik hilft eine Nato
nichts.