Die Saat des Hasses geht auf
Christoph Prantner
09. Jänner
2011, 18:15
Nach der Attacke
von Arizona muss Amerika Gedanken und Worte abrüsten
Es ist vieles unklar nach dem
Blutbad von Tucson. Die Faktenlage
ist dünn,
nur wenige Tatsachen scheinen gesichert: Sechs Menschen sind tot. Die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords kämpfte
am Sonntag weiterhin um ihr
Leben. Jared Lee Loughner, der mutmaßliche Attentäter, ist
festgenommen und verweigert
den Behörden jede Auskunft mit Verweis
auf den fünften Zusatzartikel
zur US-Verfassung, der Bürger vor
Machtmissbrauch der Regierung in Rechtsverfahren schützt. Über ein
Motiv des als
geistig verwirrt beschriebenen 22-Jährigen kann nur spekuliert werden.
Und das wird
in der Tat ausgiebig getan. Obwohl noch
völlig unbelegt ist, ob der
Todesschütze einen politischen Hintergrund hat, wird die Tat gnadenlos politisiert: Linke, wie Paul Krugman in der New York Times, weisen den Rechten und deren Rhetorik die Verantwortung für die Bluttat zu. Rechte versteigen
sich im Internet zur Behauptung, der Angriff sei
eine Inszenierung der Demokraten gewesen, um der Tea Party-Bewegung in Washington die Spitze
zu nehmen.
Zwischen solchen Polen
bewegt sich der politische Diskurs in den Vereinigten Staaten in diesen Tagen - mit oder ohne Attentat von Tucson. Dazwischen ist die Stimme
der Vernunft kaum noch zu
hören. Ihr Programm ist
in den immer lauteren, immer schnelleren Sechs-Stunden-Nachrichtenzyklen der
TV-Sender nicht vorgesehen.
Es ist nicht so, dass sich die Gegener
in Washington stets mit Samthandschuhen
angefasst hätten. Aber den gehässigen Ton zwischen den Parteien, die brutale, unbarmherzige Leidenschaft, mit der die politische Auseinandersetzung in den vergangenen
Jahren geführt wurde, gab es schon
lange nicht mehr. Wenn Arizona ein "Mekka des Hasses und der Bigotterie" ist,
wie es der
Sheriff von Pima County nach dem
Attentat auf Giffords ausgedrückt
hat, dann ist es Washington erst recht.
Kabelsender wie Fox News oder MSNBC beschießen
die jeweilige ideologische Feindpartei mit hirnverbrannter Einseitigkeit. Karikaturisten müssen ihre Cartoons neuerdings mit einem blauen
oder roten Markerl versehen, damit Chefredakteure bei der Auswahl
der Zeichnungen nicht zufällig in die Verlegenheit geraten, auf einen falschen, sprich anderen Gedanken zu kommen.
Und Sarah Palin, die schießwütige Gouvernante
der Tea Party, lässt eine "Hitlist" von Abgeordneten erstellen, die bei der Midterm-Wahl "abgeschossen" werden sollten. Fadenkreize auf einer USA-Karte inklusive (in Arizona war übrigens
Gabrielle Giffords darunter).
Wen kann es
da wundern, dass diese Saat des Hasses hin und wieder auch aufgeht?
Dass derangierte oder terroristisch
veranlagte Charaktere zur Waffe greifen?
Dass paranoide Burschen vom Land einen Truck voll Sprengstoff laden und damit Bundesgebäude in die Luft jagen wie einst
in Oklahoma City?
Damals, 1995, hatte es Präsident Bill Clinton mit einem ähnlichen
politischen Klima zu tun. Das Attentat
war eine der Zäsuren in dessen Präsidentschaft. Die Attacke von
Tucson ist eine solche in der Präsidentschaft Barack Obamas. Sie ist ein Mahnzeichen
für den neugewählten Kongress in Washington, das zumindest
von Politikern einen zivilisierten Umgang untereinander einfordert. Sollte die Attacke von Arizona so
etwas wie einen Sinn gehabt haben, dann wohl
nur diesen, den Amerikaner vor Augen zu führen,
wie nötig eine Abrüstung in Worten und Gedanken ist.