Obama macht einen guten Job
von Christoph Prantner | 19. Jänner 2010,
18:51
Der US-Präsident hat sich im ersten Amtsjahr
gut geschlagen, abgerechnet
wird erst 2012
Es ist eine Art
Obama-Bashing-Festival, das zum ersten
Jahrestag der Amtsübernahme des amerikanischen Präsidenten ausgerichtet wird: Er leide
unter sinkenden Umfragewerten, er halte seine Versprechen nicht, er enttäusche
seine Unterstützer, er sei viel zu
weich gegenüber gefährlichen Potentaten und aufstrebenden Konkurrenten der Supermacht in aller Welt. Zwischen all den wortreich vorgetragenen Enttäuschungskadenzen kann der bedauernswerte Mann im Oval Office dieser Tage anscheinend gar nichts mehr richtig
machen. Missvergnügen, unfaire Beurteilung und eine Häme, mit
der nur die echten Überflieger rechnen dürfen, sind ihm
sicher. Jede Verhältnismäßigkeit scheint
verloren.
Und
trotz alledem: Barack Obama
macht einen guten Job.
Als er ihn vor
einem Jahr übernahm, erlebte die Wirtschaftskrise einen Höhepunkt. Es grassierte die
Angst vor einer großen Depression, Weltuntergangsstimmung
machte sich breit. Inzwischen hat sich die Lage einigermaßen
stabilisiert. Das ist auch das Verdienst Obamas, der dem Kongress
ein 800-Milliarden-Dollar-Stimuluspaket abgerungen hat. Zudem haben die USA mit ihm weltpolitisch inzwischen wieder alle Optionen. Aus der politisch wie
wirtschaftlich miserablen Lage, in der er
die Vereinigten Staaten übernommen hat, hat er inzwischen einiges gemacht.
Und wer
sich partout nicht mehr an die Zeit vor Obama erinnern kann, möge sich jene
Fernsehbilder ansehen, in denen unlängst der feixende George W. Bush neben Obama als
Haiti-Helfer im Rosengarten des Weißen Hauses auftrat. Beide erlebt, kein
Vergleich - nur so kann der Schluss
lauten, der aus dieser kleinen
Gedächtnisauffrischung zu ziehen ist.
Das heißt nicht, dass
Obama in diesem Jahr keine Fehler unterlaufen
wären. Der von den Obama-Skeptikern wohl am wenigsten beklagte ist,
dass der coole Präsident über dem Pragmatismus
und der neuen Sachlichkeit, mit der er regiert,
auf die Politik vergessen zu haben scheint.
Mit seinem Amtsantritt, möchte man meinen, habe den brillanten Wahlkämpfer das Gespür für die Leute verlassen. Zwischen April und Juni 2009, diagnostizierte die New York Times, haben
Barack Obama und seine reflektierte Administration in
den Umfragen den Kontakt zu Volkes Stimme
verloren - oder, bei wohlwollenderer Betrachtungsweise, verlieren wollen.
Obama musste in den ersten zwölf Monaten seiner Amtszeit auch unpopuläre
Dinge anpacken. Die Gesundheitsreform oder auch
die Truppenaufstockung in Afghanistan gehörten zu den Themen, die selbst für einen Obama schwer zu verkaufen
sind. Dazu kommt ein "enthusiasm gap" , eine große
Ernüchterung, in der sich wohl jeder
Präsident schwertun würde. Auch deswegen
sind die Demoktraten
bei der Senatsnachwahl
in Massachussetts in die Bredouille
geraten.
Neben dem Obama-Bashing ist der historische Präsidentenvergleich
in Washington dieser Tage eine gern geübte
Disziplin. Und dabei kommt heraus, dass
nur Ronald Reagan nach seinem ersten Jahr
im Amt in Umfragen schlechter dastand als Obama. Der
Kalifornier gewann seine Wiederwahl 1984 mit großem Abstand. Nichts spricht dagegen, dass es bei
Obama nicht gleich kommen sollte. Denn abgerechnet wird auch für ihn
nicht nach einem Jahr im
Amt, sondern erst 2012.
(Christoph Prantner, DER STANDARD, Printausgabe
20.1.2010)