VW als Exempel: Der lange Arm der US-Justiz

 

Von Marc Pitzke, New York

 

Banken, Betrüger, Fifa-Funktionäre - und jetzt Volkswagen: Internationale Sünder bekommen es mit US-Fahndern zu tun. Dem VW-Konzern wurde außerdem ein klimabewusster Präsident zum Verhängnis.

 

Tolles Timing: Gina McCarthy hatte sich schon länger beim "Wall Street Journal" zum Pressefrühstück angesagt. Gemeinsam mit Brian Deese, dem wirtschaftspolitischen Top-Berater des Weißen Hauses, wollte die Chefin der US-Umweltbehörde EPA dort über den Clean Power Plan plaudern, Amerikas neue, verschärfte Klimaverordnung.

 

Das traf sich gut. Denn bei der Podiumsdiskussion am Dienstag konnte McCarthy, um die Wirkung der im August erlassenen Vorschriften zu illustrieren, gleich den aktuellen Klimasünder an den Pranger stellen, den die EPA in die Zange genommen hat: den deutschen VW-Konzern.

"Das aufzuspüren fiel uns besonders schwer", sagte sie in Anspielung auf die Software, mit der VW die US-Abgastests seiner "sauberen" Diesel-Modelle manipulierte. "Ich bin wirklich stolz auf unsere Arbeit."

 

Diese Arbeit zeigt nun immer größere Wirkung. Der VW-Skandal, so zeichnet sich ab, war womöglich nur der Anfang: "Wir werden nicht rumsitzen", drohte McCarthy. Sollten auch andere Autobauer, egal aus welchem Land, ähnlich mauscheln, "so werden wir das herausfinden".

 

Die USA als globale Justitia

 

Wieder einmal erweisen sich die USA als globale Justitia, die knallhart gegen weltweite Betrüger vorgeht. Das traf schon viele zuvor: britische Währungsschwindler, russische Geldwäscher oder fragwürdige Fifa-Funktionäre - sie alle hatten oder haben Ärger mit den USA. Auch die Autobranche blieb nicht verschont: Dem japanischen Toyota-Konzern brummte das US-Justizministerium 2014 im tödlichen Skandal um klemmende Gaspedale 1,2 Milliarden Dollar Strafe auf.

 

Und nun also Volkswagen, Symbol deutscher Ingenieurskunst. Doch ausgerechnet wegen Umweltbetrugs? In einem Land, das nicht gerade als flammender Klimaschützer bekannt ist? Darin steckt bittere Ironie.

Die Wolfsburger hatten Pech. Mit ihrer Abgas-Trickserei gerieten sie in einen perfect storm - das seltene Zusammenspiel widriger Umstände, zumindest aus VW-Sicht. Eine ambitionierte EPA, ein aufgefrischtes Justizministerium, private Umweltaktivisten und ein klimabewusster, scheidender US-Präsident, der nichts mehr zu verlieren hat: All das verschärft die Lage für VW.

 

Das beginnt damit, dass Amerika, seinem miesen Öko-Image zum Trotz, härtere Umweltvorgaben hat als die meisten anderen Staaten. Vor allem sind die EPA-Abgastests strenger als zum Beispiel die in Europa.

 

Dem VW-Schwindel wäre die EPA ohne privaten Anstoß aber kaum auf die Spur gekommen. Der International Council on Clean Transportation (ICCT), eine deutsch-amerikanische Klimaschutzgruppe, spürte die Diskrepanzen der VW-Abgastests schon im vergangenen Jahr auf - und alarmierte das California Air Resources Board und das US-Umweltamt.

 

Der EPA kam das gerade recht. Als deren Chefin McCarthy Mitte 2013 antrat, wurde sie zum Gesicht der Klima-Ambitionen von Präsident Barack Obama: Dieser hofft, von Politzwängen befreit, in die Geschichtsbücher einzugehen.

 

McCarthy braucht gute Nachrichten: Im August machte die EPA Schlagzeilen, als sie mit mehr als elf Millionen Liter an giftigen Flüssigkeiten aus Versehen einen ganzen Fluss verseuchte. Ein Themenwechsel, der die Behörde in positives Licht rückt, ist da willkommen.

 

Gegen Umweltsünder im Straßenverkehr ist die EPA mit schlagkräftigen Mitteln ausgestattet: Unter dem Clean Air Act, dem US-Klimagesetz, kann sie millionenschwere Zivilstrafen verhängen. Zugleich wurden die US-Emissionsregeln zuletzt im August verschärft.

 

"Sie nehmen die Verantwortung, die sie bei der Überwachung des Clean Air Acts haben, sehr ernst", sagte Obama-Sprecher Josh Earnest, auf die Rolle der EPA im VW-Skandal angesprochen. Die Einhaltung der Umweltgesetze sei eine "wirtschaftliche Priorität".

 

Volkswagen als Exempel

 

Eine weitere Waffe gegen Konzerne, die sich um US-Vorschriften herumzudrücken versuchen, ist das Justizministerium. Dessen Umweltabteilung hat nach Informationen des "Wall Street Journal" jetzt separate, strafrechtliche Ermittlungen im Fall VW aufgenommen.

 

Auch das kommt nicht von ungefähr. Lange hat die US-Justiz Wirtschaftskriminelle weitgehend unbehelligt gelassen, allen voran die Drahtzieher der Finanzkrise. Banken durften sich mit verkraftbaren Geldstrafen aus der Affäre ziehen, während die zuständigen Manager schlimmstenfalls mit fetten Abfindungen im Vorruhestand landeten.

 

Dumm für VW: Justizministerin Loretta Lynch, erst seit April im Amt, schlägt einen härteren Kurs ein. Per internem Memo sorgte sie dafür, dass sich die Fahnder vermehrt um die "individuelle Verantwortung" für Wirtschaftsdelikte kümmern. VW soll ein erstes Exempel sein.

 

Am Dienstag erklärte der New Yorker Staatsanwalt Eric Schneiderman, dass inzwischen mehrere US-Bundesstaaten ein Bündnis schließen wollen, um Ermittlungen gegen den deutschen Autobauer einzuleiten.

 

Auch der Kongress schaltet sich ein. Schon haben zwei Unterausschüsse Anhörungen angekündigt, um die Top-Manager von VW ähnlichen Verhören zu unterziehen wie amerikanische Unternehmen und Banken.

 

Fürchten dürfen sich auch andere Konzerne - weltweit. Im Kampf gegen Umweltsünder in der Autobranche versprach McCarthy bei ihrem Auftritt am Dienstag, werde die EPA jetzt "noch einen drauflegen".