Homo-Ehe: Vorbild USA, Duckmäuser Deutschland

 

Ein Kommentar von Marc Pitzke, New York

 

Die USA haben die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Ein historischer Paukenschlag, der andere westliche Länder beschämen sollte. Allen voran Deutschland, das zaudert und sich herausredet.

 

Es ist einfach, sich über die Amerikaner aufzuregen. NSA, Drohnen, Folter, Guantanamo, Rassismus, Polizeigewalt, Armut: Die Liste ist so lang wie berechtigt, die Empörung müßig. Gerade in Deutschland, wo man sich gerne in gepflegter Hassliebe mit den USA verbunden fühlt. Monieren, murren, mäkeln - und dann hinreisen. New York, New York!

 

 

Apropos: In New York dürfen Touristen am Sonntag wieder eine ganz besondere Attraktion bestaunen. Abertausende Schwule, Lesben und Transsexuelle werden da über die Fifth Avenue marschieren, zur Gay Pride Parade. Deren zuletzt schamloser Kommerz weicht diesmal aber wahrer Freude: Erstmals seit Langem gibt es wirklich etwas zu feiern.

Die landesweite Legalisierung der Homo-Ehe ist ein historischer Paukenschlag. Sie beendet jahrzehntelange Diskriminierung bei einem der ehernsten US-Bürgerrechte. Sie realisiert Amerikas höchsten Verfassungsanspruch, der sonst so schnell zum Schlagwort schrumpft: "All men are created equal." Sie ist reinster Ausdruck des anderswo maroden American Dream von "Leben, Freiheit und Glücksstreben".

 

Mehr noch: Mit seinem Grundsatzurteil setzte der Oberste US-Gerichtshof eine weltweite Messlatte und ein nicht nur in seiner rhetorischen Eloquenz beschämendes Vorbild für viele andere Länder. Allen voran Deutschland, das sich zu einem solchen Schritt partout nicht durchringen kann, sondern zaudert, pokert und sich herausredet.

 

"Congrats America!", twitterte der Grünen-Spitzenpolitiker Volker Beck nach dem US-Urteil. "Jetzt ist Deutschland dran, liebe CDU/CSU/SPD!"

 

Doch Deutschland, das selbsternannte Gewissen der Welt, zappelt im Netz aus Vorurteilen, Ignoranz und Bürokratie. "Ich habe die Hoffnung und Erwartung, dass wir auch in Deutschland zu einer kompletten Gleichstellung zwischen der Lebenspartnerschaft und der Ehe gelangen", schrieb Christoph Strässer, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, am Samstag. Hoffnung, Erwartung - Realität?

 

Die gestelzte Wortwahl zeigt, wie schwierig dieses menschliche Thema in der Berliner Beamtenrepublik bleibt. Bundeskanzlerin Angela Merkel spielt die kokett-widerwillige Brautjungfer, um ihre Traditionshüter bei Laune zu halten. Etwa den CDU-Abgeordneten Helmut Brandt, der die Ehe als reines Fortpflanzungsvehikel versteht. Oder Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, die vor Bigamie und Inzest warnt, eine offenbar natürliche Konsequenz der Homo-Ehe.

 

Es geht um mehr als die Ehe

 

Hinterwäldlerische, sogar gefährliche Ansichten. Solche Verachtung gleichgeschlechtlicher Liebe ist nicht besser als die falsche Pietät der amerikanischen Rechten, die das Supreme-Court-Urteil als Bedrohung ihrer "Religionsfreiheit" verteufelt - ein scheinheiliges Codewort für Hass. Freiheit ist keine Freiheit, wenn sie anderen die Freiheit versagt.

 

Denn es geht ja um viel mehr als nur das Eherecht. Es geht darum, Homosexuelle endlich vollends in die Gesellschaft aufzunehmen. Zu lange mussten sie sich verstecken, fürchten, verbiegen, verleugnen - mit staatlicher Billigung. Auch der lange Weg der deutschen LGBT-Bewegung ist mit Opfern gepflastert.

 

Stattdessen wird weiter in Gremien "diskutiert" und in Ausschüssen gehadert, während Schwule und Lesben Deutsche zweiter Klasse bleiben. Trotz einer überwältigenden Mehrheit in den Umfragen, die sich für eine Gleichstellung ausspricht. Trotz offener Briefe von Prominenten. Trotz des gesunden Menschenverstands, auf den die Deutschen doch sonst immer so stolz sind.

 

 

In den USA gab die öffentliche Meinung die Richtung vor. Lange ging das hin und her. Volksbefragungen erteilten LGBT-Rechte und nahmen sie wieder, Parlamente stimmten mal für die Homo-Ehe, mal dagegen, Gerichte urteilten in die eine und immer mehr in die andere Richtung. Bis die oberste Instanz nun ein Machtwort sprach: Es gibt kein Zurück.

 

Das Beste daran: Nichts wurde in Hinterzimmern beschlossen. Es war Demokratie pur, die USA in lange vergessener Hochform. Stolz hängte das US-Generalkonsulat in München am Freitag Regenbogenfahnen ins Fenster, in Sichtweite der Bayerischen Staatskanzlei. Love wins, CSU!

 

Es gibt viel zu meckern an Amerika, zu Recht. Doch sein erstaunlicher, selbstgebastelter gesellschaftlicher Fortschritt gibt keinen Grund dazu.