Möglicher NSA-Untersuchungsausschuss: Die zehn Zeugen

 

Von Veit Medick

 

Mission Aufklärung: Die Spitzen der deutschen Geheimdienste reisen nach Washington, ein möglicher NSA-Untersuchungsausschuss könnte bald seine Arbeit aufnehmen. Edward Snowden wäre der wichtigste Zeuge. Aber auch deutsche Spitzenpolitiker und Beamte müssten mit einer Befragung rechnen.

 

Berlin - Schutz bieten? Oder doch lieber Türen zu? Seit Edward Snowden seine grundsätzliche Bereitschaft bekundet hat, in Deutschland über die Hintergründe der NSA-Affäre auszusagen, ist eine Debatte darüber entbrannt, wie sich Berlin verhalten sollte. Im SPIEGEL sprechen sich etliche Politiker und Intellektuelle dafür aus, dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Asyl zu gewähren. Doch Union und SPD zieren sich. Sie fürchten Schäden für das transatlantische Verhältnis.

 

Allen ist klar: Snowden ist eine wichtige, wahrscheinlich sogar die wichtigste Figur in der Mission Aufklärung, die hierzulande erst noch ansteht. Am Montag reisen die Chefs von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz mit Fragen an die US-Regierung nach Washington. Im Verlauf der Woche tagt dann erneut das Parlamentarische Kontrollgremium, um über die jüngsten Enthüllungen der NSA-Spähangriffe zu beraten. Danach dürfte wohl auch entschieden werden, ob und in welcher Form es im Bundestag zu einem Untersuchungsausschuss kommt.

Für viele Beteiligten wäre ein solcher Ausschuss unangenehm. Aber wer würde überhaupt als Zeuge in Frage kommen? Union und SPD dürften mit ihrer Mehrheit versuchen, ihre eigenen Leute vor Aussagen zu bewahren. Doch wer es ernst meint mit der Aufklärung, muss auch die wichtigsten Personen befragen. Zehn Vorschläge, wer vor einem NSA-Ausschuss in jedem Fall vernommen werden müsste.

 

Edward Snowden: Er wäre der zentrale Zeuge in einem Untersuchungsausschuss. Snowden kennt die Akten, die Codes, die Operationen - niemand anders dürfte über ähnliches Detailwissen in der NSA-Spähaffäre verfügen. Wie der 30-Jährige befragt werden könnte, ist allerdings offen. Union und SPD haben Angst: Holt man ihn nach Deutschland, wäre das ein Affront gegen die USA, fürchten sie.

 

Angela Merkel: Für die Bundeskanzlerin wäre ein Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss heikel. Die Aufklärer dürften sich nicht nur für die jahrelangen Spähangriffe auf ihr Handy interessieren. Im Zentrum dürfte auch die Frage stehen, wie glaubwürdig Merkels Beteuerung ist, seit ihrem Amtsantritt 2005 nichts von den Spähaktivitäten der Amerikaner mitbekommen zu haben.

 

Gerhard Schröder: Unter ihm als Kanzler verdichtete sich die Zusammenarbeit der deutschen und amerikanischen Geheimdienste. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 vereinbarten Berlin und Washington im Grundsatz eine verbesserte Kooperation in Fragen der Terrorabwehr. Schröder müsste sich der Frage stellen, inwieweit seine Politik die Ausweitung der NSA-Überwachung in Deutschland begünstigt haben könnte.

 

Frank-Walter Steinmeier: Als Schröders Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator hatte er zu Zeiten der rot-grünen Regierung auch die Sicherheitspartnerschaft mit den USA zu verantworten. Die Union warf ihm vor der Wahl vor, im Jahr 2002 eine Grundsatzentscheidung zur engeren Zusammenarbeit zwischen BND und NSA getroffen zu haben. Was es damit konkret auf sich hatte, dürfte in einem Ausschuss eine Rolle spielen.

 

Ronald Pofalla: Als Merkels Geheimdienstkoordinator spielt Pofalla in der NSA-Debatte eine äußerst unglückliche Rolle. Im Sommer spielte er die Snowden-Enthüllungen wochenlang herunter und erklärte die Debatte vor der Wahl für beendet. Inzwischen ist er sensibilisiert. Aber warum ließ sich Pofalla vor der Wahl von der NSA mit einer lauwarmen Erklärung abspeisen? Und was weiß er über die mögliche Zusammenarbeit der NSA mit deutschen Diensten?

 

Hans-Peter Friedrich: Auch der Bundesinnenminister wäre vor einem Ausschuss unter großem Rechtfertigungsdruck. Der CSU-Mann beschwerte sich zu Anfang der Affäre weniger über die USA als über den Antiamerikanismus in Berlin, verschickte ein paar Fragen an die US-Regierung und wollte es dann damit bewenden lassen. Neuerdings gibt er sich zwar distanzierter gegenüber Washington. Mit seinem Schlingerkurs in der Debatte dürfte er aber wohl eine Vorladungs-Garantie haben.

 

John B. Emerson: Was geschieht wirklich in der US-Botschaft? Barack Obamas Gesandter in Berlin zeigt sich dieser Tage zwar gesprächig - ob aus der Botschaft heraus allerdings das Regierungsviertel ausgespäht wird, wie NSA-Dokumente laut SPIEGEL nahe legen, sagt Emerson nicht. Vor einem Untersuchungsausschuss wäre er wohl der einzig denkbare US-Zeuge. Zu einem möglichen Auftritt will er nichts sagen. Dies sei eine "hypothetische Frage", sagte er kürzlich. Und auf hypothetische Fragen antworte er nicht.

 

Gerhard Schindler: Ein Untersuchungsausschuss würde sich nicht zuletzt auf das Versagen der deutschen Dienste bei der Spionageabwehr konzentrieren. BND-Chef Schindler und sein Verfassungsschutz-Kollege Hans-Georg Maaßen dürften um einen Auftritt kaum herum kommen. Was ihre Behörden wussten, wie eng sie mit den Amerikanern kooperierten und warum sie die Überwachung nicht selbst aufdeckten wird wohl eine der zentralen Aufklärungskomplexe eines Ausschusses sein.

 

August Hanning: War zwischen 1998 und 2005 BND-Präsident. Hanning unterzeichnete im Jahr 2002 mit dem damaligen NSA-Chef Michael V. Hayden eine Vereinbarung zur Überwachung elektronischer Daten. Er wäre insofern ein zentraler Zeuge für die Frage, wie die Kooperation deutscher und amerikanischer Dienste nach den Terrorattacken von New York konkret ausgebaut wurde.

 

Hans-Christian Ströbele: Der Grüne ist seit seinem Besuch in Moskau eine Art Privataufklärer in der NSA-Debatte. Als ersten Spitzenpolitiker empfing ihn Snowden in seinem "safe house" in der russischen Hauptstadt. Über die Inhalte des Gesprächs mit Snowden hüllt sich Ströbele weitgehend in Schweigen. Vor einem Ausschuss könnte er wohl vor allem über die derzeitige Situation des Whistleblowers Interessantes berichten.