Fasziniert von Hitlers Deutschland
Faschismus? "Das Richtige
für Deutschland." Als junger Mann bereiste John F.
Kennedy zwischen 1937 und 1945 drei
Mal Deutschland - und zeigte sich
beeindruckt vom "Dritten Reich". Nun erscheinen
die überraschenden Aufzeichnungen
des späteren US-Präsidenten
erstmals auf Deutsch. Von Johanna Lutteroth
Im Sommer 1937 landeten zwei junge
US-Amerikaner und ein Ford
Cabriolet im Hafen von Le
Havre. Ihre Mission: Europa
in drei Monaten. Es war die
klassische "Grand Tour" der
reichen Ostküstenamerikaner,
die so wie der Debütantenball zum Pflichtprogramm der heranwachsenden Elite gehörte. Der eine hieß
Kirk LeMoyne Billings, genannt
Lem, der andere Jack - besser bekannt als John F. Kennedy.
Die
beiden Jungs hatten gerade das erste College-Jahr an der Elite-Uni Harvard hinter sich, waren 20 Jahre alt und abenteuerlustig.
Den Trip genossen sie in vollen Zügen, flirteten,
feierten und trafen sich mit Bekannten.
Gleichzeitig setzten sie sich aber
auch aktiv mit den politischen Systemen auseinander - vor allem mit
dem Faschismus in Italien und Deutschland. Lem
Billings erinnerte sich später, Kennedy sei "völlig eingenommen von dem Interesse an der Hitler-Bewegung" gewesen. Zwei weitere
Male reiste der spätere US-Präsident als Student nach Deutschland: Im Sommer 1939 recherchierte er für seine Abschlussarbeit, die sich mit dem
Münchener Abkommen von 1938
beschäftigte. 1945 begleitete
er den damaligen US-Marineminister James Forrestal auf einer
Rundreise.
Jedes Mal dokumentierte
er das Erlebte in seinem Tagebuch (1937), in Briefen an seine Eltern und Lem Billings (1939) und in detaillierten
Reiseberichten (1945). Diese
Dokumente hat der Aufbau-Verlag nun unter dem Titel "Unter Deutschen: Reisetagebücher und Briefe
1937-1945" erstmals zusammenhängend
in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Wie ein roter Faden
ziehen sich Kennedys Reflexionen über den Faschismus durch die Aufzeichnungen. Auf den ersten Blick könnte der
Eindruck entstehen, Kennedy
habe den Faschismus gutgeheißen und Hitler sogar bewundert.
"Die
Deutschen sind wirklich zu gut"
"Komme zu dem
Schluss, dass der Faschismus das Richtige für Deutschland und Italien ist", notierte Kennedy etwa am 3.
August 1937 in sein Tagebuch
und fragt: "Was sind
die Übel des Faschismus im Vergleich zum
Kommunismus?" Und am 21. August 1937 hielt er fest: "Die Deutschen sind wirklich zu gut - deshalb rottet man sich gegen sie
zusammen, um sich zu schützen." Einen Tag später schwärmt er von den deutschen Autobahnen: "Das sind die besten Straßen der Welt.
Selbst 1945 schien der junge Beobachter
noch von Hitler fasziniert.
Am 1. August schrieb er nach der Besichtigung
des Obersalzbergs: "Wer
diese beiden Orte (Obersalzberg und Kehlsteinhaus - d. Red.) besucht
hat, kann sich ohne Weiteres vorstellen,
wie Hitler aus dem Hass, der ihn
jetzt umgibt, in einigen Jahren als eine der
bedeutendsten Persönlichkeiten
hervortreten wird, die je gelebt haben."
War
Kennedy also Hitler verfallen? Feststeht,
dass ihn die Inszenierung des Faschismus beeindruckte - wie so viele ausländische Besucher vor ihm,
darunter auch der US-amerikanische Dokumentarfilmer Julien Bryan oder Martha Dodd, Tochter des US-Botschafters in Berlin (1933-1937). Susan Sontag schätzte die Notizen in den siebziger Jahren so ein: Kennedy sei der "Faszination des Faschismus" zwar erlegen. Aber die Inszenierung habe ihn nicht geblendet.
Hitlers stärkste Waffe
Denn die begeisterten
Zeilen in Kennedys Aufzeichnungen
sind nur eine Seite seiner Gedanken. Von Anfang an erkannte er etwa,
dass der Erfolg des Nazi-Regimes vor allem auf Propaganda basierte und
betrachtete die Geschehnisse
mit Distanz und Weitsicht: "Hitler scheint hier so beliebt zu sein wie
Mussolini in Italien, wenngleich
Propaganda wohl seine stärkste
Waffe ist", resümierte er etwa
am 17. August 1937 in München. Zwei
Jahre später beurteilte er die Krise um Danzig äußerst kritisch: Im Mai 1939 schrieb er Billings: "Sollten sich Deutschland zum Krieg entschließen, wird es versuchen,
Polen in die Rolle des
Aggressors zu drängen, und sich selbst ans
Werk machen." Drei Monate später
schrieb er seinem College-Freund: "Es sieht
nicht gut aus, weil die Deutschen mit ihren Propagandageschichten
über Danzig und den Korridor
schon so weit gegangen sind, dass man sich kaum
vorstellen kann, sie könnten noch
einlenken."
Letztlich schwanken
seine Berichte so wie viele andere ausländischer
Beobachter zwischen
Aversion und Anziehung. Aus seinen
Notizen lässt sich dennoch eindeutig
herauslesen, dass ihm die Deutschen unheimlich waren. Er bewundert zwar
ihre technischen Errungenschaften. Etwa als er Sommer
1945 mit Marineminister
Forrestal eine Werft besuchte, auf der im Krieg U-Boote gefertigt worden waren. Eins pro Tag, wie Kennedy anerkennend in seinem Bericht fest hielt. Gleichzeitig schreckte ihn der
bedingungslose Gehorsam der Deutschen ab:
"An der Fügsamkeit der deutsche Beamten zeigt sich, wie
einfach es in Deutschland wäre, die Macht an sich zu reißen.
Sie besitzen weder die Neugier der Amerikaner noch deren angeborenen
widerständige 'Ich bin aus Missouri, erklärt mir das erst mal!'-Haltung gegenüber der Obrigkeit."
Mit dieser Unsicherheit über die Natur der Deutschen
im Gepäck bereiste Kennedy im Sommer 1963 schließlich Europa. Die Rahmenbedingungen dieser Reise waren
denkbar schwierig. Die
Berlin- und Kuba-Krise hatten
die Welt kurz zuvor in einen Ausnahmezustand versetzt. Es schien, als stünde man erneut vor einem
Krieg. Kennedy brauchte starke
Mitstreiter in Europa. Doch der französische
Staatspräsident Charles de Gaulle "verweigerte dem US-Präsidenten die Partnerschaft",
wie es der
SPIEGEL im Juni 1963 formulierte.
Ist er ein Berliner?
Kennedy
war folglich auf die Unterstützung
der Bundesrepublik angewiesen. Aber würde es ihm
gelingen, die Deutschen für sich zu
gewinnen? Der US-Präsident galt hierzulande als ausgewiesener Deutschland-Feind.
"Eisiger Raureif hatte mit dem
Amtsantritt des neuen Präsidenten das deutsch-amerikansiche
Verhältnis überzogen",
fasste der SPIEGEL kurz vor Kennedys legendären Deutschlandbesuch 1963
die Lage zusammen und leitete den Text mit einem Zitat aus
den Briefen des Apostel Paulus an die Korinther
ein: "Denn ich fürchte, wenn
ich komme, dass ich euch
nicht finde, wie ich will, und ihr mich auch
nicht findet, wie ihr wollt."
Trotz der Zweifel auf beiden Seiten eroberte Kennedy mit nur einem
Satz die Herzen der Deutschen: "Ich bin ein Berliner", rief er über
den Platz vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin und erntete tosenden Beifall. Mit diesen vier
Worten machte er unwiderruflich klar, dass die USA Berlin nicht aufgeben würden.
Egon Bahr, Architekt
der Ostpolitik, erinnert sich im
Vorwort von "Unter Deutschen", dass Kennedy beim Galadiner nach seinem großen
Auftritt ausgesprochen gelöst gewirkt habe. Bahr hatte nie wirklich verstanden,
warum - bis er die frühen Aufzeichnungen
Kennedys las. Der US-Präsident war sich vorher offenbar nicht sicher gewesen,
ob es ihm gelingen würde, die obrigkeitshörigen Deutschen für sich einzunehmen.
Zum Weiterlesen:
Oliver
Lubrich (Hrsg.): "John
F. Kennedy - Unter Deutschen.
Reisetagebücher und Briefe
1937-1945". Aufbau Verlag,
Berlin 2013, 256 Seiten.
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